Die grossen Fragen vor dem Ski-EndspurtKnackt Odermatt Fabelrekorde – und gelingt Gut-Behrami tatsächlich der Coup?
Nach einer kurzen Pause rüstet sich der Weltcup für die finale Phase. Mittendrin: viele Schweizer und Schweizerinnen. Im Positiven wie im Negativen.
Verbessert Odermatt seinen eigenen Punkterekord?
2042 Punkte – Marco Odermatts Ausbeute im letzten Winter war einzigartig. 26 Rennen bestritt er damals, im Schnitt holte er fast 79 Punkte, was in etwa Rang 2 entspricht.
In dieser Saison hat der 26-Jährige 17 Rennen absolviert, er ist sogar noch besser unterwegs, steht schon bei 1406 Punkten (Durchschnitt knapp 83). Weil er – Absagen ausgenommen – noch zehn Einsätze vor sich hat, ist die Chance mehr als intakt, dass er den Rekord pulverisiert.
Nicht mehr möglich sind derweil die 2414 Punkte, die einst Tina Maze herausgefahren hat, ausser Odermatt käme auf einmal doch noch auf die Idee, die Slalom-Ski anzuschnallen. Was er aber gewiss nicht tun wird.
Welche Bestwerte kann der Ausnahmefahrer sonst aufstellen?
Odermatt setzt neue Massstäbe – und sorgt dafür, dass die Rekordbücher umgeschrieben werden müssen. Bei neun Saisonsiegen steht er bereits, den Rekord (13) hat er letztes Jahr aufgestellt, er teilt ihn sich mit Marcel Hirscher (2013/14), Hermann Maier (2000/01) und Ingemar Stenmark (1978/79). Diesen Bestwert könnte er verbessern, Gleiches gilt für die meisten Podestplätze in einem Winter (22), wobei Odermatt hierfür in den restlichen zehn Rennen achtmal die Top 3 erreichen müsste.
Noch ungeschlagen ist der Nidwaldner in dieser Saison im Riesenslalom. Alle Rennen in dieser Sparte gewann einst Jahrhundert-Skifahrer Stenmark (1978/79). Bei 66 Podestplätzen ist Odermatt mittlerweile angelangt, noch einer, und er schliesst zu Didier Cuche auf. Von den Schweizern liegt einzig Pirmin Zurbriggen (83) vor ihm – ebenso bei den meisten Siegen. Mit 40 Erfolgen ist Zurbriggen die ewige Nummer 6, Odermatt folgt mit 33 auf Rang 10. Er könnte den Walliser bis Ende März also theoretisch gar überholen.
Wer gewinnt die grosse Kugel bei den Frauen?
Lara Gut wollte nichts hören von einem möglichen Sieg im Gesamtweltcup. Selbst dann nicht, als auch noch Lindsey Vonn verletzt ausfiel, die letzte Gegnerin im Kampf um die begehrteste Trophäe im Skizirkus. Erst als die Tessinerin die grosse Kristallkugel in den Händen hielt, redete sie über den grössten Sieg ihrer Karriere.
Fast acht Jahre ist das nun her, Gut längst als Gut-Behrami am Start und mit 32 eine der routiniertesten Athletinnen. Doch die Situation ähnelt jener des Winters 2015/16. Wieder ist ihre grösste Gegnerin im Wettstreit um die Ski-Krone eine Amerikanerin. Wieder erlitt diese im Frühjahr eine Verletzung. Mikaela Shiffrin, schon fünfmal die beste Skifahrerin des Winters, ist in der Abfahrt von Cortina gestürzt. Den Super-G und die zweite Abfahrt liess sie aus wie den Riesenslalom in Kronplatz – während Gut-Behrami Zweite und Fünfte wurde, ehe sie den Super-G und den Riesenslalom gewann. Macht: 325:0 Punkte. Der Rückstand der Schweizerin beträgt nur noch 95 Punkte.
Der Unterschied zu 2016: Shiffrin dürfte zurückkehren, und das bald. Sie kam ohne Bruch und Riss davon, ein Innenband im Knie ist aber überdehnt. Geplant ist, dass die 28-Jährige schon am 10. Februar in Soldeu am Start stehen wird, der Riesenslalom in Andorra ist nach den Absagen von Garmisch-Partenkirchen das nächste Rennen. Und doch spricht einiges für Gut-Behrami. In Abfahrt, Super-G und Riesenslalom ist sie derzeit eher stärker einzuschätzen als Shiffrin, und in diesen Disziplinen stehen noch vier, fünf und drei Rennen an. Im Slalom, den die Amerikanerin dominiert und zu dem Gut-Behrami nicht startet, sind es noch drei Rennen.
Bleibt die Schweiz die Nummer 1?
30 Saisons in Folge war Österreich unantastbar, war der Nationencup quasi entschieden, bevor das erste Rennen überhaupt gestartet war. Zwischen 1990 und 2019 rasten und wedelten Schweizerinnen und Schweizer der ÖSV-Belegschaft hinterher, im Winter 2012/13 war Swiss-Ski gar nur die siebte Kraft. Und nun? Steht die Schweiz vor dem vierten Triumph in der Länderwertung in den letzten fünf Jahren.
