E-Scooter-Auswertung4500 E-Trottis in Zürich – auch in Stosszeiten stehen die meisten nur rum
Zürich ist voller E-Trottinette. Edo Poljak wartet die Scooter im 24-Stunden-Betrieb. Unsere Datenanalyse zeigt, wie viele es schweizweit sind, wo sie rumflitzen – und wo sie nur rumstehen.
«Manchmal suche ich eine halbe Stunde lang, bis ich das Trotti finde», sagt Edvin Poljak, während er sich über ein Gebüsch reckt. Edo, wie er lieber genannt werden will, ist ein Hunter. So nennt Arbeitgeberin Voi Schweiz ihr Flottenpersonal, das sich um die Wartung und Instandhaltung der E-Trottis kümmert.
In Zürich arbeiten die Hunter, die «Jäger», von Montag bis Sonntag im 24-Stunden-Schichtbetrieb. Denn das Geschäft mit den elektrischen Flitzern brummt.
Edo schaut auf die farbige Karte auf seinem Smartphone, zieht sie mit zwei Fingern grösser. «Hier sehe ich alles: wo die Trottis stehen, welche kaputt sind oder bei welchen der Akku leer ist.» Gerade sucht er hinter einem Wohnhaus in Altstetten nach einem mit leerem Akku. Doch das rote E-Trotti ist nirgends zu sehen.
«Ein Vorteil an unserem System ist, dass wir das Trotti piepen lassen können.» Und tatsächlich: Hinter einer nahe gelegenen Mauer macht sich das Fahrzeug bemerkbar. Auch hat Voi vor einem Jahr eine Fotopflicht eingeführt. Sobald die Kundin oder der Kunde das Trotti abstellt, muss er ein Foto in der App hinterlegen. Das hilft bei der Suche zusätzlich.
Edo geht einmal ums Haus herum und packt sich das Trotti. Nun muss er, wie bei jedem Einsatz, auf dem Smartphone einen 20-Punkte-Plan durchgehen. Funktionieren die Bremsen? Ist das Schutzblech ganz? Ist es sauber? Alles in Ordnung. Nur eben die Batterie ist leer.
Mitnehmen muss er das Trotti deswegen nicht. Mittlerweile werden die Akkus vor Ort ausgetauscht. Keine fünf Minuten nachdem Edo das Trotti gefunden hat, jagt er bereits das nächste blinkende Trotti-Symbol.
Über 4000 E-Trottis allein in Zürich
Vor vier Jahren kamen die ersten Leih-E-Trottis in die Schweiz. Heute sind sie aus den Städten kaum mehr wegzudenken. Und sie polarisieren wie kaum ein anderes Gefährt.
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Das Tamedia-Team Daten & Interaktiv hat während einer Woche die Standorte aller Leih-E-Trottinetts in der Schweiz aufgezeichnet und ausgewertet. Fünf ausländische Anbieter dominieren den Schweizer Markt: Voi aus Schweden, Bolt aus Estland, Lime aus dem kalifornischen Silicon Valley, Bird mit Sitz in Miami und Tier aus Berlin.
Voi sagt von sich, mit 1,2 Millionen Fahrten im Jahr 2022 der beliebteste Anbieter zu sein. Ob das stimmt, lässt sich nicht überprüfen. Denn die Trotti-Unternehmen machen aus vielem ein grosses Geheimnis. Konkurrentin Lime, die gemäss Datenanalyse die grösste Trotti-Flotte in der Schweiz besitzt, spricht von «über einer Million Fahrten» im letzten Jahr. Konkreter will das Unternehmen nicht werden.
Auch wollen nicht alle preisgeben, wie gross ihre Flotte ist. Darüber schweigt auch Katharina Schlittler, Schweiz-Chefin von Voi. Sie nimmt die Journalistin dieser Redaktion zwar mit ins grosse Depot in Zürich. Fotografieren ist aber tabu.
