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Meinung

Mamablog: Sprachentwicklung
Abc des Kinder-Gang-Slang

"Denmark, Copenhagen"
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BotTalk

Seit bald 12 Jahren studiere ich fasziniert die Sprachentwicklung des Menschen. Anfangs war der Aufbau noch logisch. Unerkennbare Wörter, erste erkennbare Wörter, rauschartiger Übergebrauch einzelner Lieblingswörter, erste einfache Sätze, endlos lange Sätze und Witze, welche überhaupt keinen Sinn machen und einzig dem Zweck dienen, den neu errungenen Wortschatz zu präsentieren. Dann wird die Gesprächswelt der Grossen übernommen, im Kindergarten tönen sie plötzlich wie Erwachsene, die einen Frosch verschluckt haben. Und wenn es aussieht, als wäre der Sprachgipfel erreicht, kommen sie in die Schule, und plötzlich gibt es eine subtile Rückwärtsbewegung, die so ab der Fünften ihren Tiefpunkt erreicht und dort ausharrt. Im einst üppig blühenden Wörtergarten wuchern Satzfragmente und halbe Wörter – zum Teil geben sie nur noch Töne von sich. Wenn mehrere Kinder vorhanden sind, befinden sich in einer gewissen Altersspanne sprachlich alle im Bereich des ältesten. Darum sagen Siebenjährige Sätze wie: «Yo Bro die Rächnig isch voll easy bubig Alte!» So rückschrittlich die Kommunikation von Vor- und Vollpubertierenden auf uns wirken mag; betrachtet man sie genau, sind klare Regeln erkennbar.

A wie Anglizismen

Je englischer, desto besser (heisst nicht automatisch, dass die Englischnoten besser werden). «Hey Bro, was chunsch so random eifach inedropt? Voll nöd nice! – Er fühlt sich eifach mit sim fake Smile wäg sim voll lame Youtube Channel und sine füf Follower wo alles liked.»

B wie Betonung

Aus einem total bünzligen Wort wie dem altbackenen Oha wird ein vielsagendes und vielfältig anwendbares Oha!

C wie Comicsprache

Hmpf. Grummel. Aargh. Plärr. Trööt.

D wie Diskretion

Hört ein Satz mittendrin auf, wird der fehlende Teil durch aufgerissene Augen ersetzt oder nur der Anfangsbuchstabe ausgeworfen, hat nicht etwa das Hirn ausgesetzt. Der Inhalt ist schlicht nicht für alle Ohren bestimmt. («Hey häsch gseh hüt ide Mathe hät d Melissa wieder B!» – «Oha! Nei nöd gseh.»)

E wie Einleitungswort

Jeder Satz beginnt entweder mit einer ungenauen maskulinen Bezeichnung der angesprochenen Person (Aalte, Bro, Diga, Brudi usw. Absurd, aber wahr; sie kommen auch unter weiblichen Wesen zum Einsatz) oder mit einem Ausdruck, der die Unfassbarkeit der Information andeutet (Yo, Shiit, Woah, Schüüsch usw.).

F wie Fäkalsprache

Sie wächst sich nicht aus, sie wird über die Jahre nur härter. Aus «Gaggi» wird Kacke, aus «Brunz» Pisse und aus «fuaze» wird «eis gschisse».

G wie Gestik

Sag es mit der flachen Hand. Eine Argumentation in Zeitlupe muss aussehen wie eine Kung-Fu-Meditation.

H wie Helvetismen

Bei Verben, welche aus Nomen gebastelt wurden, handelt es sich meistens um etwas Gemeines. (stöckle = Bein stellen, schnäuzle = einer schlafenden Person einen Schnauz malen, gfuschtet = mit der Faust geschlagen, rasiert = auf dem Fussballplatz besiegt, bödelet = zu Boden gebracht).

I wie Interesse zeigen

Auf Informationen wird mit einem Ausdruck von Interesse oder Beipflichtung reagiert (Oha! Stabil! Safe. Safe safe. Vooll. True. Süü. Yo! What the!).

Ja wie Ja nicht übertreiben

Beim Schreiben wird gespart. «WM?» bedeutet nicht, dass ein Gspänli dein Kind fragen will, wann die nächste Weltmeisterschaft stattfindet oder ob sie zusammen das Spiel schauen wollen. Es will ganz einfach wissen, was es macht.

