Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Absturz eines Fussballers
Der Volksheld aus Corona-Zeiten soll nur noch weg aus Manchester

Marcus Rashford von Manchester United applaudiert nach dem UEFA Europa League Spiel gegen FC Twente im Old Trafford, Manchester.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk
In Kürze:
  • Marcus Rashford ist bei Manchester United ausserhalb des Kaders geblieben.
  • Trainer Ruben Amorim kritisiert seine mangelnde Leistung und Professionalität.
  • Rashford sammelte während Corona Millionen für wohltätige Zwecke.
  • Ein Wechsel zu Aston Villa steht im Raum.

Rashford zu Milan? Zu Barcelona? Zu Tottenham, West Ham? Dortmund? Oder auf einmal zu Aston Villa?

Überall ist Marcus Rashford in diesen Tagen im Gespräch, nur an einem Ort ist er nicht, wo er eigentlich sein sollte: im Einsatz für Manchester United. Dass er das nicht ist, ist ein permanentes Thema in den englischen Medien, vor allem steht es für den Absturz eines Fussballers, der in England nicht irgendwen darstellt, sondern eben Marcus Rashford, diesen einst hochfliegenden Jungen aus Manchester und Helden aus Coronazeiten.

Den Tiefpunkt seines Niedergangs erreicht er am vergangenen Sonntag, Manchester hat gerade bei Fulham 1:0 gewonnen. Rashford hat nicht zum Kader gehört, wieder einmal nicht, und ist genau deshalb prägender Teil der Aufarbeitung des Spiels von Ruben Amorim.

Der 40-jährige Portugiese ist noch nicht lange Trainer der United, erst seit dem vergangenen 11. November, geholt als neuer Hoffnungsträger dieses Krisenclubs. Er ist keiner, der Empfindungen versteckt. Und wenn er analysiert, tut er das schonungslos, nie grimmig, aber immer so einprägsam wie zuletzt bei Rashford. Das Besondere daran ist, er muss dessen Namen nicht einmal nennen, und trotzdem wissen alle, wer gemeint ist.

Das Zitat geht so: «Es ist die gleiche Situation für jeden Spieler. Wenn man das Maximum tut, wenn man die richtigen Dinge tut, können wir jeden Spieler einsetzen. Man kann es heute auf der Bank sehen: Uns fehlt ein bisschen Tempo, um das Spiel zu verändern, um etwas zu bewegen. Aber ich bevorzuge das so. Ich setze eher auf Vital als auf einen Spieler, der nicht jeden Tag das Maximum gibt. Also werde ich das nicht ändern.» Zum näheren Verständnis, wie sehr Rashford damit abgestraft wird: Jorge Vital ist der Goalietrainer bei der United – und schon 63.

Der hundertprozentige Einsatz fehlt

Es ist nicht so, dass Amorim nicht wüsste, was grundsätzlich an fussballerischer Qualität in Rashford steckt. «Unsere Mannschaft wäre mit ihm viel besser», sagt er diese Woche, er bereitet sich gerade auf das Europa-League-Spiel in Bukarest vor. Eigentlich möchte er nicht über Rashford reden und macht es dann doch ausführlich. Am Ende ist es eine Wiederholung, was er seit Mitte Dezember festhält: «Ich werde keinen Spieler einsetzen, der nicht hundert Prozent gibt.»

Manchester United-Manager Ruben Amorim spricht mit Marcus Rashford am Spielfeldrand während des Spiels gegen Bodo/Glimt in der UEFA Europa League in Old Trafford, Manchester.

Amorim hat festgelegt, was er von einem Spieler erwartet: die Leistung auch im Training, das Verhalten in der Gruppe, die Professionalität, das Auftreten. Ganz offensichtlich ist, dass Rashford die Ansprüche seines Chefs nicht erfüllt. Darum hat er seit dem 12. Dezember elf Spiele verpasst und dabei nur einmal im Kader gestanden.

So etwas muss sich ein Club auch erst einmal leisten können. Rashford gehört in der Premier League zu den Grossverdienern. Bei ihm stellt sich nun die Frage: Was ist bloss in seinem Leben passiert, dass er derart abgestürzt ist?

Rashford kommt aus ärmlichen Verhältnissen, der Vater mit Wurzeln in Jamaika, die Mutter in St. Kitts and Nevis. Er hat vier Geschwister, eine Liebe: den Fussball. Und wie die ganze Familie ein schwieriges Leben. Wie schwierig das ist, erzählt er, als er schon ein Star ist, Stammspieler bei seinem Jugendverein Manchester United und in der englischen Nationalmannschaft. Sein Tempo, seine Vielseitigkeit und Abschlussstärke heben den Flügelstürmer von der Masse ab.