Die Konkurrenz könnte daraus Rückschlüsse über die Flottengrösse ziehen. Oder wie das System des schwedischen Anbieters funktioniert. «Wir haben in Zürich fünf Anbieter mit einem Produkt, das in seiner Kernfunktion vergleichbar ist», sagt Schlittler. «Dadurch ist der Konkurrenzkampf sehr gross.»
Am grössten ist er in Zürich. Wie die Datenerhebung zeigt, stehen in der Stadt und Agglomeration (Opfikon und Kloten) rund 4500 Leih-E-Scooter zur Verfügung. Auf 100 Einwohnerinnen kommt folglich ein Trotti. Danach folgt Basel mit deutlich weniger Fahrzeugen, inklusive der Agglomeration sind es rund 1200.
Wie stark das Geschäft mit den E-Flitzern floriert, zeigt nur schon die Palette an Modellen: In den vier Jahren, seit Voi in der Schweiz ist, gab es fünf verschiedene Trotti-Modelle. «Wir hatten früher einen deutlich höheren Ressourcenverschleiss, was der Branche auch stets vorgeworfen wurde», sagt Schlittler.
In den neuen Scootern lassen sich nun Akku und andere Teile beliebig auswechseln. Sie bestehen neu aus recyceltem Aluminium. Hinzu kommen unterschiedliche Ansprüche. Der Grossteil der Voi-Scooter wird von Männern genutzt. Mit angepassten Lenkern oder einer Halterung für Taschen will man mehr Frauen für das Fahrzeug begeistern.
Die meiste Zeit stehen sie draussen – zum Ärger der Bevölkerung
Die Trottis von Voi müssen heute noch durchschnittlich viermal pro Jahr in die Werkstatt. Dadurch stehen sie die allermeiste Zeit draussen – mitunter auf Trottoirs, auf der Strasse, in Hinterhöfen oder in Unterführungen. Was die Bevölkerung und Behörden vielerorts wütend macht.
Wetzikon etwa verbannte nach einem Pilotprojekt Anfang Jahr wieder alle E-Scooter von den Anbietern Voi und Lime aus der Stadt. Zu viele negative Rückmeldungen über «falsch oder störend geparkte Fahrzeuge», begründete die Stadt in ihrem Evaluationsbericht.
Schlittler findet, die Pilotphase von acht Monaten sei zu kurz gewesen. Allgemein stellt sie fest: «Die Schweizer sind im Vergleich zu anderen Ländern teilweise noch zurückhaltend und skeptisch gegenüber neuer Mobilität.» Auch dass Paris jüngst ein E-Scooter-Verbot beschlossen hat, lässt Schlittler nicht daran zweifeln, dass die Nachfrage genug gross ist. «Im Vergleich zu Paris haben wir in der Schweiz von Beginn an eine viel stärkere Zusammenarbeit mit den Städten gepflegt und Regulierungen erarbeitet.»
No-Parking-Zonen in Zürich
Zürich ist den anderen Städten hier voraus. Ein Sprecher des Sicherheitsdepartements sagt, man arbeite eng mit den Anbietern zusammen, damit Probleme «möglichst schnell und konstruktiv gelöst werden können». Die Behörde geht gar davon aus, «dass die Akzeptanz in den letzten Jahren eher gestiegen ist».
E-Trottis in Zürich
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Doch auch Zürich hat die Regeln zuletzt etwas verschärft:
Es gibt «Fahrverbotszonen», in denen die E-Trottis zwar benutzt werden dürfen, aber automatisch auf Schritttempo abgebremst werden (zum Beispiel in der Altstadt oder am Platzspitz).
Seit 2022 gibt es vordefinierte Parkzonen: Stellen die Benutzerinnen ihr Trotti dort ab, erhalten sie je nach Anbieter eine Zeit- oder Frankengutschrift.
