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Helden unserer Kindheit (3)
Marc Rosset – der Schiffbrüchige auf dem Tennisplatz

Marc Rosset beim Training am Australian Open 2000, vor einem blauen Hintergrund, mit freiem Oberkörper und Tennisschläger in der Hand.
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Es ist heiss am 8. August 1992, jedes vernünftige Kind quengelt so lange, bis die Eltern mit ihm in die Badi gehen. Doch es gibt Ausnahmen, zumindest diesen sechsjährigen Buben, der drinnen in der Stube hockt und fünf Stunden vor der Glotze sitzt und Tennis schaut. Spätestens danach glaubt er der Mutter nicht mehr, dass langes Fernsehen zu viereckigen Augen führt.

Tennis-Ass Marc Rosset bestreitet an jenem Samstag in Barcelona den Olympia-Final gegen den Einheimischen Jordi Arrese. Freundlich ausgedrückt verhält sich das spanische Publikum parteiisch. Das objektive Votum: Es ist ein unfairer Skandalhaufen! Dennoch gewinnt Rosset die ersten zwei Sätze, danach kriegt er einen Hitzschlag, er leidet, ich, das Kind vor der Glotze, leide mit. Im fünften Satz fängt er sich wieder, eine letzte Vorhand – Schluss, Sieg, Gold und die einzige Schweizer Medaille. Rosset legt sich auf den Rücken. Ein paar Tage später werde ich eingeschult; und im ersten Schulbericht schreibt die Lehrerin irritiert, ich würde mich im Turnunterricht nach Toren beim Fussballspielen regelmässig hinlegen.

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Ich werde der grösste Fan von «Allez-Marc», diesem eigenartigen, unkonventionellen und unberechenbaren Zweimeter-Turm, bei dem nur die Launen wuchtiger sind als der Service.

Ich schreibe das ganze Tableau auf, wenn er ein Turnier spielt. Und zerreisse es, wenn er in der 1. Runde verliert.

Mehrmals sehe ich Rosset in der Schweiz spielen. Nach seinem Sieg im Doppelturnier von Basel kriege ich ein Autogramm samt verschwitztem Händedruck, beim Davis-Cup in Olten bin ich zu Tode enttäuscht, als er nach seinem Sieg über einen marokkanischen Exoten schnurstracks an mir vorbeiläuft. Manchmal staune ich ob meinem Idol, wenn es wieder mal aus dem Nichts ein Turnier gewinnt. Dann imitiere ich ihn im Training, schlendere über den Platz und mache damit meinen Jugendtrainer wahnsinnig.

Marc Rosset entgeht der Tragödie

Aber Rosset irritiert mich zuweilen auch, wenn er auf dem Center Court wie ein Schiffbrüchiger aussieht, mit dem Bart und den unfrisierten Haaren, und dabei Schläger zertrümmert. Oder viel schlimmer noch: Mit der Faust in eine Werbebande schlägt und sich dabei die Hand bricht. 1998 wiederum bin ich einfach dankbar dafür, dass er nach dem US Open trotz gebuchtem Ticket nicht in die Swissair-Maschine steigt, die im Atlantik zerschellt.

Marc Rosset bei den French Open 2024 in Paris, im Portrait mit Kapuze und Basecap, vor einer Betonwand lehnend.

Einmal darf ich mit Rosset im nationalen Leistungszentrum in Biel gar ein paar Bälle schlagen, da bin ich 13. Zwölf Jahre später treffe ich ihn als Journalist, er ist längst zurückgetreten und spielt mit den Genfer Jungsenioren im NLA-Interclub gegen den TC Neufeld Bern. 115 Kilo wiegt er und hat während des Matchs einen Kaugummi im Mund, sein Aktionsradius beschränkt sich auf die Platzmitte. Gewinnen tut er dennoch. Und als wir über Olympia 1992 sprechen, wird er nachdenklich und sagt, er habe den Triumph damals nicht genug gefeiert. Die 12’000 Franken Prämie aber habe er für einen wohltätigen Zweck gespendet.

Marc Rosset, mein Held.

In unserer neuen Serie porträtieren wir Heldinnen und Helden aus unserer Kindheit. Diese Erinnerungen erscheinen in regelmässigen Abständen.