Millionen Pfund für Kindertafeln

Es ist das Jahr 2020, als wegen Corona auch in England kein Fussball gespielt wird. Bevor nach dreimonatiger Pause die Meisterschaft wieder beginnt, berichtet Rashford von seiner Jugend: vom Schulessen, den Suppenküchen, von seiner alleinerziehenden Mutter, die kaum Geld verdiente, von Hunger. Er bleibt ohne Fussball nicht untätig. Er sammelt Spenden für Hilfsorganisationen und Kindertafeln, viele Millionen Pfund, er kämpft dafür, dass in den Schulen die freien Essensgutscheine auch während der Ferien nicht gestrichen werden, die für Hunderttausende Familien wichtig sind. «Erhören Sie die Appelle. Finden Sie Ihre Mitmenschlichkeit», schreibt er in einem offenen Brief ans englische Parlament.

Er setzt sich gegen den Widerstand von Premierminister Boris Johnson durch. Die Regierung stellt umgerechnet 135 Millionen Franken für bedürftige Kinder bereit. Rashford schreibt: «Seht ihr, was wir erreichen können, wenn wir zusammenhalten? Das ist England 2020.» Und ihn macht es zum Helden, der auch in den Monaten danach weiter kämpft, «damit keiner das durchmachen muss, was ich durchgemacht habe». Die Regierung legt ein nächstes Hilfsprogramm auf, diesmal für 190 Millionen. Das Königshaus ehrt Rashford später für seinen Einsatz mit einem Orden.

Der Fussballspieler Marcus Rashford mit seinem MBE-Orden für Verdienste um benachteiligte Kinder während Covid-19, bei einer Zeremonie in Windsor Castle.

Im Sommer 2021 gehört er zum Kader der Mannschaft, die bei der EM endlich einen Titel für ein Land gewinnen soll, das 55 Jahre nach der WM so sehnsüchtig danach giert. Auf dem Weg in den Final kommt Rashford keine grosse Rolle zu, er sitzt auch an diesem 11. Juli vorerst auf der Bank, als der letzte Gegner Italien heisst. Es ist ein schicksalsträchtiger Abend im Wembley von London, überschattet von Exzessen abseits des Spiels, die in der Netflix-Dokumentation «Angriff auf Wembley» so eindrücklich nacherzählt werden.

Rashford wird wie Jadon Sancho in der 120. Minute eingewechselt, immerhin rechtzeitig fürs Elfmeterschiessen. Nach total fünf Schützen liegen die Engländer vorn, weil die Italiener einmal verschossen haben. Das Stadion kocht. Rashford läuft an und verschiesst. Seine ganze Verunsicherung hat sich im Anlauf gezeigt. Nach ihm vergibt Sancho, schliesslich auch noch Bukayo Saka. Italien gewinnt. Und für England tun sich Abgründe auf. 

Die Schuldigen dafür in der Öffentlichkeit: Rashford, 23, schwarz; Sancho, 21, schwarz; Sako, 19, schwarz. Im Internet und auf den Strassen legt der Mob umgehend los: Die drei jungen Männer werden rassistisch beleidigt und mit Morddrohungen eingedeckt. Die Auswüchse sind verstörend. In Withington, einem Stadtteil von Manchester, wird ein Wandgemälde von Rashford verunstaltet.

Die Reaktion darauf bleibt nicht aus. Viele schauen beim Gemälde an der Copson Street vorbei und hinterlassen ihre Botschaften, «Held», «Bruder» und «Vorbild» heisst es da. Es sind so viele, dass am Ende nur noch der Kopf von Rashford zu sehen bleibt. Er schreibt: «Ich kann mir Kritik an meiner Leistung den ganzen Tag lang anhören, mein Elfmeter war nicht gut genug, er hätte reingehen sollen. Aber ich werde mich niemals dafür entschuldigen, wer ich bin und wo ich herkomme.»

Ein Wechsel als einziger Ausweg

Nach der EM kehrt er zu seinem Club zurück und sieht sich auf einmal an den Rand gedrängt. Cristiano Ronaldo ist wieder da, CR7, um den sich fortan alles dreht. Rashford erholt sich erst in der Saison darauf wieder von dieser Degradierung und führt die United mit 17 Toren zurück in die Champions League. 

Zum Dank erhält er einen Fünfjahresvertrag, der ihn zum reichen jungen Mann macht – zum jungen Mann auch, der sich, so hat die «Süddeutsche Zeitung» einmal gemutmasst, durch die enormen Höhen und Tiefen verändert zu haben scheint. Die fehlende Ernsthaftigkeit im Beruf zeigt sich, wenn er nach Ballverlusten stehen bleibt oder nach Niederlagen nach Belfast fliegt, um da in einem Nachtclub zu feiern. Sein Statussymbol ist ein Rolls-Royce.

Nun versucht Ruben Amorim aus Portugal, ihn zu erziehen. Bislang ist er nicht zu ihm durchgedrungen – trotz aller Härte oder gerade deswegen. Altmeister wie Alan Shearer oder Gary Neville sehen für den heute 27-jährigen Stürmer nur einen Ausweg: den Club sofort zu wechseln. Am Samstag berichten nun die «Manchester Evening News», ein leihweiser Wechsel Rashfords zu Aston Villa stehe bevor. Viel Zeit bleibt dafür nicht. Am Montag zur Mittagszeit schliesst in England das Transferfenster.