Ski-WM: Riesenslalom der MännerEin Österreicher siegt vor zwei Schweizern – und im TV wird gegen Odermatt gestichelt
Raphael Haaser gewinnt sensationell WM-Gold. Thomas Tumler und Loïc Meillard stehen mit ihm auf dem Podest. Odermatt verpasst die Medaillen knapp.

Irgendwie mag dieser Raphael Haaser nicht ganz zu der Stimmung passen, die herrscht im Zielstadion von Saalbach-Hinterglemm – und allmählich zu überborden droht. Da johlt die Masse erst «Oh, wie ist das schön» und später die Zeilen des Lieds «Major Tom»: «Völlig losgelöst!»
Und der Mann, wegen dem die Tausenden gerade mental mit Major Tom in der Rakete sitzen und Richtung Himmel fliegen? Läuft von Mikrofon zu Mikrofon und redet, als hätte er einen Wadenkrampf zu erklären.
Dabei ist Haaser das: Weltmeister im Riesenslalom, Überraschungs-, nein, Sensationssieger. Ein 7. Rang, das war das Beste, was der Tiroler bislang zustande brachte in dieser Disziplin. Und jetzt schlägt er die gesamte Elite an dem Tag, an dem er vor Heimpublikum nichts zu verlieren hat. «Ich weiss nicht, was ich sagen soll, es ist der Wahnsinn, es ist gewaltig», sagt Haaser, als würde er zu diesen Superlativen gedrängt. Seine monotone Stimme gibt die Euphorie seiner Worte nicht im Ansatz wieder. «Ich habe mir gesagt, dass nur der erste, zweite und dritte Rang etwas zählen – das klingt hart: So gut platziert war ich noch gar nie.»
Die Geschichte des 27-Jährigen ist auch wegen der jüngsten Vergangenheit eine spezielle. Mitte Dezember stürzte Haaser beim Riesenslalom in Val-d’Isère beinahe und musste wegen eines stark überdehnten Kreuzbandes pausieren. Erst in Kitzbühel vor drei Wochen kehrte er zurück – mit Rang 2 im Super-G hinter Marco Odermatt.
Der grosse Schreck für die Familie Haaser
Und dann begann diese WM im Salzburgerland für die Haasers erst noch schlechtestmöglich. Ricarda Haaser, die Schwester von Raphael, erleidet im Super-G einen Kreuzbandriss. Die Reaktion ihres Bruders tags darauf: Er holt Silber im Super-G hinter Odermatt. Und nun also lässt er Gold folgen.
Haaser sorgt damit nicht nur für rot-weiss-roten Freudentaumel, er verhindert den nächsten Schweizer Dreifachsieg, indem er Thomas Tumler, Loïc Meillard und Marco Odermatt auf die Plätze verweist. Darüber ist man beim österreichischen Fernsehsender ORF offensichtlich besonders glücklich.
Erst musste sich schon Timon Haugan als Führender des ersten Laufs anhören, er könne noch verhindern, dass die Schweizer nach Super-G (Odermatt), Abfahrt (Franjo von Allmen) und Teamkombination (von Allmen/Meillard) erneut Gold gewinnen. Nach seinem Wunderlauf ist es Haaser, der vom Moderator diese Spitze Richtung Schweizer Team und vor allem Superstar Odermatt hört: «Sie haben jetzt Gold und Silber geholt – Odermatt hat nur Gold. Was sagen Sie zu dieser Bilanz?» Als ob das oberste Ziel eines Rennfahrers wäre, einfach mehr Medaillen zu gewinnen als der Nidwaldner. Haasers durchaus souveräne Antwort: «Er hat dafür sonst schon mehr gewonnen als ich.»
Aber an diesem Tag, da geht Odermatt leer aus. Es ist eigentlich verrückt. Von den letzten 19 Riesenslaloms hat der Nidwaldner sagenhafte 15 gewonnen. Dass er nun Bronze um sieben Hundertstel verpasst, schmerzt den 27-Jährigen. «Natürlich ist das enttäuschend. Ich, mit meiner Geschichte, kann nicht zufrieden sein mit einem vierten Platz in einem Riesenslalom. Ich habe versucht, Vollgas zu geben, leider ist mir vor der Fläche ein grosser Fehler unterlaufen, der viel Tempo kostete.»
Odermatt opferte die Teamkombination
Was ihn besonders ärgert: Er hat auf einen Auftritt in der Teamkombination am Mittwoch verzichtet, um für den Riesenslalom zu trainieren, «ich habe sie geopfert, um jetzt eine Medaille zu holen. Das tut nun doppelt weh.»
Am Mittwochnachmittag stand Odermatt im Zielraum an vorderster Front, als es den Schweizer Dreifachsieg seiner Teamkollegen zu bejubeln gab. Nun, sagt Odermatt, dürfte er wohl etwas länger brauchen, um sich für sie zu freuen: für Tumler, der Silber holt, und Meillard, der Bronze gewinnt.