«Die bisherigen Massnahmen funktionieren und haben nach unserem Ermessen die Situation verbessert», resümiert das Sicherheitsdepartement. Nur ganz aus dem Weg räumen kann man die E-Trottis – wortwörtlich – nicht. Parkverbote lassen sich nicht durchsetzen.
Hunter Edo fährt mit dem Finger über die farbige Karte auf dem Smartphone. Bei einem roten, durchgestrichenen P zoomt er rein: «Das ist ein Verirrter.» Ein Benutzer hat das Trotti ausserhalb der erlaubten Zone geparkt. In der Voi-App ist zwar klar gekennzeichnet, wo die Trottis benutzt werden dürfen. Überquert eine Fahrerin die Grenze trotzdem, kann sie den Fahrtprozess nicht beenden – sie zahlt so lange, bis das Trotti wieder in der erlaubten Zone ist.
Stellt Voi fest, dass an einem Ort auffällig viele Trottis falsch abgestellt werden oder es Krach mit anderen Verkehrsteilnehmern gibt, können sie No-Parking-Zonen einrichten. Davon gibt es in Zürich bereits einige, beispielsweise am Limmatquai. «Damit sie nicht im Wasser landen», sagt Edo.
Hält sich eine Trotti-Fahrerin nicht an die Spielregeln, kriegt sie in aller Regel eine Verwarnung. Verstösst sie nochmals dagegen, wird sie gesperrt.
Bei Voi beträgt die Durchschnittsfahrt 1,6 Kilometer.
Die Anbieter sagen unisono, sie seien zufrieden mit der Auslastung der Leih-Trottis. Sie sei vor allem zu den Stosszeiten am höchsten, wenn die Menschen das Trotti als Ergänzung zum ÖV nutzten. Zahlen wollen die Unternehmen trotzdem keine nennen.
In der Datenanalyse zeigt sich denn auch ein anderes Bild. So stehen in Zürich selbst zu Stosszeiten über 90 Prozent der E-Trottis still. Dasselbe in Basel und Bern.
Das liegt hauptsächlich daran, dass die E-Scooter-Fahrer nur sehr kurze Strecken zurücklegen. Bei Voi beträgt die Durchschnittsfahrt 1,6 Kilometer – also die oft propagierte «letzte Meile». Bei Konkurrent Tier ebenfalls. Lime spricht von «weniger als 10 Kilometern».
Ein Voi-Scooter wird pro Tag im Schnitt lediglich zweimal benutzt. Es drängt sich die Frage auf: Warum braucht es so viele Scooter «auf Reserve»?
Die Schweiz-Chefin von Voi entgegnet, dass die E-Trottis eben innerstädtische Autofahrten überflüssig machen und den öffentlichen Verkehr stärken sollen – indem eine Pendlerin morgens beispielsweise mit dem Trotti an den nächsten Bahnhof fährt und dort auf den Zug umsteigt. Dieses Angebot ist gemäss Schlittler «vor allem durch die ständige Verfügbarkeit der Fahrzeuge attraktiv». Ihr Ziel: Öffnet ein Kunde die App, soll der nächste Voi-Scooter nicht weiter als zwei bis drei Gehminuten entfernt sein.
Bern greift mit strikten Regeln durch
Während sich Zürich dieser Scooter-Verbreitung gegenüber offen zeigt, war die Stadt Bern von Beginn an restriktiv. Sie hat lediglich zwei Anbietern die Bewilligung erteilt. Diese mussten sich zuerst in einer einjährigen Pilotphase mit insgesamt 250 Scootern beweisen. Zwar wurde die Bewilligung bis Anfang 2024 verlängert, die Flotte aber nur leicht erhöht, auf 350 E-Trottinetts.
Auf 1000 Bernerinnen und Berner sind das weniger als 3 Trottinetts – also massiv weniger als in Zürich (Dort sind es 10). Auch müssen die Anbieter in Bern strengere Auflagen befolgen, etwa:
E-Trottinett-Verbot in der Altstadt (weder Fahren noch Parkieren erlaubt)
maximal 50 parkierte E-Trottinetts in der Inneren Stadt
Störend oder falsch abgestellte E-Trottinetts müssen in der Regel innert eines halben Arbeitstages weggeräumt werden.
