«Maduro und seine Anhänger sind pervers»
María-Alejandra Aristeguieta ist zur Vertreterin von Venezuelas Interimspräsidenten Juan Guaidó in der Schweiz ernannt worden. Pässe ausstellen kann sie aber noch nicht.
Venezuelas Interimspräsident Juan Guaidó hat Sie vergangene Woche zur Vertreterin seiner Regierung in der Schweiz ernannt. Waren Sie überrascht?
Nein, denn ich habe über diese Möglichkeit mit Exponenten der Guaidó-Regierung in Caracas schon seit einiger Zeit gesprochen. Ich bin nicht überrascht, sondern dankbar. Ich empfinde die Berufung, welche die venezolanische Nationalversammlung in einer ordentlichen Sitzung beschlossen hat, als Anerkennung für Arbeit, die ich in den letzten Jahren geleistet habe.
Für Guaidó sind Sie jetzt also die venezolanische Botschafterin in der Schweiz.
Ich warte noch auf die nötigen Dokumente, um sie den Schweizer Behörden weiterzuleiten. Aber für Guaidós Regierung bin ich bereits jetzt die offizielle Vertreterin in der Schweiz.
Die Schweiz hat aber im Unterschied zu zahlreichen EU-Staaten Juan Guaidó nicht als Präsidenten anerkannt. Dann wird die Schweizer Regierung wahrscheinlich auch Sie nicht als seine Botschafterin anerkennen.
Die jetzige Situation ist für die Schweiz genauso neu wie für uns. Wir klären gegenwärtig ab, welches die geeigneten Mechanismen sind, um in Kontakt zu treten.
Hatten Sie seit Ihrer Ernennung Kontakt zur venezolanischen Botschaft in Bern?
Nein, mit der venezolanischen Botschaft habe ich seit langem keinen Kontakt mehr.
«Die politische Meinung diplomatischer Funktionäre ist Privatsache.»
In den EU-Staaten, die Guaidó anerkennen, werden seine Vertreter offiziell den Status als Botschafter erhalten. Wünschen Sie sich das auch? Ist die Schweizer Regierung zu zögerlich?
Ich respektiere die Traditionen, Gesetze, Regeln und die Neutralitätspolitik der Schweiz. Und ich weiss, dass sie keine Regierungen anerkennt, sondern Länder. Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass sich mit den Schweizer Behörden eine konstruktive Zusammenarbeit ergibt.
Waren Sie während der fünf Jahre, in denen Sie als Diplomatin für die venezolanische Regierung gearbeitet haben, mit deren Politik einverstanden? Diplomatische Funktionäre müssen die Interessen Ihres Landes vertreten, nicht jene der jeweiligen Regierungspartei. Ihre politische Meinung ist Privatsache.
Haben Sie als Privatperson jemals Hugo Chávez gewählt?
Nein.
Wie ist die Situation der Venezolanerinnen und Venezolaner in der Schweiz?
Sie sind mit dem Problem konfrontiert, dass die venezolanische Botschaft in Bern eher ein ideologisches Indoktrinationszentrum ist als eine Dienstleistungsstelle. Viele, die ihren abgelaufenen Pass erneuern wollen, bekommen zu hören, dass dies nicht möglich sei. Sei es, weil es angeblich kein Material gebe, um neue Pässe herzustellen. Oder weil die Internetverbindung mit Caracas zusammengebrochen sei. Für jemanden, der jährlich eine Schweizer B-Bewilligung erneuern muss, ist das sehr unangenehm, weil dafür ein gültiger Pass des Herkunftslandes nötig ist. Mein eigener venezolanischer Pass ist seit 2009 abgelaufen.
Sie werden auch in Ihrer neuen Funktion nicht in der Lage sein, jemandem einen Pass auszustellen.
Wir arbeiten daran.
Es gibt in der Schweiz auch Venezolaner, die auf der Seite von Nicolás Maduro stehen.
Von den rund 3000 in der Schweiz lebenden Venezolanern sind lediglich etwa 650 im Wählerregister eingetragen. Und es sind seit Jahren jeweils rund 50 Personen, die für die Bolivarianische Revolution stimmen. Also weniger als 10 Prozent der Wahlberechtigten.
Am vergangenen Samstag wollte Juan Guaidó 600 Tonnen Hilfsgüter nach Venezuela bringen und die Armeeangehörigen dazu bewegen, sich massenweise von Maduro abzuwenden. Beides ist offensichtlich gescheitert. Sind Sie enttäuscht?
