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Meinung

Mamablog
Womit das Elternsein überraschen kann

Girls, aged 6-7, dressed as fairies running around in a suburban garden
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Wie alles ist wie immer – und nichts mehr, wie es war

Erst kam das Eintauchen in Schmerz und Zeitlosigkeit, das sich Geburt nennt. Dann die komplett neue Gefühlsintensität. Als ich das Kind schliesslich heimtrug, dachte ich, die Welt müsste neu gestrichen sein. Doch daheim war alles so beim Alten, dass es auffiel: Auf dem Tisch standen noch die Teller, die wir vor dem Aufbruch nicht mehr hatten wegräumen können. Das wirkte auch beruhigend. Ich war ja «nur» Mutter geworden. Wie trügerisch das «Nur» war, zeigten erst die Wochen, Monate, teils Jahre. Als wäre ich durch ein stephen-kingsches Loch in eine parallele Dimension gerutscht, hatte unser Quartier plötzlich Parks. Die Strasse war auf einmal so laut. Ausgehen wurde zur Aufwand-Ertrag-Rechnung. Und Vereinbarkeit? Hatte viel besser funktioniert, früher, als wir sie kinderlos durchgespielt hatten.

Wie schwer Verantwortung wiegt

Der Kinderwagen, dachten wir, ist wichtig. Also prüften wir seine Anschaffung, als wollten wir damit zum Mond fliegen. Und dann fuhren wir doch nur zum Spielplatz – während das Baby im Tragetuch sass. Erstaunt war ich auch darüber, wie schnell so ein Kind zehn Kilo wiegt. Und wie Youtube-Anleitungen dabei helfen, Hebelkräfte auszuhebeln. Wirklich überraschend aber scheint mir, wie manchmal noch Gewicht auf den Schultern lastet, wenn sie seit Jahren aufrecht gehen und heimlich Vapes rauchen. Ergo: wie lange man trägt (nicht immer ergonomisch) und sei es Verantwortung. Als man damals noch Buggys auf einhändige Schiebbarkeit prüfte, war schlicht nicht greifbar, wie oft man auch mit grösseren Kindern noch beide Hände ringen würde.

Wie sehr noch letztes Jahrhundert ist

Ungebremst knallte ich beim ersten Kind in den Graben zwischen Feen-Lätzli und Lastwagen-Büechli. Während unser Baby vor allem ein Baby war, kam die Frage «Was ist es denn?» ab Tag eins. Und in den Reaktionen auf die Antwort sah ich heutige Kinder oft mehr Stereotypen ausgesetzt als im letzten Jahrhundert mich selbst. Gut, meine Lehrerin wollte noch «Fräulein» heissen, und die Jungs hatten Rechnen, während ich mir beim Lismen die Finger abwürgte. Wie wenig sich aber seither getan hat, sah ich nun bei jedem «zickig» oder «halt ein Bub», das ich hörte – also oft. Und als mich dieser Spielzeugkatalog noch mit einem rosa Glitzer-Nail-Set inkl. Trockner konfrontierte, wünschte ich mir fast die Achtziger zurück. (So durcheinander war ich, dass ich nachts darauf von Simone de Beauvoir träumte, wie sie mit Margot Robbie, aber als Lillifee, ins örtliche Spielwarengeschäft einbrach und mit einem frisierten Nagelföhn kleine Plastikbagger einschmolz. Dann schmierten sie mit billigem Nagellack «Smash the Patriarchy» auf ein Elsa-Kleid, tackerten es an einen überteuerten Kinderwagen und nahmen Kurs zum Mond. Aber nicht ohne über Malmö noch zu rufen: «Switzerland, twelve points!» So erwachte ich immerhin hoffnungsfroh.)

Wie überfordernd die Warenbewirtschaftung wird

Und dann ist da noch das Material. Dass Kinder einiges benötigen, sieht man ja voraus. Also horteten wir bald Ausrangiertes von Cousinen und Cousins bis 9. Grades im Keller. Es soll doch im entscheidenden Moment auch eine Winterjacke dabei sein, die nicht nur sommers passt. Was wir nicht voraussahen: dass man, wenn dieser Moment kommt, oft nicht mehr weiss, dass irgendwo Passendes lagert… Und einmal musste ich nach Jahren des Hallenturnschuhe-Archivierens einsehen, dass das Modell Grösse 33 nun zwar dem Jüngsten ginge, in seinen Augen aber die falsche Farbe hat. (Ein Glück, war ich schon zu ernüchtert für Träume). Wann mir dämmerte, wie sehr man mit Kindern zur Warenbewirtschaftungsfachperson wird, weiss ich nicht mehr. Aber es könnte der Tag gewesen sein, an dem ich ob einer weiteren vermachten Lego-Kiste nach frisierten Nagelföhnen googelte.

Wie gut sich Zen üben lässt

Kein Wunder, werden Eltern anfällig für «Bring den Haushalt und dein Leben in Ordnung»-Kniffe. Von Poppins bis Kondo: Ich habe sie ausprobiert. Doch weder Mary noch Marie konnten bislang verhindern, dass Materialbewirtschaftung vermengt mit vergessenen Zetteln in der Schuelzgi, improvisierten Plädoyers fürs Nicht-Vapen und den ganzen weiteren Elternthemen gelegentlich zum Geknorze werden wie in der Handzgi damals die Lismete. Dass mir dies – als Anhängerin akkurat gefalteter T-Shirts mit Vorliebe für eine strukturierte Agenda – nicht immer die Nerven abwürgt, überrascht mich von allem am meisten: wie sehr also das Aushalten des alltäglichen Geknäuels sich als Zen-Übung eignet. Früher hätte es mich nämlich erdrückt, wenn sich beim Öffnen einer Schranktür ein Chaos in meine Richtung neigte. Heute drücke ich einfach die Tür wieder zu. Und lässt mich ein Gewicht auf den Schultern die Parks im Quartier doch wieder mal übersehen, stehen bestimmt noch irgendwo ein paar benutzte Teller herum. Sie wirken zwar nicht mehr beruhigend, aber laden zum meditativen Abräumen ein.