Der unberechenbare NationalspielerFür ihn kauft der Topclub sogar Katzenstreu
Manuel Maurer war in keiner Juniorenauswahl, nun steht er vor seiner sechsten WM. Die Geschichte eines unkonventionellen Unihockeyspielers, der das Risiko sucht und Katzenjammer scheut.
- Unihockey-Nationalspieler Manuel Maurer kehrte nach drei Jahren aus der weltbesten schwedischen Liga in die Schweiz zurück.
- Der 31-Jährige entschied sich für Rychenberg Winterthur statt seinen Jugendverein Köniz, was für Aufsehen sorgte.
- Maurers unkonventioneller Stil macht ihn auf dem Feld unberechenbar.
- An der bevorstehenden Weltmeisterschaft in Malmö ist er als Leader gefragt.
An einem Maiabend kurz vor acht bricht im Büro des HC Rychenberg Winterthur Hektik aus. Geschäftsführer Mario Kradolfer hat eben einen Anruf erhalten. Er muss los. Bald ist Ladenschluss. Und Kradolfer braucht Katzenstreu.
Minuten später steht er an der Migros-Kasse. An einem Sack saugfähigem Naturton soll es nicht scheitern, dass sich einer der besten Skorer mit Schweizer Pass in Winterthur willkommen fühlt.
Etwa zur gleichen Zeit steigt Manuel Maurer in Kopenhagen ins Flugzeug. Gemeinsam mit Freundin Sara und zwei verstörten Katzen im Handgepäck kehrt er nach drei Jahren aus Schweden in die Schweiz zurück. Der Reisestress der Tiere zerrt auch an seinen Nerven. Jetzt lehnt er sich auf seinem Sitz halbwegs beruhigt zurück: Immerhin das Katzenklo ist organisiert.
Dies ist die einzig lustige Anekdote, die man sich in Winterthur über Manuel Maurer erzählt. Sie amüsiert die Leute im Verein gerade deswegen, weil sie nicht so recht zu seinem sonst so souveränen Auftreten passen will. Er selbst weiss das auch, lacht und sagt, dass er ja eigentlich ein total nüchterner Mensch sei. «Aber an diesen Katzen habe ich einen Narren gefressen.» Zum Beweis streckt er seinen linken Unterarm aus, auf dem schwarz die Umrisse eines Kätzchens tätowiert sind.
Absage an den Herzensverein
Der gebürtige Berner sitzt an diesem Freitagnachmittag Mitte November auf den Rängen der Axa-Arena und beobachtet, wie auf dem Feld drei seiner Mitspieler den neuen Hallenboden testen. Die schmucke Heimstätte des HC Rychenberg ist einer der Gründe, warum Maurer nach drei Saisons in der schwedischen Superliga Winterthur wählte – und nicht seinen Heimatclub Köniz, mit dem er zwei Meistertitel und einen Cupsieg errang.
Der Entscheid sorgte in der Unihockeyszene für Aufsehen. Köniz war konsterniert, Winterthur wurde gratuliert. Denn bis dahin war es quasi eine Selbstverständlichkeit, dass Spitzenspieler nach ihrem Abstecher nach Schweden zu ihrem Stammclub zurückkehren. Doch der 31-jährige Maurer hat rational abgewogen, «welcher Club mir die besten Voraussetzungen bietet, um noch möglichst lange auf höchstem Niveau Unihockey zu spielen».
Volle Arena statt Turnhallen-Groove
Der HCR machte das Rennen, weil er kurze Wege und eine volle Arena garantiert. In Winterthur finden die Spieler auf dem Campus WIN4 alles an einem Ort – Halle, Kraftraum, medizinische Versorgung. Die Trainingszeiten ermöglichen freie Abende, und der Zuschauerschnitt an Heimspielen liegt mit rund 1500 Leuten dreimal so hoch wie in jeder anderen Unihockeyhalle im Land. Maurer sagt es so: «Wer einmal in Schweden gespielt hat, dem fällt es schwer, sich wieder an den Turnhallen-Groove in der Schweiz zu gewöhnen.» Die Axa-Arena ist die attraktive Ausnahme.
Winterthur und Maurer, das ist Win-win. Rychenberg spielt seit der Gründungszeit des Unihockeys in der Schweiz ununterbrochen in der höchsten Liga – es sind aber auch gut 40 Jahre ohne einen Meisterpokal. Der Titelhunger ist gross, und Maurer soll helfen, ihn zu stillen. Nach acht Runden trägt er erwartungsgemäss das Topskorer-Shirt.
Manuel Maurer ist ein unkonventioneller Spieler. Einzigartig darin, wie er den Gegner steuert, täuscht und zu Fehlern verleitet. Sein hartnäckiges Forechecking gilt in der Liga als besonders lästig.
