Neues Sicherheitsgesetz in FrankreichMacron will nicht als Rassist rüberkommen
Nach heftigen Protesten kündigt die Regierung an, ihr äusserst umstrittenes Sicherheitsgesetz neu zu schreiben. Der Präsident will den Eindruck vermeiden, dass rassistische Polizeigewalt für ihn kein grosses Thema ist.
Die Regierungskrise, die sich am Montagabend in Frankreich in ganzer Breite auffächerte, begann am 21. November in der Wohnung von Michel Zecler. Dort wurde der Pariser Musikproduzent Zecler von drei Polizisten zusammengeschlagen. Die Beamten warfen anschliessend eine Tränengasgranate in die Wohnung und schlugen dann auf der Strasse noch einmal zu. Dazu rassistische Beleidigungen, Zecler ist schwarz. Die Beamten gaben nach dem Vorfall schriftlich zu Protokoll, Zecler habe ihnen die Waffen wegnehmen wollen. Dann begannen Hunderttausende ein Video zu verbreiten, das diese Lüge entlarvte. Zecler hatte es mit einer Überwachungskamera aufgenommen, die er in seiner Wohnung installiert hatte. Das Video tauchte zu einem Zeitpunkt auf, als Frankreich bereits seit Tagen über ein neues Sicherheitsgesetz stritt, das es strafbar machen soll, Polizisten zu filmen.
Präsident Emmanuel Macron überliess die Debatte seinem konservativen Innenminister Gérald Darmanin. Erst als jede Redaktion Frankreichs das blutüberströmte Gesicht von Zecler gezeigt hatte, schaltete Macron sich am Freitag ein und sprach von «inakzeptablen Bildern» und einer «Schande» für das Land. Das frisch beschlossene Filmverbot erwähnte er nicht. Drei Tage und eine Grossdemonstration später gaben diejenigen Fraktionschefs, die gerade noch in der Nationalversammlung für das Sicherheitsgesetz gestimmt hatten, am Montagnachmittag eine reumütige Pressekonferenz. Christophe Castaner, Vorsitzender der Macron-Partei La République en Marche (LREM), erklärte, ein «Missverständnis habe sich in den vergangenen Tagen intensiviert». Das sogenannte Missverständnis heisst Artikel 24, es ist Teil des Sicherheitsgesetzes, das von der Nationalversammlung am 24. November in erster Lesung angenommen worden war.
Artikel 24 sieht eine Haftstrafe von bis zu einem Jahr vor, wenn Polizisten «mit dem Ziel, ihnen zu schaden», gefilmt werden. Journalistenverbände warnen vor einem Eingriff in die Pressefreiheit. Man werde diesen Artikel «komplett neu schreiben», kündigte Castaner an, es handle sich «nicht um eine Streichung». Es sei «an der Regierung, den besten legislativen Weg zu finden», so Castaner, wie man den Artikel ändern könne.
«Die Situation, in die Sie mich gebracht haben, hätte vermieden werden können.»
Das Einlenken, das nicht zu sehr aussehen soll wie ein Rückzug, ist das Werk Macrons. Am Montagnachmittag versammelte Macron Fraktionsvorsitzende und Mitglieder der Regierung für eine Krisensitzung, die man ein Zusammenstauchen nennen muss. «Die Situation, in die Sie mich gebracht haben, hätte vermieden werden können» – dieses Macron-Zitat gaben Teilnehmer des Treffens direkt im Anschluss an die Medien weiter. «Le Monde» schrieb von der «kalten Wut» des Präsidenten.
Auch die Pandemie spielt eine Rolle
Kurz nach dem Treffen improvisierte Castaner seine Pressekonferenz. Gleichzeitig wurde die Information verbreitet, Macron werde sich am Donnerstag in Form eines Interviews «an die Jugend» wenden. Das Ziel scheint klar: Macron will das von ihm versprochene Gleichgewicht zwischen linken und konservativen Positionen wiederherstellen. Der Streit um Artikel 24 hatte den Eindruck einer Regierung hinterlassen, für die rassistische Polizeigewalt kein grosses Thema ist – während gleichzeitig ein brutaler Angriff durch Beamte das Land schockiert.
Doch auch der Kontext der Pandemie spielt eine Rolle. Als am Samstag Zehntausende Demonstranten durch Paris zogen, durften zum ersten Mal seit einem Monat wieder die sogenannten «nicht lebensnotwendigen» Geschäfte öffnen. Den Ladenbetreibern ist die Vorweihnachtszeit 2018 noch in lebhafter Erinnerung, als die Proteste der Gelbwesten Samstag für Samstag im ganzen Land die Innenstädte lahmlegten. Vor genau so einer Eskalation warnten Abgeordnete der Macron-Partei LREM in einer internen Videokonferenz.
«Es gibt vielleicht strukturelle Probleme in der Polizei.»
Während noch unklar ist, auf welchem Weg der umstrittene Artikel 24 elegant entsorgt werden könnte, steht fest, dass die Regierung inhaltlich nicht von ihren Zielen abrücken will. Er sei kein «Zahlenfetischist», sagte Innenminister Darmanin am Montag in Bezug auf Artikel 24, er sei jedoch «Fetischist, wenn es um den Schutz der Polizei geht». «Le Monde» zitierte einen engen Vertrauten Macrons mit den Worten, «nicht die politische Linie Darmanins» sei das Problem, sondern «sein chaotisches Vorgehen». Darmanin hatte wiederholt Massnahmen angekündigt, die im neuen Sicherheitsgesetz nicht enthalten sind, wie die Empfehlung, sich als Journalist bei der Präfektur zu akkreditieren, bevor man über eine Demonstration berichtet.
In der kommenden Woche soll im Ministerrat das neue «Gesetz gegen Separatismus» vorgestellt werden, hinter dem sich Strategien im Kampf gegen den Islamismus verbergen. Teil des Gesetzes ist ein Artikel, der es unter Strafe stellt, «das Leben anderer durch die Verbreitung von Informationen aus dem Privatleben zu gefährden». Der Artikel wurde geschrieben als Reaktion auf die Hetzkampagne gegen den Lehrer Samuel Paty, die mit der Ermordung Patys durch einen Islamisten endete. Dieser Artikel könnte nun die Idee von Artikel 24 des Sicherheitsgesetzes weitertragen. «Wir ändern nicht unsere Ziele, sondern den Weg, um dorthin zu kommen», heisst es aus dem Élysée. Innenminister Darmanin zeigte sich am Montag weniger konfrontativ als in der Vorwoche. Es gebe «vielleicht strukturelle Probleme in der Polizei», sagte Darmanin vor einem Abgeordnetenausschuss am Montagabend. Es sei «keine gute Idee» gewesen, die Ausbildungszeit der Polizisten zu verkürzen. Gleichzeitig wünsche er sich, «dass wir mit grosser Überzeugung an der Schutzfunktion festhalten, den Artikel 24 enthalten hat».
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