«Mittels monatlicher Reportings (unter anderem Screenshots) haben die Betreiberfirmen aufzuzeigen, dass die Auflagen eingehalten werden», sagt Karl Vogel, Verkehrsplaner der Stadt Bern. Das funktioniert offensichtlich: In der Altstadt wurden während des Untersuchungszeitraums dieser Zeitung kaum Scooter registriert.
E-Trottis in Bern
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Auch habe es aus der Bevölkerung nur wenige Reklamationen und Beschwerden gegeben, sagt Vogler. Politisch ist zurzeit ein Postulat der SP/Juso-Fraktion hängig, das vom Gemeinderat verlangt, zu prüfen, wie parkierte E-Trottis möglichst keine mobilitätseingeschränkten Menschen behindern.
Basel überdenkt lockere Trotti-Regulierung
Die Stadt Basel fuhr bislang einen liberalen Kurs. Hat ein Anbieter nicht mehr als 200 E-Trottinetts in der Flotte, braucht er keine Bewilligung. Trotzdem ist das Angebot überschaubar: Aktiv sind momentan lediglich vier Anbieter, die das Kontingent nicht einmal ausschöpfen. Auf das Stadtgebiet begrenzt sind es 750 E-Trottinetts.
E-Trottis in Basel
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Alle Anbieter müssen sich und ihre Fahrzeuge lediglich bei der Stadt registrieren. So kann sie kontrollieren, dass die Anbieter nicht plötzlich das Doppelte an E-Trottis anbieten. Oder bei Ansammlungen von Trottis, wie sie gerade im Sommer am Rhein vorkommen, Massnahmen verlangen. Dennoch sind die Vorgaben deutlich lascher als in Zürich oder Bern:
Sperrzonen gibt es keine.
Die Trottis sollen Velo- und andere Parkierflächen sowie den restlichen öffentlichen Raum nicht überdurchschnittlich belegen (Die Stadt gibt lediglich einen Richtwert von 1–2 Fahrzeugen pro Abstellstandort an).
Doch diese Vorgaben könnten sich bald verschärfen, wie das zuständige Verkehrsdepartement ankündigt. Denn: «Auch in Basel sind die Fahrzeuge nicht unumstritten, wie politische Vorstösse zum Thema zeigen.» Ein SVP-Vorstoss fordert etwa «eine Regelung gegen das Wildparkieren von E-Trottinetts».
Der Kanton erarbeitet zurzeit mögliche Regulierungsansätze. Zur Diskussion stehen eine Bewilligungs- oder Gebührenpflicht, schärfere Auflagen oder gar eine Ausschreibung.
Im Notfall kommt der Anker zum Einsatz
Auch Edo spürt, dass die E-Trottinetts die Menschen bewegen. «Viele Leute sprechen mich an und sagen: ‹Endlich sehe ich mal, wer eigentlich dahintersteckt!›» Die Reaktionen seien meistens positiv, sagt der Hunter. Beschimpft werde er eigentlich nie.
Sein bislang mühsamster Einsatz hatte einen anderen Grund. «Es war mein allererster Arbeitstag», sagt Edo und lacht. Ein E-Trottinett lag in Opfikon in der Glatt. «Ich vermute, es lag schon etwas länger drin. Denn es hatte kleine Müscheli oder Schnecken dran, jedenfalls etwas Ekliges.»
Mithilfe eines Ankers, den die Hunter für Spezialeinsätze haben, konnte er das Trotti rausfischen. Der mühsamste Teil kam aber danach: «Als ich das Trotti aufgeladen hatte und zurück in die Werkstatt fuhr, bemerkte ich plötzlich: Das ganze Auto stinkt nach Fisch!»
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