K wie Körperkontakt

Ein Arm um den Hals, eine Hand am Nacken, eine Stirn an der Stirn oder ein leichtes Anlehnen unterstreicht die verbale Botschaft und bleibt vielleicht eher hängen.

L wie Lautstärke

Leise reden macht einfach keinen Sinn, wenn man gehört werden will.

M wie Mimik

Wer keine Miene verzieht, hört auch nicht zu.

N wie nonverbal

Augenverdrehen, Zeichensprache, Pantomime und undefinierbare Geräusche – sie beherrschen alles. Wenn sich am Mittagstisch alle kaputtlachen und du hast nicht mitbekommen, worüber, ist das kein Zufall, sondern volle Absicht.

O wie Offerte

Jede heikle Frage oder Diskussion wird mit einem Vorschlag eröffnet. «Mama, ich ha mir überleit…», «Mama, chönntemers nöd so mache…», «Mama, bevor du Nei seisch…».

P wie Pause

Mit einer Pause zwischen Anrede und Inhalt wird volle Aufmerksamkeit konsequent eingefordert. Folgt kein «Ja?» oder «was isch?», wird die Anrede wiederholt, bis die Reaktion kommt. Im Gegensatz zu uns checken Kinder, dass es keinen Sinn macht, ein Gegenüber, das nicht zuhört, vollzulabern.

Q wie Quasseln

Diese Taktik kommt zum Zug, wenn man sich etwas Unangenehmes von der Seele reden will. Unerlaubte Kioskgänge, Vergamte Ufzgi bei Kollegen oder «Sträfzgi» werden in einen Erzählungsschwall gepackt mit der Hoffnung, dass sie untergehen.

R wie Raunen

Es dient als einheitliche Reaktion auf alles, was man nicht hören will oder wenn etwas nicht klappt. Kann in verschiedenen Intensionsstufen angewendet werden.

S wie Schlusswort

Jeder Satz hört mit einer Bezeichnung der angesprochenen Person auf (du Spässt, du Hirni, du Schlaue, du Komische usw.).

T wie Tonart

Je höher die Tonlage, desto intensiver die Gefühle dahinter.

U wie Umlaute

Sie werden eingesetzt, wenn man reagieren möchte, für ganze Wörter aber die Kraft fehlt.

V wie Vorwegnehmen

Mit einer Frage wird auch gleich die Antwort auf die erwartete Gegenfrage mitgeliefert. Das ist effizienter.

W wie «Was für!»

Dieser Ausdruck bekommt eine eigene Position, weil er ein absoluter Renner ist, für mich aber immer noch keinen Sinn macht.

X wie «Xeit isch xeit»

Erwachsene, die sich rechtfertigen, erklären und ihre Meinung in eine unerwünschte Richtung revidieren, sind «ehrelos».

Y wie YOLO

Warum Zeit mit Reden vergeuden, wenn man einfach machen kann?

Z wie Zugeständnis

Mir fällt auf, dass Kinder Ausdrücke wie «du häsch Rächt», «ja stimmt eigentlich» oder «oke, machemers so» viel öfter gebrauchen als Erwachsene. Just saying.

Es ist vielleicht noch anzumerken, dass ich mehrheitlich von Jungs umgeben bin und die Studie somit nicht ganzheitlich «verhebet». Und wer sich schon darauf freut, die neuen Skills anzuwenden, sollte beachten: Es handelt sich hier um unnützes Wissen. Der Slang funktioniert nur in der Gang, und Partizipation ist ganz und gar unerwünscht.

Auf ein «Ich ha hüt kei Ufzgi» mit einem «Aalte wie nice!» zu antworten, oder einem «Ich ha mis Ämtli scho gmacht» ein «Oha – stabil!» zu entgegnen, ist keine gute Idee. Bei «ich ha no kei Sackgeld übercho» das «Was für!» anzuwenden, wäre zwar korrekt, ist aber auch nicht zu empfehlen. Mögliche Folgen sind Schockstarre, peinlich berührtes Kopfschütteln und totaler verbaler Rückzug.