Attila Hildmann wurde gewarntMaulwurf in der Berliner Justiz enttarnt
Eine ehemalige Mitarbeiterin der Generalstaatsanwaltschaft soll Attila Hildmann über seinen Haftbefehl informiert haben. Der Verschwörungstheoretiker hat sich in die Türkei abgesetzt.
Bei den Ermittlungen gegen den Verschwörungstheoretiker Attila Hildmann soll es in der Berliner Justiz einen Maulwurf gegeben haben. Eine ehemalige Mitarbeiterin der Berliner Generalstaatsanwaltschaft steht nach Medienrecherchen im Verdacht, Informationen an den Beschuldigten Hildmann weitergegeben zu haben. Nach Angaben von Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne), ermittelte die Generalstaatsanwaltschaft intensiv in den eigenen Reihen, «nachdem der Haftbefehl an Attila Hildmann mutmasslich durchgestochen worden war».
Nach Informationen des ARD-Politikmagazins «Kontraste» und des vom Norddeutschen Rundfunk produzierten Rechercheformats «STRG_F» handelt es sich bei der mutmasslichen Informantin um eine 32-Jährige aus Berlin. Sie soll unter anderem auf Unterlagen zum Ermittlungsverfahren gegen Hildmann zugegriffen haben.
Der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft, Martin Steltner, bestätigte, dass gegen eine ehemalige Angestellte aus der IT-Abteilung der Behörde wegen des Verdachts der Verletzung des Dienstgeheimnisses und der versuchten Strafvereitelung ermittelt werde. Der Mitarbeiterin sei im Mai fristlos gekündigt worden. Im Juli seien bei Durchsuchungen bei ihr Datenträger beschlagnahmt worden, die noch ausgewertet würden.
Informationen «aus sicherer Quelle»
Gegen Hildmann laufen seit vergangenem Jahr Strafverfahren wegen zahlreicher Taten, darunter Volksverhetzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Die Berliner Staatsanwaltschaft erwirkte Mitte Februar 2021 einen Haftbefehl gegen den Verschwörungstheoretiker.
Dieser soll bereits kurz nach Erlassung des Haftbefehls davon erfahren haben. Wie der «Spiegel» berichtet, wurde auf Hildmanns Telegram-Kanal an einem Samstag mitten in der Nacht eine Nachricht weiterverbreitet, in der stand, dass ein Haftbefehl gegen ihn erwirkt worden sei. Die Informationen «kommen aus sicherer Quelle», hiess es laut Bericht in dem Post. Zum damaligen Zeitpunkt wussten jedoch nur wenige Beamte in der Berliner Justiz davon. Denn der Haftbefehl sollte erst nach dem Wochenende vom Gericht unterschrieben an die Staatsanwaltschaft zurückgehen.
Gemäss den Unterlagen, die dem «Spiegel» vorliegen, soll Hildmann kurz darauf von der Beschuldigten auch eine Mail mit dem abfotografierten Haftbefehl in voller Länge erhalten haben.
Die Berliner Justiz vermutete offenbar bereits einen Maulwurf in den eigenen Reihen. Die Mail enthielt auch einen internen Vermerk der Staatsanwaltschaft mit dem Hinweis, dass Hildmann bereits «Kenntnis vom Erlass des Haftbefehls» habe.
Auf die Spur der Mitarbeiterin war die Generalstaatsanwaltschaft den Angaben zufolge dadurch gekommen, dass die 32-Jährige bei «Querdenker»-Demonstrationen aufgefallen war und es unerlaubte Zugriffe auf die Systeme der Staatsanwaltschaft gegeben hatte. «Es ergaben sich unberechtigte Abfragen zu verschiedenen Personen der rechtsextremen und der Querdenker-Szene», sagte Steltner den ARD-Medien.
Die Beschuldigte soll nicht nur Daten weitergegeben haben, sondern den in Deutschland gesuchten Hildmann auch Anfang des Jahres in der Türkei besucht haben.
