Massendemos in UngarnEin ehemaliger Insider wird Viktor Orban gefährlich
Er war ein Orban-Mann, jetzt wird Peter Magyar zum grossen Gegner von Ungarns Premier. Am Wochenende organisierte er die grössten Anti-Regierungs-Proteste seit über einem Jahrzehnt.
Peter Magyar hatte es vorausgesagt, und wer sein Selbstbewusstsein vor ein paar Tagen noch für Überheblichkeit hielt, wurde am Wochenende eines Besseren belehrt: Der neue Star der ungarischen Politik (lesen Sie hier ein Porträt über Peter Magyar) – bis vor zwei Monaten ein weitgehend unbeschriebenes Blatt – hatte angekündigt, er werde «hunderttausend» auf die Beine bringen, um gegen Viktor Orban und dessen «Mafia-Staat» zu demonstrieren. Und hunderttausend kamen.
Der Protestzug, der am Samstagnachmittag am Ferenc-Deak-Platz begann, erwies sich als logistische Herausforderung, weil der riesige Platz im Stadtzentrum schon weit vor der Zeit überfüllt war. Die Menge zog weiter zum Parlamentsplatz. Irgendwann brach der Livestream der Veranstalter zusammen, weil zu viele Ungarn online dabei sein wollten. Drohnenbilder der Stadt zeigen eine unübersehbare Menschenmenge; es sei die grösste Demonstration in der Hauptstadt seit dem Amtsantritt des rechtsnationalen Ministerpräsidenten vor 14 Jahren gewesen, heisst es.
Er war mal ein Orban-Mann
Magyar stand lange im Hintergrund, er galt als der gut aussehende Mann an der Seite von Ex-Justizministerin Judit Varga, die wegen einer Begnadigung in einem Missbrauchsfall zurücktreten musste. Der 43-Jährige war in den Nullerjahren bei Fidesz eingetreten und im Windschatten der Partei aufgestiegen – von der Leitung des Zentrums für Studienkredite über die Rechtsabteilung der ungarischen Entwicklungsbank bis zu einer Entsendung als Diplomat an die Botschaft in Brüssel. Magyar sass zuletzt in den Aufsichtsgremien von staatsnahen Betrieben und war wohl das, was man einen Orban-Mann von mittelmässigem Einfluss genannt hätte.
Nun ist alles anders. Nach dem Rücktritt seiner früheren Frau beschloss der studierte Jurist, mit dem System zu brechen, sich als Mann des Anti-Establishments zu präsentieren und selber in die Öffentlichkeit zu gehen: anfangs mit Angriffen gegen die Regierung wegen des Umgangs mit seiner Ex-Frau, dann mit konkreten Korruptionsvorwürfen. Immer macht er dies strategisch gut geplant und mit zentralen Postings auf seiner Facebook-Seite. Er wendet sich meist direkt an das Volk, ohne Rückgriff auf andere Oppositionsparteien, ohne grösseren Apparat.
Von der Opposition hebt er sich ab
Magyar nennt seine Truppe eine «Garagenbewegung», ein politisches Start-up, damit will er sich von der schwachen und diskreditierten Opposition abheben. Mit Angriffen gegen die grösste Anti-Orban-Partei, die Demokratische Koalition (DK) und ihren ehemaligen Premier Ferenc Gyurcsany, sowie gegen die «Systempartei» Fidesz will er sich als überparteilicher Kandidat einführen. Die DK hat sich daher schon genauso schnell auf ihn eingeschossen wie Fidesz. Diese nennt den neuen Konkurrenten einen «Psychopathen».
Magyar nutzt den Gegenwind. Hier, das ist seine Botschaft, will es einer allein schaffen, ohne Ballast, ohne die alten Eliten. «Mehr als zwanzig Jahre sind vergangen, in denen die gewählten Führer die Ungarn gegeneinander aufgehetzt haben, aber jetzt machen wir Schluss damit», rief Magyar am Wochenende auf dem Parlamentsplatz. Die Ungarn müssten gemeinsam aufstehen, politische Gräben überwinden, der Politik wieder Glaubwürdigkeit verschaffen, die moralische und wirtschaftliche Krise, in die Fidesz das Land gestürzt habe, überwinden.
«Steht auf, Ungarn»
Er stellte jedoch weder ein konkretes Programm vor, noch kündigte er die Gründung einer neuen Partei an. Magyar hat allerdings bereits einen bestehenden Verein übernommen, in den seine Unterstützer eingetreten sind und der den Slogan «Steht auf, Ungarn» nutzt. Er versprach auch, bei der Europawahl im Juni anzutreten; da aber die Frist für die Gründung einer eigenen Partei zu kurz sei, plane er, bei einer der mehr als hundert registrierten ungarischen Parteien anzudocken, die ihm die strukturelle Basis für einen Ad-hoc-Wahlkampf bieten könnten. Das Ergebnis der Europawahl in Ungarn werde «zum ersten Sargnagel» für das Orban-System, sagte Magyar.
In den kommenden Wochen plant der Neu-Politiker eine Tour durch ganz Ungarn. Das regierungsfreundliche Medium «Index» kommentierte am Montag, es sei «leicht vorstellbar, dass die meisten Oppositionsparteien nicht in das Europaparlament einziehen» würden, wenn Magyar mit seiner Organisation antrete. Dass eine neue Magyar-Partei auch ein Problem für Orban werden könnte, darüber schweigt sich «Index» aus.
Die Fidesz-treuen Medien indes waren am Samstag offenbar auf einer anderen Veranstaltung gewesen: Der Auftritt von Magyar sei in «peinlicher Langeweile» untergegangen, er sei im Stadtzentrum herumgeirrt und habe «Blödsinn» geredet. Damit, so viel ist nach Magyars dritter, erfolgreicher Grossveranstaltung schon mal klar, wird die Fidesz-Partei dem neuen Herausforderer von Viktor Orban nicht beikommen.
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