Knapp 1000 Punkte liegt Österreich zurück, der Rückstand wird in den restlichen 31 Rennen bis Ende März kaum mehr aufzuholen sein. Ausnahmeathletin Gut-Behrami und Dominator Odermatt haben über ein Drittel aller Punkte beigesteuert, die Abhängigkeit ist offensichtlich. Wobei die klare Führung auch etwas überrascht, zumal mit Wendy Holdener eine der fleissigsten Punktesammlerinnen der letzten Jahre fast die ganze Saison verpasst.
Holen die Schweizer wieder viele Fixplätze?
Was war das für ein wunderbares Bild für die Schweizer Männer nach dem letzten Winter: Dreifachtriumph in der Gesamtwertung des Europacups, Dreifachtriumph auch im Riesenslalom, einzig im Slalom gab es keinen Top-3-Rang und damit keinen Fixplatz für den Weltcup. Josua Mettler ist als Gesamtsieger gar berechtigt, in dieser Saison auf höchster Stufe sämtliche Disziplinen zu bestreiten. Düster dagegen sah es bei den Frauen aus, die in keiner Wertung auf dem Podest standen.
Im Kampf um einen definitiven Startplatz für die kommende Saison sind nun die Zeichen umgekehrt, schwächeln die Männer. In der Europacup-Gesamtwertung ist nach rund der Hälfte der Rennen einzig Fadri Janutin als Vierter unter den Top 10 – hinter drei Österreichern. In der Abfahrt haben Lars Rösti und Livio Hiltbrand als Dritter und Vierter Aussichten auf einen Fixplatz, im Super-G dagegen dürfte die Schweiz leer ausgehen. Im Riesenslalom hat Livio Simonet als Sechster die besten Chancen seines Teams, im Slalom ist es Reto Schmidiger als Zweiter.
Bei den Frauen taucht ein Name immer wieder auf: Janine Schmitt. Die 23-jährige St. Gallerin ist Vierte in der Gesamtwertung und in der Abfahrt, im Super-G führt sie gar. Im Riesenslalom könnte sich Stefanie Grob einen Weltcupplatz sichern, derzeit ist sie Zweite. Und die Slalomwertung führt mit Nicole Good eine Schweizerin an, die nebenbei in diesem Winter auch schon acht Weltcupslaloms gefahren ist. In Lienz überraschte die 26-Jährige als Neunte.
Welche Schweizer und Schweizerinnen sind auf Wiedergutmachung aus?
Er wisse allmählich nicht mehr, wie er seine schlechten Leistungen erklären solle, sagte Niels Hintermann einmal in diesem Winter. Es läuft dem Zürcher Unterländer nicht wie gewünscht und wie zuletzt gewohnt. Zehnter, Siebter und Achter in den Abfahrten von Gröden, Bormio und Wengen, das war es mit den Top-10-Plätzen. Zuletzt schied Hintermann in Kitzbühel aus, gab es die Ränge 25 und 30 sowie den nächsten Ausfall im Super-G von Garmisch. In den letzten zwei Abfahrten und Super-G will der 28-Jährige ein versöhnliches Saisonende schaffen.
Ähnliches gilt für das Schweizer Slalomteam, das mit den Rängen 8 (Daniel Yule), 9 (Marc Rochat) und 11 (Loïc Meillard) zwar ordentlich vertreten ist in der Gesamtwertung, jedoch nicht ganz so weit vorne wie erwartet. Besonders Ramon Zenhäusern hat einen schwierigen Januar hinter sich. Nach Rang 14 in Adelboden ist er in Wengen gestürzt, hat Kitzbühel wegen Rückenschmerzen ausgelassen und ist in Schladming ausgefallen. Die gute Nachricht für die Slalomfahrer: Sie haben erst die Hälfte ihrer Rennen absolviert und noch sechs vor sich – das nächste am Sonntag in Chamonix.
Bei den Frauen dürfte sich vor allem Corinne Suter deutlich mehr erhofft haben von diesem Winter. Rang 24 in der Abfahrtswertung und Platz 12 im Super-G sagen viel darüber aus, wie harzig die Saison lief für die Abfahrts-Weltmeisterin und -Olympiasiegerin. Wiedergutmachung kann die Schwyzerin auch keine betreiben, weil ihr in Cortina das Kreuzband riss. Positiv für die Medaillenhamsterin: Im nächsten Winter geht es in Saalbach wieder um WM-Edelmetall.
Gehen die Österreicher erneut leer aus im Kugelkampf?
Nochmals zurück zur einstigen Ski-Grossmacht, die reichlich Glanz verloren hat. Im letzten Winter ging Österreich leer aus, im Gesamtweltcup, in den Disziplinenwertungen, im Nationencup. Gleiches war schon in der Saison 2019/20 geschehen, auch da landeten sämtliche Kristallkugeln bei der Konkurrenz – Debakel, Katastrophe, Krisenstimmung.
Ein weiterer Nuller ist zwar nicht ausgeschlossen, aber er könnte verhindert werden. Denn: Manuel Feller führt im Slalomweltcup, sechs Rennen vor Schluss liegt er 132 Punkte vor Linus Strasser. Chancen auf Kristall hat auch Cornelia Hütter als Zweite im Super-G hinter der derzeit allerdings entfesselten Gut-Behrami; Stephanie Venier (Abfahrt) und Vincent Kriechmayr (Super-G) wären schon auf ein ziemliches Nachlassen der Leader (Sofia Goggia und Marco Odermatt) angewiesen.
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