Ich bin nicht enttäuscht, sondern entsetzt und beschämt, dass eine politische Ideologie sich über die Bedürfnisse einer verzweifelten, hungernden und medizinisch unterversorgten Bevölkerung hinweggesetzt hat. Maduro und seine Anhänger sind derart verbohrt, dass sie den Schaden, den sie anrichten, nicht sehen wollen oder ihn in Kauf nehmen. Sie sind derart pervers und empfinden es als Triumph, dringend benötigte humanitäre Hilfslieferungen verhindert zu haben.
Bevor Guaidó Interimspräsident wurde, hat er sich in den USA mit Vertretern der Trump-Regierung und wichtigen Republikanern getroffen, zum Beispiel mit dem Senator von Florida, Marco Rubio. Erhält er Befehle aus Washington?
Es steht mir nicht an, innenpolitische Entwicklungen in den USA oder Entscheidungen von amerikanischen Politikern und der amerikanischen Regierung zu beurteilen. Aber die Verbrechen, die Maduros Regime am letzten Wochenende begangen hat, haben auch zahlreiche Exponenten der Demokraten kritisiert, etwa Nancy Pelosi oder Bill und Hillary Clinton. Juan Guaidó hat mit grossem Mut, Vernunft, Patriotismus und Verantwortungsbewusstsein eine Aufgabe übernommen, im Interesse eines Volkes, das von einer schamlosen Diktatur unterdrückt und ausgehungert wird. Guaidó verkörpert den Wunsch nach einer demokratischen Veränderung, und dafür sucht er sich die Hilfe der internationalen Gemeinschaft.
«Einer Regierung, die Hilfsgüter in Brand setzen lässt, ist alles zuzutrauen.»
Falls Maduro nicht nachgibt und sich die humanitäre Lage in Venezuela weiter verschlimmert – könnte es dann so weit kommen, dass eine Militärintervention der USA wünschenswert ist?
Ich bin absolut sicher, dass Guaidó und die venezolanische Nationalversammlung alles tun werden, um diesen Konflikt friedlich zu lösen. Und dafür haben sie nicht nur die Unterstützung der USA, sondern auch zahlreicher anderer lateinamerikanischer und europäischer Länder.
Guaidó hält sich gegenwärtig in Kolumbien auf. Wird ihm Maduro die Rückkehr nach Venezuela verweigern?
Einer Regierung, die Medikamente und Nahrungsmittel für Notleidende in Brand setzen lässt, ist alles zuzutrauen.
In einem Interview mit dem kolumbianischen Magazin «Semana» hat ein Vertreter des IKRK gesagt, seine Organisation habe sich nicht an den Hilfslieferungen nach Venezuela beteiligt, weil die ganze Aktion politisiert worden sei.
Ich kann diese Position nachvollziehen. Um einen humanitären Korridor für Hilfslieferungen zu öffnen, braucht es gemäss Genfer Konventionen einen bewaffneten internationalen Konflikt. Jene, die Hilfe leisten, müssen strikt neutral sein, und die Lieferungen müssen von sämtlichen Konfliktparteien akzeptiert werden.
Dann geben Sie dem Vertreter des IKRK also recht?
Ich sagte, ich kann als Expertin seine Position vom Standpunkt des internationalen Rechts nachvollziehen. Aber was mir inakzeptabel scheint, ist, dass es keine Alternative geben soll. Das Leiden der venezolanischen Zivilbevölkerung ist überwältigend, es sollte bei allen Überlegungen an erster Stelle stehen. Wenn das IKRK aus juristischen Gründen nicht selber aktiv werden kann, dann muss es möglich sein, dass andere Organisationen oder Institutionen humanitäre Hilfe leisten, in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht. Ich hätte mir von einer so wichtigen Organisation wie dem IKRK erhofft, dass es dies zumindest erwägt, statt mit verschränkten Armen danebenzustehen. Denn die wichtigste Aufgabe jeder humanitären Organisation besteht darin, Notleidenden zu helfen.
Es gibt einige Schweizer Politiker, die Maduro verteidigen. Der bekannteste ist der Genfer Alt-Nationalrat Jean Ziegler. Was würden Sie ihm sagen?
Als Diplomatin habe ich Herrn Ziegler nichts zu sagen. Als Mensch würde ich ihn bitten, sich einmal ohne ideologische Scheuklappen und jenseits jeder vorgefertigten Rhetorik mit Menschen aus Venezuela zusammenzusetzen. Und sich anzuhören, was sie zu erzählen haben.
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