Ein Schweizer verzückt DeutschlandSie nennen ihn «Torwunder»
Handballer Manuel Zehnder ist Topskorer in der Bundesliga, der besten Liga der Welt. Er habe das Zeug zum Weltklassespieler. Sagt sein Trainer. Und er selbst.
Das Spiel zwischen dem SC Magdeburg und dem ThSV Eisenach ist noch keine Minute alt, als Manuel Zehnder zum Penalty antreten darf. Ihm gegenüber steht sein Nationalmannschaftskollege Nikola Portner. Doch der 24-jährige Zehnder lässt sich weder davon noch von den fast 6600 pfeifenden Zuschauern in der ausverkauften Getec-Arena in Magdeburg irritieren. Er trifft.
Insgesamt wirft Manuel Zehnder für Eisenach zehn Tore gegen Magdeburg und ist einmal mehr bester Torschütze seines Teams. Damit macht er sich wieder zum Leader der Torschützenliste der Bundesliga. Das heisst konkret: Der Schweizer ist der beste Torschütze der besten Liga der Welt. «Torwunder», schrieb kürzlich das Magazin «Sport Bild» über ihn.
Doch er sagt: «Wir machen einen Teamsport und sind Zweitletzter. Das ist das, was zählt.» Das 31:38 gegen den SC Magdeburg ist die fünfte Niederlage in Serie für den ThSV Eisenach.
Zehnder ist erst seit diesem Sommer beim Aufsteiger. Er kam aus Erlangen, einem Mittelfeldclub. Dort konnte er sich in der vergangenen Saison nicht wie gewünscht durchsetzen, er spielte nur wenig im breit besetzten Kader. Darum liehen ihn die Erlanger aus. Aufsteiger Eisenach sicherte sich die Dienste. Hier spielt Zehnder immer.
Zurück zum Mentor
Ein Zufall ist der Wechsel nicht. In Eisenach trifft Zehnder auf seinen Förderer Misha Kaufmann. Mit dem Trainer hänge auch die Entwicklung zusammen, sagt der Spieler. «Er ist der grösste Faktor neben mir, warum es mir aktuell so gut läuft.» Der Trainer arbeite viel mit ihm, auch neben dem Feld. Der Seeländer gilt als akribischer Trainer, der gerne auch unkonventionelle Wege geht. Der ThSV Eisenach verteidigt phasenweise in einer 3:3-Formation, was sonst in der Bundesliga keiner tut.
Zudem arbeitet Kaufmann mit seinen Spielern viel im mentalen Bereich. Dies sei überhaupt der Grund, warum man «diese Geschichte» schreiben könne, sagt er. Die Eisenacher sind zwar Zweitletzte, aber das ist schon viel mehr, als viele ihnen vor der Saison zutrauten. «Wir arbeiten sehr viel im Kopf miteinander, das Thema Psychologie interessiert mich extrem», sagt Kaufmann. Der Trainer gibt dem Spieler Zehnder das Vertrauen. Und dieser leitet die Geschicke im Angriff der Eisenacher. Er übernimmt auch von der 7-Meter-Linie oder unter Zeitdruck die Verantwortung.
Auch darum führt er noch eine zweite Statistik an: Er ist der Spieler mit den meisten Fehlwürfen der ganzen Liga. 79 sind es nach 13 Spielen. «Nur weil ich Erster in der Torschützenliste bin, heisst das noch lange nicht, dass ich in jedem Spiel super bin. Ich habe auch meine schlechten Spiele», sagt Zehnder dazu. Kaufmann sieht vor allem in der Spielführung der Entscheidungsfindung noch Potenzial bei seinem Schützling. Er sagt aber auch: «Wenn er das schafft, dann hat er alle Möglichkeiten zum Weltklassespieler.»
Grössere Rolle bei der EM
Gross geworden ist Manuel Zehnder in Aarau. Beim HSC Suhr Aarau lernte er das Handballspielen. Dort traf er zum ersten Mal auf Kaufmann. Der Trainer holte ihn früh in die erste Mannschaft. Die Zusammenarbeit war eng – Zehnder galt dort schon als Kaufmanns verlängerter Arm auf dem Feld. Nun sei der Austausch noch deutlich intensiver, so der Mittelmann.
Den Einfluss des Trainers sieht man auch im Spiel des 24-Jährigen. Kaufmann wie Zehnder sind oder waren eigentlich Regisseure, schiessen dafür aber untypisch viele Tore. Kaufmann war in der Schweizer Liga einst Torschützenkönig, Zehnder führt nun die Wertung in der Bundesliga an. Wegen seiner Torgefahr kommt Zehnder in der Nationalmannschaft auch auf der Shooterposition im linken Rückraum zum Einsatz. Aber der Vergleich zu Kaufmann wird Zehnder nicht ganz gerecht, er ist der deutlich wendigere und elegantere Spieler als sein Mentor. Sagt Kaufmann.
Die Vergleiche werden aktuell eher zu Andy Schmid gezogen, dem besten Schweizer Handballer der Geschichte. Auch wenn Zehnder sie nicht mag: Schmid spielte ebenfalls im Rückraum und war fünfmal in Folge MVP der deutschen Liga. Zehnder sagt: «Ich will nicht der Nachfolger von Andy Schmid werden, sondern meine eigenen Fussabdrücke hinterlassen.» Heisst: möglicherweise sogar besser werden. «Ich will einer der besten Handballer der Welt werden», sagt Zehnder unverblümt. Klar sei es ein grosses Ziel, aber dies mache Sportler aus: sich Ziele zu setzen, die nicht unbedingt erreichbar scheinen.
Das gilt auch für die EM im Januar in Deutschland, bei der Zehnder eine aktive Rolle im Schweizer Spiel übernehmen soll. Dabei war lange nicht sicher, dass Zehnder für die Schweiz aufläuft – der Doppelbürger hatte mit sich gerungen, ob er nicht lieber für Deutschland spielen will. Die Verantwortlichen auf Schweizer Seite hätten sich dann aber sehr um ihn bemüht, sagt er.
In erster Linie war das Nationaltrainer Michael Suter zu verdanken, dieser hat das Talent des jungen Manuel Zehnder bereits früh erkannt. «Wir haben in der Eulachhalle in Winterthur ein Sichtungstraining für die Juniorennationalmannschaft gemacht, Manuel Zehnder war nebenan an einem Turnier der Regionalauswahl und gar nicht für uns vorgesehen», erzählt Suter.
Schon im ersten Moment sei ihm aufgefallen, dass Zehnder etwas Spezielles habe. Den Nachmittag verbrachte Zehnder beim Sichtungstraining. Später spielte er in der U-19-Nationalmannschaft von Suter. Vor zwei Jahren debütierte er für die Schweiz bei einem Nationalmannschaftsturnier in Tunesien, auch das unter Suter.
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