Die Reaktionen der Schweizer sind überhaupt bemerkenswert, die Trainer und Betreuer verwerfen die Hände, als Haaser die Führung übernimmt und ihre Athleten danach knapp an der Zeit scheitern. Klar. Aber dass es letztlich dennoch zwei Medaillen gibt? Es scheint hingenommen zu werden.
Das zeigt nur, wie erfolgsverwöhnt das Schweizer Männerteam ist, das nun schon acht Medaillen gewonnen hat von insgesamt zehn der Schweizer Delegation. Die anderen zwei: die beiden Silbermedaillen des Teamevents und in der Teamkombination der Frauen durch Wendy Holdener und Lara Gut-Behrami.
Viel Geduld mit Thomas Tumler
Für Tumler, der schon beim Team-Silber zur Eröffnung dieser WM dabei war, ist es ein wunderbarer Tag. Es ist eine Krönung eines Wegs, der eigentlich schon zu Ende schien. Vor vier Jahren stürzte der Bündner im Training und erlitt einen Bandscheibenvorfall, der operiert werden musste. Die Rückkehr war kompliziert, die Resultate kamen nicht wie gewünscht, in der Folge bestritt Tumler 2022 in Wengen seinen letzten Super-G und setzt seither nur noch auf den Riesenslalom. «Die Verletzung hat, so blöd es tönt, gut getan. Ich war lange ungeduldig und dachte, es müsse alles schneller gehen. Die Verletzung holte mich zurück und zeigte mir, welches Privileg ich habe», sagt Tumler. Und: «Es ist auch schön, das Vertrauen von Swiss-Ski gespürt zu haben. Man hätte mich vor drei Jahren auch aus den Kadern kicken können.»
Doch die Betreuer glaubten an Tumlers Durchbruch, er sei ohnehin schon immer einer gewesen, der etwas länger gebraucht habe für alles, sagt er selbst. Im letzten Dezember dann machte er sich mit seinem Triumph in Beaver Creek erstmals zum Weltcupsieger. Und jetzt also ist er bester Schweizer in diesem WM-Riesenslalom und Silbermedaillengewinner, weil er nach einem Fehler im oberen Teil alles riskiert hat. «Es war am Limit», sagt Tumler, «letzte Rille». Es geht voll auf. Mit 35 erlebt Tumler seinen bisherigen Karrierehöhepunkt.
Meillard, der mit ihm aufs Podest steigt, ist sieben Jahre jünger – und deutlich weniger euphorisch. Er hat ein besseres Resultat mit einem zaghaften Mittelteil vergeben. «Es ist eine kleine Enttäuschung», sagt Meillard. «Ich hätte mehr attackieren müssen.» Er versucht nun, sich am Samstag so gut wie möglich zu erholen, am Sonntag gehört er auch im Slalom zu den Favoriten. Reicht die Kraft dafür aus nach dieser Woche, die ihm Gold in der Teamkombination und Bronze im Riesenslalom eingebracht hat? Meillard sagt: «Ich muss nur zweimal eine Minute Gas geben, den Rest nehme ich gemütlich.»
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Startnummer 15 – Stefan Brennsteiner
Das darf nicht wahr sein: Der Österreicher verliert schon kurz nach dem Start den rechten Ski. Ski-Experte Hans Knauss dreht auf ORF fast durch und kriegt sich kaum mehr ein. Aber wir geben zu: Viel mehr Pech kann man nicht haben.
Startnummer 14 – River Radamus
Der Amerikaner überrascht immer wieder mit kurligen Frisuren, seine Teamkollegen färben ihm quasi Woche für Woche die Haare. Auf der Piste läuft es Radamus in diesem Winter nicht optimal, mit Rang 10 und fast genau einer Sekunde Rückstand dürfte er zufrieden sein.
Startnummer 13 – Joan Verdu
Von wegen schlechte Piste: Gute Zeiten sind nach wie vor möglich. Der Andorraner Verdu aber verpasst ein gutes Ergebnis mit einem missglücktem Zielhang – Rang 13.
Startnummer 12 – Atle Lie McGrath
Der nächste Norweger kann hingegen nicht überzeugen: McGrath verliert über eine Sekunde und wird Elfter.
Startnummer 11 – Timon Haugan
Wow, was für eine Fahrt von Slalom-Spezialist Haugan! Der Norweger geht tatsächlich in Führung, im Ziel schaut er fast ungläubig auf die Anzeigetafel. Damit hat wohl selbst er nicht gerechnet. Zwei Hundertstel nimmt er Meillard ab, ganz unten war er der Schnellste. Was wird das für ein spannender zweiter Lauf.
Startnummer 10 – Luca De Aliprandini
Auch er hat schon eine WM-Medaille im Riesenslalom geholt, vor vier Jahren reichte es daheim in Cortina für Silber. Der Verlobte von Michelle Gisin, der sehr gut Schweizerdeutsch spricht, zeigt, weshalb er da und dort als Geheimfavorit galt: De Aliprandini liegt zeitgleich mit Tumler auf Platz 4.
