Monumentalfilm «Megalopolis» in CannesFrancis Ford Coppola beim Scheitern zusehen
Der Starregisseur wartete 40 Jahre und verkaufte seine Weingüter, um sein 120-Millionen-Dollar-Traumprojekt drehen zu können. Dann sass er bekifft im Trailer – und bekommt jetzt «Old School»-Verhalten am Set vorgeworfen.
Über sein Verhältnis zu Geld sagte Francis Ford Coppola mal den schönen Satz: «Es bedarf keiner Fantasie, um im Rahmen seiner Mittel zu leben.» Diesem Motto ist der Mann bis ins hohe Alter treu geblieben. Am Donnerstagabend feierte beim Filmfestival von Cannes sein lange erwartetes Herzensprojekt «Megalopolis» Weltpremiere. Und das Preisschild an dieser Fantasie des Regisseurs lautet: 120 Millionen Dollar.
Weil der Kamikazekünstler Coppola das Studiosystem Hollywoods aber schon als junger Nachwuchsregisseur abgelehnt hat (und so zu einem der Gründerväter des New Hollywood wurde), wollte er keine börsennotierten Studios um das Geld bitten, wo die Buchhalter das letzte Wort über die Grösse der Fantasie haben. Also verkaufte der im Nebenberuf auch als Winzer tätige Coppola Teile seines Weinimperiums im kalifornischen Sonoma County – und bezahlte die 120 Millionen Dollar Produktionskosten einfach selbst.
Drehbuch 300-mal umgeschrieben
Dazu muss man wissen, dass Coppola von «Megalopolis» schon seit über 40 Jahren träumt. Bereits in den Achtzigern, kurz nach «Apocalypse Now», schrieb er eine erste Drehbuchfassung. Aber ähnlich wie bei seinem Vietnamkriegs-Klassiker, bei dem die Produktion auf den Philippinen im Drogenrausch und im Wahnsinn versank, war auch die Entstehungsgeschichte von «Megalopolis» keine einfache.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Jahrzehntelang tüftelte Coppola am Skript und schrieb es angeblich 300-mal um. Schauspieler wie Paul Newman, Robert De Niro und Al Pacino wurden für die Hauptrollen gehandelt und zu Leserunden des Drehbuchs eingeladen.
Kurz nach der Jahrtausendwende war es dann einmal fast so weit, dass Coppola hätte drehen können – aber dann kam Osama bin Laden. Der Film sollte von einer New-York-artigen Stadt in Trümmern erzählen, und dazu entpuppte sich die Trauerphase nach 9/11 als ganz schlechter Zeitpunkt.
«Apocalypse When?»
Je mehr Zeit verstrich, umso legendenhafteren Status nahm das Projekt an. Das war bei Coppola oft so. Bei «Apocalpyse Now» hatten die Zeitungen in den Siebzigern auch schon gewitzelt, weil es so lange dauerte: «Apocalypse When?»; «Apocalypse Forever?»
Der wichtigste Grund für das ständige Chaos bei Coppola ist, dass er es nicht aus Versehen provoziert, sondern es als seine wichtigste Arbeitsmethode betrachtet. Davon haben viele seiner Mitstreiter berichtet. Der deutsche Kameramann Michael Ballhaus zum Beispiel erzählte gern von den Dreharbeiten zu «Dracula» (1992). Da habe er mit Coppola zehn Wochen lang den Film detailliert vorbereitet, jede Einstellung sei gezeichnet worden. Aber: «Coppola ist manisch-depressiv und hatte während der Dreharbeiten so einen Schub. Da hat er alle zusammengerufen und gesagt, wir müssten noch mal von vorne anfangen, alles, was wir schon gedreht hätten, sei scheisse.»
Ungefähr so lesen sich auch die Berichte von «Megalopolis»-Mitarbeitern, die der britische «Guardian» zusammengetragen hat. Darin ist von einem Regisseur die Rede, der scheinbar planlos stundenlang in seinem Wohnwagen gesessen und gekifft habe, während die Crew-Mitarbeiter in den Trilith-Studios in Atlanta herumstanden und nicht wussten, was sie machen sollten. Ausserdem habe Coppola angeblich Mitarbeiterinnen auf seinen Schoss gezogen und soll versucht haben, Komparsinnen zu küssen. Das beschreiben die Mitarbeiter vorsichtig als «Old School»-Verhalten.
Manisch-depressiver Despot
Darren Demetre, einer der Co-Produzenten von «Megalopolis», verteidigte Coppola im «Guardian». Die Küsse seien Proben für eine «Studio-54-artige Clubszene» gewesen, und Francis habe die Hauptdarsteller und Statisten alle umarmt und auf die Wange geküsst, um die «Stimmung der Szene» zu etablieren. Demetre habe keinerlei Beschwerden über Belästigung oder anderes Fehlverhalten während der Dreharbeiten zu hören bekommen.
