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Verhaftet und verprügelt
Medienschaffende in den USA sind unter Beschuss

Ein Protestierender zeigt beschuldigend auf Polizeibeamte, während ein Reporter vor Tränengas flüchtet: Demonstration in Minneapolis am 31. Mai 2020.
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Zu den unschönen Folgen der Proteste, die in den USA nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd überall aufgeflammt sind, gehören die Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten, die über diese Proteste berichten. Nach einer Zählung der Freedom of the Press Foundation und des Committee to Protect Journalists ist es seit Beginn der Unruhen zu 279 Verstössen gegen die Pressefreiheit gekommen. 67 Journalisten wurden körperlich angegriffen, 40 berichteten über Angriffe mit Tränengas, 23 über Angriffe mit Pfefferspray, und 69 Medienschaffende erlitten Verletzungen durch Gummigeschosse. Mindestens 45 Journalistinnen und Journalisten wurden verhaftet.

Das ist eine düstere Bilanz, besonders für ein Land wie die USA, das sich auf die Fahne geschrieben hat, Regierungen im Ausland zur Einhaltung der Pressefreiheit zu drängen.

«Wir sehen gezielte Attacken gegen Medienschaffende.»

Dokhi Fassihian, Direktorin der US-Abteilung der Organisation Reporter ohne Grenzen

Viele dieser Übergriffe trugen sich zu Beginn der Proteste in Minneapolis zu, in jener Stadt, in der Floyd bei einem Polizeieinsatz getötet wurde – und wo die Behörden zeitweise die Kontrolle über die Lage verloren. Da war die freischaffende Fotografin Linda Tirado, die ihr linkes Auge verlor, nachdem sie von einem Gummigeschoss der Polizei getroffen wurde. Da war Ed Ou, ein Videojournalist für NBC News, dem Polizisten Pfefferspray ins Gesicht sprühten und ihn anschliessend mit einem Stock schlugen. Und da war die vielbeachtete Festnahme des CNN-Journalisten Omar Jimenez, den die Polizisten in Handschellen abführten, während er mit seiner Crew live von den Protesten sendete.

Polizisten sprühten ihm Pfefferspray ins Gesicht und schlugen ihn anschliessend mit einem Stock: Ed Ou, ein Videojournalist für NBC News.

Die Übergriffe beschränkten sich allerdings längst nicht auf Minneapolis. Journalisten aus ganz verschiedenen Städten der USA berichteten über Angriffe und Verhaftungen. «Wir reden hier nicht von vereinzelten Aktionen», sagt Dokhi Fassihian, Direktorin der US-Abteilung der Organisation Reporter ohne Grenzen. «Hier zeigt sich ein schockierendes Muster von Missbrauch durch die Polizei.» Die Übergriffe liessen sich auch nicht damit erklären, dass die Polizisten überfordert waren und Journalisten nicht von vermeintlichen Randalierern unterscheiden konnten. «Wir sehen gezielte Attacken gegen Medienschaffende», sagt Fassihian.

Trotz klarer Identifikation

Tatsächlich haben viele Journalisten Videos veröffentlicht, welche die Angriffe auf sie dokumentieren oder zeigen, wie sie festgenommen wurden, obwohl sie sich deutlich als Medienschaffende ausgewiesen hatten. «Presse, Presse, Presse», rief der Reporter Michael Anthony Adams von Vice News, als er in Minneapolis in einen Polizeieinsatz geriet. In seiner Aufnahme des Vorfalls ist zu hören, wie ihm ein Polizist antwortete: «Das ist mir egal. Runter mit dir.» Danach sprühte er Adams Pfefferspray ins Gesicht. Solche Vorfälle seien ein Angriff auf die von der Verfassung garantierte Pressefreiheit, sagt Fassihian, «und sie sind damit auch ein Angriff auf die Demokratie».

Die Übergriffe auf die Presse beschränkten sich längst nicht auf Minneapolis: CBS-Reporterin Katie Nielsen wird am 1. Juni 2020 in Oakland, Kalifornien, während der Arbeit festgenommen.

Bis auf den Gouverneur von Minnesota, der sich für die Festnahme des CNN-Teams in Minneapolis öffentlich entschuldigte, haben andere Städte, Bundesstaaten und Polizeien sich meist nicht einmal für die Übergriffe erklärt. «Das ist nicht akzeptabel», sagt Fassihian. Die Reporter ohne Grenzen fordern von den Gouverneuren, alle Fälle zu untersuchen und die beteiligten Polizisten zur Verantwortung zu ziehen.

Es ist nicht das erste Mal …

Schon bei früheren Protesten gab es Übergriffe auf Journalisten. Im Zug der Unruhen in Ferguson, die 2014 nach der Tötung des Afroamerikaners Michael Brown ausbrachen, wurden mindestens elf Journalistinnen verhaftet. Das jetzige Ausmass an Verstössen ist aber nach Einschätzung vieler Beobachter beispiellos. Berufsverbände und Organisationen wie die Reporter ohne Grenzen sehen den Hauptgrund dafür in der Rhetorik von US-Präsident Donald Trump, der seine verbalen Attacken auf Medien und einzelne Journalisten sukzessive gesteigert hat. «Er dämonisiert die Medien», sagt Fassihian. «Wir haben schon lange davor gewarnt, dass dies Spuren hinterlassen würde, und nun sehen wir die Folge.»

Nicht alle Übergriffe an den Protesten gehen auf das Konto von Polizistinnen und Polizisten. Mindestens 25 Journalisten berichteten über Angriffe durch andere Personen. In Pittsburgh attackierten Demonstranten einen Kameramann eines Lokalsenders und verletzten ihn dabei. In Washington griffen Protestteilnehmer eine Crew von Fox News an und bewarfen sie mit Geschossen. «Ein substanzieller Teil der Bevölkerung hat heute kein Vertrauen mehr in die Medien und kein Verständnis für die Arbeit von Journalisten», sagt Fassihian: «Wir befinden uns an einem gefährlichen Punkt.»