Startnummer 9 – Marco Schwarz
Vor zwei Jahren in Courchevel holte er im Riesenslalom WM-Bronze. Nach seiner Knie- und Rückenverletzung wird er wieder stärker, Platz 5 lässt sich sehen. Das Publikum tobt. Auf den Bronze-Platz fehlen Schwarz rund vier Zehntel.
Startnummer 8 – Thibaut Favrot
Der Franzose wird immer stärker, und das zeigt er im ersten Lauf. Er verliert «nur» eine knappe Sekunde und wird Sechster.
Startnummer 7 – Thomas Tumler
Und schon ist der dritte Schweizer im Ziel. Thomas Tumler zeigt ebenfalls eine starke Leistung, er büsst nur 61 Hundertstel ein und wird Vierter. Wir wollen ja nicht übermütig sein, aber auch heute könnte es wieder einen helvetischen Dreifachsieg geben. Aber eben, übertreiben wirds nicht.
Startnummer 6 – Henrik Kristoffersen
Der Norweger will eine Medaille, um sich optimal vorzubereiten, liess er am Mittwoch die Teamkombination aus. Mit über acht Zehnteln Rückstand ist er Vierter, ganz unten büsst er viel Zeit ein. Die Medaille aber ist nach wie vor möglich.
Startnummer 5 – Marco Odermatt
Und auch der Topfavorit liefert ab! Oben ist er der Schnellste, ab Streckenhälfte aber hat er gegen Teamkollege Meillard das Nachsehen. Und doch: Odermatt verliert nur 22 Hundertstel, unzufrieden braucht er nicht zu sein. Wir haben eine Schweizer Doppelführung!
Startnummer 4 – Filip Zubcic
Noch ist es nicht die Saison des Kroaten, auf den ersten Podestplatz der Saison wartet er etwas überraschend noch immer. Mit 1,11 Sekunden ist auch sein Rückstand auf Meillard sehr gross. Dem Schweizer ist ein sehr starker Lauf geglückt.
Startnummer 3 – Zan Kranjec
Der Slowene ist der Inbegriff von Zuverlässigkeit. Nur: Ganz nach vorne reicht es Kranjec selten. Der Olympia-Zweite tut sich im ersten Sektor enorm schwer und büsst schon viel Zeit ein. Letztlich sind es 1,19 Sekunden Rückstand.
Startnummer 2 – Loïc Meillard
Vor zwei Jahren in Courchevel holte er Silber hinter Teamkollege Odermatt. Und Saalbach liegt ihm, hier gewann er letzte Saison den Riesenslalom am Weltcupfinal. Der Romand zeigt eine starke Leistung und übernimmt klar die Spitze: Er liegt 43 Hundertstel voraus. Im letzten Sektor aber büsste er noch zwei Zehntel ein.
Startnummer 1 – Alexander Steen Olsen
Gleich zwei Riesenslaloms hat er in diesem Winter gewonnen, in Sölden und Schladming – also jeweils in Österreich. Seine Leistungen sind umso erstaunlicher, weil er immer wieder an Kniebeschwerden leidet. Mit 1:21:55 setzt er die erste Richtzeit, es ist also ein sehr langer Lauf. Die Fahrt sah sehr sauber aus, aber auch etwas passiv.
Justin Murisier muss passen
Dank Titelverteidiger Odermatt hätten die Schweizer eigentlich fünf Startplätze. Justin Murisier aber muss wegen Kniebeschwerden passen.
Die Schweizer Riesenslalom-Weltmeister
1960: Roger Staub, 1976: Heini Hemmi, 1987: Pirmin Zurbriggen, 1997: Michael von Grünigen, 2001: Michael von Grünigen, 2009: Carlo Janka, 2023: Marco Odermatt.
Die Bedingungen
Es schneit in Saalbach, für einmal herrscht kein Kaiserwetter. Das Rennen kann aber stattfinden.
Die Favoriten
Die Schweizer, ist ja logisch. Und sonst? Es könnte zum Länderkampf mit den Norwegern kommen. Henrik Kristoffersen und Alexander Steen Olsen könnten zu Spielverderbern werden. Zu rechnen sein wird auch mit Filip Zubcic (Kro), Atle Lie McGrath (Nor) und allenfalls gar mit Luca De Aliprandini, dem Verlobten von Michelle Gisin.
Die Schweizer
Die Schweizer haben bisher alle Männerbewerbe dominiert und in drei Rennen gleich sechs Medaillen geholt. Auch heute ist die Swiss-Ski-Delegation favorisiert. Marco Odermatt geht als Titelverteidiger ins Rennen, für ihn kann nur Gold das Ziel sein. Auch Loïc Meillard gehört zu den Medaillenanwärtern, Thomas Tumler in dieser Saison auch schon ein Rennen gewonnen. Mit dabei ist auch Luca Aerni.
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