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Migration und Corona in Italien
Massenflucht aus Quarantänelagern

Umverteilung innerhalb Italiens: Ein Militärschiff bringt Migranten ins sizilianische Porto Empedocle, nachdem sie in Lampedusa an Land gegangen sind.
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Die Italiener sind besorgt über die Zustände in den übervollen Flüchtlingslagern auf Lampedusa und Sizilien – so sehr, dass die Regierung in Rom jetzt 300 Soldaten entsendet, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. In Pozzallo, Porto Empedocle und Caltanissetta hatten binnen weniger Stunden 30, 184 und 120 Migranten die örtlichen Zentren verlassen. Das hat es zwar schon früher immer mal wieder gegeben. Nun aber sind die Menschen dort nicht nur untergebracht, damit die Asylbehörden ihre Dossiers prüfen, sondern auch, damit sie ihre Quarantäne absitzen. Die meisten Ausbrecher wurden offenbar schnell wieder gefunden.

In den vergangenen Wochen, als die Überfahrten bei gutem Wetter und ruhiger See wieder zunahmen, haben sich unter den Flüchtlingen da und dort kleine Infektionsherde gebildet. Die Behörden isolierten die Fälle, so gut es ging. Dafür stand bisher auch das Quarantäneschiff Moby Zaza zur Verfügung, das nun nach Ablauf der Miete durch ein neues ersetzt wird – für tausend Insassen. Wie viele Zuwanderer Corona-positiv sind, scheint gerade niemand genau zu wissen. Einige Dutzend, einige Hundert? In den engen Verhältnissen in den Lagern kann sich das Virus rasch ausbreiten.

«Das war alles vorhersehbar.»

Ida Carmina, Bürgermeisterin Porto Empedocle

«Das war alles vorhersehbar», sagt Ida Carmina, die Bürgermeisterin von Porto Empedocle, einer Stadt im Südwesten Siziliens. Die Politikerin der Cinque Stelle hatte schon früh vor diesem Szenario gewarnt, jedoch ohne gehört zu werden. «Man nennt mich jetzt Kassandra.» Es gebe nur noch eine Lösung, und die sei militärisch. Im Seilnetzbau, den der Zivilschutz vor ihrer Stadt errichtet hat, wäre Platz für 110 Personen, zum Zeitpunkt der Massenflucht wurden da aber 520 beherbergt. Der Hotspot auf der kleinen Insel Lampedusa wiederum ist für 95 Menschen vorgesehen, in diesen Tagen sind dort zuweilen acht- bis zehnmal mehr Migranten eingeschlossen. Sie sollen nun alle umverteilt werden.

Im Süden Italiens befürchtet man, dass die Epidemie, von der man bisher weitgehend verschont geblieben ist, nun gewissermassen durch die Hintertür zu ihnen kommt – über die Zuwanderung. Migration und Corona: Die Kombination birgt natürlich viel politische Sprengkraft. Matteo Salvini, Chef der rechtspopulistischen Lega und ehemaliger Innenminister, wirft der Regierung aus Cinque Stelle und Sozialdemokraten bereits vor, sie habe die Situation nicht im Griff.

Reaktivierte Route

Die Zahl der Ankünfte nimmt tatsächlich wieder zu, nicht dramatisch, aber viermal stärker als im Vorjahr. Rom bittet Brüssel deshalb um Hilfe. In den ersten sieben Monaten des laufenden Jahres erreichten 12’228 Migranten Italien; 2019 waren es in derselben Zeitspanne 3590 gewesen. Etwa 7000 kamen aus Libyen, der Rest aus Tunesien, die Route wurde erst neulich wieder aktiviert. Die Küsten Nordtunesiens und Südsiziliens sind einander so nahe, dass die Migranten das Stück Meer auf kleinen Gummi- und Holzbooten überqueren, manchmal gar auf Jetski, von keinem Radar erfasst.

«Völlig unkontrolliert», nennt es Luciana Lamorgese, Italiens Innenministerin. Lamorgese ist dieser Tage nach Tunis gereist, um die tunesische Regierung dazu zu bewegen, ihre Küsten besser zu kontrollieren und die Fluchtroute wieder zu schliessen. Fast alle Zuwanderer aus Tunesien sind Tunesier, manche suchen ihr Glück nicht zum ersten Mal in Italien. Die Chancen stehen diesmal besonders gut, denn bei eingeschränktem Flugverkehr sind die Charterflüge für Rückführungen zwischen Italien und Tunesien ausgesetzt.

Schwere Vorwürfe

Problematisch bleibt auch die alte Route durch das zentrale Mittelmeer, von Libyen nach Lampedusa und Sizilien, allerdings aus einem anderen Grund. Italien und Malta haben für die Zeit der Pandemie alle ihre Häfen für «unsicher» erklärt. Anlegen verboten. Den NGOs, die mit ihren Schiffen Rettungsoperationen fahren, machen die Italiener das Leben schwer. Die Schiffe werden wegen angeblicher administrativer Unregelmässigkeiten beschlagnahmt und liegen wochenlang in den Häfen. Fadenscheinig und schikanös, sagen die NGOs.

Zwischenstation einer langen Flucht: Migranten auf einem kleinen Boot erreichen Lampedusa.

Kein einziges Rettungsschiff ist im Moment im Einsatz. Die deutsche Organisation Sea-Watch sucht in der Zwischenzeit mit ihrem Flugzeug Sea-Bird das Meer nach Migranten in Seenot ab; das Alarm-Phone unterrichtet die Behörden über Havarien. Nun berichtet die Zeitung «La Repubblica», dass Italien und Malta oftmals gar nicht auf die Notrufe reagierten. Sie würden stattdessen darauf warten, dass die libysche Küstenwache die Menschen von ihren Booten hole und zurück nach Libyen bringe. Manchmal passiere das auch ausserhalb der libyschen Search-and-Rescue-Zone, schreibt «Repubblica». Nur wenn die Libyer sich nicht bewegten, würden sich Rom und Valletta erbarmen.

Der schwere Vorwurf rückt den kontroversen Deal der Italiener mit den Libyern aus dem Jahr 2017 wieder in den Vordergrund, den die EU auch finanziell mitträgt. Damals versprach Rom Tripolis viel Geld, Schiffe, Radargeräte und Ausbildung, wenn es dafür eine eigene Küstenwache aufbaue – und den Migrationsstrom bändige.