Kritik an Berichterstattung«Medien halfen mit, den Lockdown vorzubereiten»
Im Jahrbuch «Qualität der Medien 2020» heisst es, zeitweise seien die Medien in der Pandemie zu wenig behördenkritisch gewesen. Die 5 wichtigsten Punkte.
Corona: Kurz vor dem Lockdown waren die Medien unkritisch
Seit März 2020 dominiert Corona die Medienberichterstattung wie kein anderes Thema. Phasenweise ging es in rund 70 Prozent der Medienberichte um die Pandemie. Das ist einer der Befunde des Jahrbuchs «Qualität der Medien 2020», die gestern vom Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich (Fög) präsentiert wurden.
Ein weiterer Befund des Fög: Zahlen und Statistiken zu Covid-19 seien oft «nackt» vermeldet und zu wenig erklärt worden. Auch seien die Medien in der «sensitiven Phase» vor dem Lockdown zu wenig behördenkritisch gewesen. Sie hätten den Bundesrat generell als zu passiv bezeichnet, sagt Fög-Mitarbeiter Linard Udris auf Nachfrage. «Damit haben die Medien mitgeholfen, den Lockdown vorzubereiten und zu legitimieren.» Anfang April sei die Stimmung dann ins Gegenteil gekippt, die Massnahmen seien als zu hart kritisiert worden.
Das Fög stellt fest, dass rund 80 Prozent der untersuchten Medienbeiträge sich auf Expertenstimmen bezogen hätten. Diese Experten-Abhängigkeit zeige, dass der Informationsjournalismus an Kraft verloren habe und weniger gut in der Lage sei, Ereignisse selber einzuordnen.
Wissenschaft: Zu Unrecht ein Nischen-Ressort
Das hat laut Fög auch damit zu tun: «Der Abbau im Wissenschaftsjournalismus rächt sich.» Trotz seiner grossen Bedeutung werde das Wissen vernachlässigt. Zwar sei sein Anteil am Gesamtangebot zwischen 2015 und 2019 stabil geblieben. Dies aber mit 2,1 Prozent auf tiefem Niveau.
2015 hat das Fög noch 36,4 Prozent der Wissen-Beiträge als einordnend qualifiziert, 2019 waren es nur noch 13,5 Prozent. «Einordnend» bedeutet erklärend, im Gegensatz zum blossen Wiedergeben von Fakten.
Corona II: Etablierte Medien und Behörden bestimmen Diskurs
2019 hat das Jahrbuch festgestellt, dass soziale Medien die Hierarchie der Meinungsführer auf den Kopf stellten. Zivilgesellschaftliche Akteure und Privatpersonen sowie politische Interessengruppen prägten die Twitter-Agenda stärker als der Journalismus. Corona hat das verändert: Heute dominieren Zeitungen, Radio und Fernsehen sowie die Behörden. In Zeiten grosser Verunsicherung holen die etablierten Kräfte offenbar auf.
Dazu passen die Angaben der Befragten aus der Deutschschweiz: Die Infokanäle des Bundes gewichteten sie am höchsten, gefolgt vom Rundfunk und den Angeboten privater Medienhäuser. Weniger wichtig waren Facebook, Instagram und Twitter.
Finanzprobleme: Zahlungsbereitschaft für Online-News steigt
Schon vor der Corona-Krise waren die Werbeeinnahmen der Schweizer Medien stark rückläufig, das hat sich mit der Pandemie noch verschärft.
Doch die gute Nachricht ist: Die Zahl der Leute, die bereit sind, für Onlinenachrichten zu bezahlen, ist gestiegen. 2016 waren noch 10,1 Prozent dazu bereit, letztes Jahr schon 13,4 Prozent. Bei älteren Menschen ist die Zahlungsbereitschaft generell tief, ebenso bei Frauen. Bei jüngeren Frauen ist sie allerdings in den letzten Jahren am stärksten gestiegen, von 12 auf 19 Prozent.
Die wachsende Zahlungsbereitschaft mache Hoffnung auf eine heranwachsende Generation, die bereit sei, den Journalismus mitzufinanzieren, schreiben die Fög-Wissenschaftler.
Junge Leser: Journalismus soll «Influencer» aufbauen
Ein grosser Teil der Bevölkerung, vor allem bei der jüngeren Generation, scheint sich für das Weltgeschehen kaum zu interessieren. Ihnen hat sich das Fög speziell gewidmet und 19 junge Schweizerinnen und Schweizer zu ihren Medieninteressen befragt. Das Resultat: Sie haben eine präzise Vorstellung davon, was «Nachrichten» für sie bedeuten, nämlich relevante Informationen zum aktuellen Weltgeschehen. Nachrichten gelangen oft zufällig zu dieser Lesergruppe, via Social Media, Freunde oder die Familie. Das Interesse hängt stark davon ab, wer den Artikel verbreitet oder empfiehlt. Deshalb auch die Empfehlung des Fög: Der Informationsjournalismus müsse gezielt journalistische Influencer aufbauen, die den gehaltvollen Informationen im Internet ein Gesicht gäben. Wichtig seien auch Titel und Bilder für ein «intelligentes Clickbaiting».
Bezahlschranken lehnen die befragten jungen Erwachsenen vehement ab, kostenlose Medienberichte sehen sie quasi als Grundrecht. Bereit zu zahlen wären sie allenfalls für ein gebündeltes Angebot aus mehreren Quellen, zu einem günstigen Flatrate-Preis.
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