«Einen vergleichbaren Fall hat es in der Berliner Justiz nach meiner Erinnerung noch nicht gegeben», schrieb Behrendt auf Twitter. Die Justiz will demnach nun Konsequenzen aus dem Datenskandal ziehen. Neben den strafrechtlichen Konsequenzen für die ehemalige Mitarbeiterin habe die Generalstaatsanwältin bereits Massnahmen erarbeitet, wie der Zugriff auf die Verfahren in der Behörde erschwert und besser protokolliert werde, erklärte der Justizsenator. «Ein solcher Vorgang darf sich nicht wiederholen.»
Vertrauter Hildmanns kooperiert mit den Behörden
Ein wichtiger Informant für die Berliner Justiz im Fall Attila Hildmann ist mittlerweile sein ehemaliger Weggefährte Kai Enderes. Der 22-jährige Computerfachmann war gemäss seinen Schilderungen einer der engsten Vertrauten von Hildmann seit Beginn der Corona-Pandemie.
Dem Bericht des «Spiegels» zufolge trafen sich Enderes und Hildmann zum ersten Mal im Juli 2020. Hildmann galt in Deutschland zu diesem Zeitpunkt bereits als gewaltgeneigter Rechtsextremist. Auf Anti-Corona-Demonstrationen und im Messenger-Dienst Telegram sympathisierte er mit Neonazis und Antisemiten. Vertraute von früher sollen sich daher bereits vom einstigen Kochbuchautor abgewandt haben.
«Letztlich war ich seine rechte Hand und die Person, die immer da war.»
Enderes teilte nach eigenen Angaben zunächst die Ansichten Hildmanns zu den Corona-Massnahmen – «zumindest zum Teil».
Der 22-Jährige überzeugte Hildmann mit seinen IT-Kenntnissen. Schnell soll der Verschwörungstheoretiker Vertrauen zu ihm gefasst haben. Enderes erstellte virtuelle Telefonnummern sowie Bots für Hildmanns Telegram-Kanal und programmierte zwei Websites für ihn. «Letztlich war ich seine rechte Hand und die Person, die immer da war», wird er zitiert. Als die Polizei im November 2020 das Haus von Hildmann in Brandenburg durchsuchte und mehrere Handys, Laptops und andere Datenträger beschlagnahmte, soll Enderes «praktisch bei ihm gewohnt» haben.
Flucht in die Türkei
Doch das Bündnis stand auf wackligen Beinen. Im Interview mit dem «Spiegel» behauptet der 22-Jährige, dass er zum Zeitpunkt der Razzia bereits entschieden hatte, Hildmann zu hintergehen. Er habe erkannt, dass der Verschwörungstheoretiker grössenwahnsinnig sei. Ein Rechtsradikaler, der Hitler verehre und den Bezug zur Realität verloren habe.
Trotzdem blieb Enderes bei ihm, um Daten über Hildmann zu sammeln, wie er angibt. Wenige Wochen nach der Hausdurchsuchung beschlossen die beiden Männer, Deutschland zu verlassen. Am 15. Dezember, so berichtet Enderes, seien sie gemeinsam losgefahren – zunächst nach Polen, dann Richtung Schweden, bevor sie wieder umdrehten, um über Ungarn und Sofia in die Türkei zu gelangen. Hildmann, der die deutsche und türkische Staatsangehörigkeit hat, soll sich noch immer dort aufhalten. Die Türkei liefert türkische Staatsangehörige nicht aus. Enderes verliess die Türkei Ende August dieses Jahres.
In Interviews beschuldigen sich die beiden Männer mittlerweile gegenseitig, die treibende Kraft hinter der Reichweite der Marke Attila Hildmann gewesen zu sein. Hildmann selbst nennt Enderes im Bericht des «Spiegels» einen «stabilen Kameraden, topengagiert» und «wahrscheinlich noch rechter als ich». Der 22-Jährige soll unter dem Telegram-Account von Hildmann selbst rechtsextreme Beiträge geteilt und die Onlinehetze befeuert haben. Laut Hildmann hat Enderes lediglich aus Angst vor den Strafverfolgungsbehörden die Seiten gewechselt. Letzterer bestreitet diese Aussagen.
Unterdessen hetzt Hildmann auf Telegram weiter. Nach Deutschland wolle er nicht zurückkehren. Dort würde er keinen fairen Prozess bekommen.
AFP/aru
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