Cheftrainer Samuel Eberle zieht die Parallele zu Basketball-Superstar Stephen Curry, der in der NBA Verteidigungen geradezu zermartert. Jeder Gegner wisse, was von diesen Spielern zu erwarten sei, sagt Eberle. «Und trotzdem fallen alle immer wieder darauf herein.»
Maurer ist es bewusst, dass kaum einer auf dem Unihockeyfeld so risikofreudig spekuliert wie er. Wohl auch darum stürmte er nie für eine nationale Juniorenauswahl. Durchgesetzt hat er sich später trotzdem, weil er das Spiel schneller liest als die meisten anderen. Sein Leitspruch lautet: «Wenn du etwas Komisches machst, musst du darin einfach richtig gut sein. Dann ist es okay.» In Schweden hat sich das abermals bestätigt.
In Schweden sind sie zuerst irritiert
Nach zwei kurzen Abstechern wechselt er 2021 gleich für mehrere Saisons zu den Växjö Vipers. In einem der ersten Trainings soll Captain Ludwig Persson den Sportchef gefragt haben: «Warum in aller Welt habt ihr einen so limitierten Spieler engagiert?» Maurer findet das heute noch lustig und sagt, er habe am Stock die Skills eines durchschnittlich talentierten Juniors. «Erst als wir ernsthaft gespielt haben, hat sich die Sache geklärt.»
Der Schweizer Stürmer steht auch in der weltbesten Liga auffallend oft am richtigen Ort und verschafft sich mit insgesamt 132 Toren und 138 Assists in 155 Partien international Anerkennung. Anfang dieses Jahres wird Maurer als zehntbester Unihockeyspieler weltweit ausgezeichnet.
Katzen aus dem Tierheim
Auf dem Feld ist der Druck hoch, daneben aber lebt Maurer im südschwedischen Växjö ungewohnt entspannt. Das Stresslevel verortet er in Skandinavien deutlich tiefer als in der Schweiz. «Sobald du kränkelst, befehlen dir alle, einen Gang zurückzuschrauben.»
Neben seiner Teilzeitarbeit in einem Lager hat er genügend Zeit, um Schwedisch zu lernen und mit seiner Freundin das Land zu erkunden. Das Paar entdeckt dabei nicht nur die vielen kleinen Seen in der Provinz Smaland, sondern auch seine Katzenliebe und adoptiert einen ausgewachsenen Kater und eine kleine schwarze Katze aus dem städtischen Tierheim.
Aus der Zeit in Växjö kennt Maurer auch Nationalcoach Johan Schönbeck. Der 52-jährige Schwede war damals Chefcoach der Vipers und hat den Schweizer nicht nur auf dem Unihockeyfeld, sondern auch auf einigen Streifzügen durch die schwedischen Supermärkte begleitet. Schönbeck erinnert sich daran, wie er mit ihm die Regale nach Schokoladenjoghurt absuchte. «Nichts hat ihn zufriedengestellt», sagt er. Maurer winkt ab. Sie hätten ihm nicht Joghurt, sondern Puddings aufgetischt. Irgendwann hat er darum ganz auf seine Lieblingsverpflegung verzichtet.
Ob vor dem Kühlregal, dem gegnerischen Tor oder auf Social Media – Manuel Maurer funktioniert nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip. Während der Pandemie hat er sich von allen sozialen Plattformen abgemeldet und seine Accounts gelöscht. Videos, Follower und Likes wurden mit einem Klick bedeutungslos. «Ich konnte mich schlecht abgrenzen, wollte meine Zeit aber bewusst anders füllen», erklärt er. «Und ich hatte die Vergleiche mit anderen Unihockeyspielern satt.» Es ist die bemerkenswerte Aussage eines Athleten, dessen Spiel als unvergleichlich gilt.
Routinier unter WM-Debütanten
Mit seiner Erfahrung ist Maurer an den bevorstehenden Weltmeisterschaften in Schweden (7. bis 15. Dezember) als Leader und Vorbild gefordert. Denn nach einem Umbruch im Team reisen die Schweizer gleich mit zwölf WM-Debütanten nach Malmö. Schönbeck schätzt Maurers Gelassenheit genauso wie seine Unberechenbarkeit. Das, so der Nationalcoach, sollen sich die jungen Spieler von ihm abschauen.
Seine eigene WM-Premiere bestritt Maurer vor zehn Jahren in Göteborg. Er wurde damals direkt aus der Könizer U-21 ins A-Nationalteam berufen, was zu einem kleinen Kuriosum führte: Für wenige Wochen hatte er mehr Skorerpunkte in der Nationalmannschaft als in der NLA auf dem Konto.
Inzwischen ist er 114-facher Nationalspieler, steht vor seinen sechsten Weltmeisterschaften und freut sich auf einen entspannten Flug. Denn die Katzen bleiben währenddessen in Winterthur.
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