Dass dieses «Old School»-Verhalten Coppola aber nicht ganz fremd sein könnte, hat niemand anders so kühl und klar dokumentiert wie seine Frau Eleanor. Sie machte über die Dreharbeiten zu «Apocalypse Now» den faszinierenden Dokumentarfilm «Hearts of Darkness», in dem sie ihren Mann als manisch-depressiven Despoten im Drogenrausch zeigt, der den Praktikantinnen hinterhersteigt. Die beiden waren trotzdem mehr als 60 Jahre verheiratet. Vor vier Wochen ist Eleanor dann nach langer Krankheit im Alter von 87 Jahren gestorben. Coppola hat ihr «Megalopolis» gewidmet.
Die Aufregung in Cannes war vor dieser Premiere also besonders gross. Denn nicht nur trotz, sondern auch wegen seines Rufs als kompliziertes Genie wird Coppola in Cannes vergöttert. Schliesslich ist er der Regisseur der «Pate»-Trilogie. Und in Cannes hat er gleich zweifach die Goldene Palme gewonnen, den Hauptpreis des Festivals. 1974 für den Paranoia-Thriller «The Conversation»; und 1979 für «Apocalypse Now».
Damals gab er auch eine in die Annalen nicht nur des Festivals, sondern der Filmgeschichte eingegangene Pressekonferenz, auf der er sagte: «Dieser Film handelt nicht von Vietnam. Er ist Vietnam.»
45 Jahre später schritt der nun 85-jährige Coppola also wieder über den roten Teppich die Stufen des Grand Théâtre Lumière hinauf, mit Gehstock und geführt von seinem Hauptdarsteller Adam Driver. Wie er sich nach all den Jahrzehnten, in denen er von «Megalopolis» geträumt hat, wohl gefühlt haben mag, als der Vorhang aufging? Vermutlich sehr nervös.
«Megalopolis» ist ein sonderbarer Film
Und die Welt der Filmkritikerinnen und Festivalreporter ist, vorsichtig gesagt: verwirrt. «Megalopolis» ist eine Art Science-Fiction-Version der «Catilinarischen Verschwörung». Im Jahr 63 vor Christus versuchte der Senator Lucius Sergius Catilina die Macht in der römischen Republik an sich zu reissen, erfolglos. Der Film spielt am Ende des 21. Jahrhunderts, in einer Stadt, die wie New York aussieht, aber New Rome heisst.
Der Architekt Caesar Catilina (Adam Driver) kämpft mit dem Bürgermeister Cicero (Giancarlo Esposito) um die Zukunft nicht nur der Stadt, sondern der Menschheit. Der Bürgermeister will den Status quo bewahren; Architekt Catilina hingegen will die Stadt abreissen und sie mit einem neuen Baustoff namens Megalon wieder aufbauen, um die Menschheit in ein glücklicheres Zeitalter zu führen.
Ein Chaos aus Ideen
Es gibt lange Burlesque-Party-Szenen mit leicht bekleideten jungen Frauen. Die Figuren tragen entweder altrömische Namen wie Catilina oder Neu-Gaga-Namen wie Wow Platinum (ebenfalls spärlich bekleidet gespielt von «White Lotus»-Star Aubrey Plaza). Ausserdem wandert ein ganzer Haufen an Altstars durchs Bild, Dustin Hoffman und Jon Voight zum Beispiel, bei denen nicht immer ganz klar ist, was für eine Funktion ihre Rollen haben.
Die Kulissen der spätneurömisch-dekadenten Megalopolis sehen abwechselnd so aus wie aus einem generischen Marvel-Grossstadt-Pixelarchiv oder aus dem New York der Gegenwart. Der Ton des Films schwankt zwischen durchaus ernst gemeintem Pathos mit Zitaten von Mark Aurel über Shakespeare bis Goethe; und Slapstick-Szenen, in denen Pfeile in Hauptdarsteller-Popos geschossen werden. Kurz zusammengefasst: Der Film ist ein einziges Chaos aus Ideen und Anspielungen. Ein Flickenteppich, gewebt von einem Regisseur, der nichts so sehr liebt wie ebendieses Chaos – und bei dem man deshalb davon ausgehen darf, dass das Endergebnis kein Unglück, sondern Absicht war.
Weshalb man an dieser Stelle bitte ausnahmsweise auf die lästig-langweiligen Kategorien von gut oder schlecht verzichten und nur eines sagen möchte: Es ist spannender, Francis Ford Coppola beim Scheitern zuzusehen als anderen Regisseuren beim Triumphieren.
Fehler gefunden?Jetzt melden.