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Rassismus in Frankreich
Macron will das Vermächtnis der Schwarzen sichtbar machen

Er will sich der kritischen Aufarbeitung der Geschichte seines Landes stellen: Der französische Präsident Emmanuel Macron.
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Wann beginnt das Unrecht? Wenn bewiesen werden kann, dass ein weisser Polizist einen schwarzen Bürger ermordet hat? Oder schon dann, wenn eine Gesellschaft mit Strassen und Plätzen lebt, die nach Männern benannt sind, die davon profitiert haben, dass sie schwarze Leben für weniger wertvoll als weisse erklärten?

In Frankreich verläuft dieser Streit entlang derselben Linien wie in den USA: Ausgelöst durch den Mord an George Floyd, begannen im ganzen Land Proteste gegen rassistische Strukturen innerhalb der Polizei, die auch zu der Frage führten, warum vor der Nationalversammlung eigentlich immer noch die Statue von Jean-Baptiste Colbert steht. Immerhin hat Colbert im 17. Jahrhundert den «Code noir» verfasst, der die Sklaverei in den französischen Kolonien legitimierte. Mitte Juni wurde die Statue mit Farbbeuteln beworfen, doch sie steht fest auf ihrem Sockel.

«Die Republik wird keine Statuen stürzen»

«Die Republik wird keine Spuren und keine Namen aus ihrer Geschichte löschen. Die Republik wird keine Statuen stürzen», sagte Präsident Emmanuel Macron in seiner Rede vom 14. Juni und zeigte, dass ihm die Forderungen der «Black Lives Matter»-Aktivisten zu weit gehen. Die Rede brachte ihm Kritik prominenter Politologen, Historiker, Soziologen und Philosophen ein.

Die Wissenschaftler hatte Macron auch deshalb gegen sich aufgebracht, weil «Le Monde» ihn mit den Worten zitierte, «die Universitäten» seien «schuld» an den Protesten, weil sie «die soziale Frage ethnisiert» hätten. Macron reihte sich also bei denen ein, die antirassistische Bewegungen abfällig Identitätspolitik nennen und die den Aktivisten vorwerfen, «die Republik zu spalten», so der Präsident.

Ein Urteil, das der Präsident nie wieder fällte

Doch Macron wäre nicht Macron, wenn seine Haltung so einfach zu lesen wäre. Als er noch Präsidentschaftskandidat war, nannte er den Kolonialismus ein «Verbrechen gegen die Menschlichkeit». Ein Urteil, das er als Präsident nie wieder fällte. Stattdessen sucht er nach seinem eigenen Weg, das Land zu einer kritischen Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit zu führen.

Ein Ergebnis dieser Suche ist der «Platz der Afrikanischen Befreier» in der Côte-d'Azur-Stadt Bandol. Dort, direkt vor dem Rathaus, werden seit Januar die fünf algerischen Soldaten geehrt, die im August 1944 in Bandol starben, als sie gegen die deutsche Besatzung kämpften. Bandol ist die erste Stadt, die dem Aufruf des Präsidenten gefolgt ist und einen Platz nach Soldaten aus den ehemaligen Kolonien benannt hat.

Eine 201 Seiten dicke Broschüre für die Gemeinden

Nun haben alle Gemeinden Frankreichs eine 201 Seiten dicke Broschüre erhalten, die Namen von 100 Männern aufführt, die in Senegal, an der Elfenbeinküste, im Tschad, in Algerien oder Marokko geboren wurden und die im Zweiten Weltkrieg bei den «Freien Französischen Streitkräften» für die Befreiung des Landes kämpften.

Sollte sich eine Gemeinde entscheiden, einen Platz, eine Strasse oder eine Schule nach einem der Soldaten zu benennen, wird sie vom Verteidigungsministerium unterstützt, mehr über die Geschichte des Gefallenen zu erfahren, die Schüler der Stadt sollen eingebunden werden. Geneviève Darrieussecq, Ministerin für Veteranen und Erinnerung, soll die Neubenennungen vorantreiben. «Die Namen, die Gesichter, die Leben dieser Helden aus Afrika müssen Teil unseres Lebens als freie Bürger sein, denn ohne sie wären wir dies nicht.»

Nicht weit weg von «Black Lives Matter»

Strassen umbenennen, um sichtbar zu machen, dass Schwarze und Nordafrikaner nicht nur zur Gegenwart, sondern auch zur Geschichte Frankreichs gehören: In diesem Grundansatz ist Macron nicht weit von den Forderungen der «Black Lives Matter»-Aktivisten entfernt. Nur dass seine Strategie gleichzeitig Patriotismus und Nationalstolz befeuern soll.

Die Kämpfer aus den Kolonien werden aufgenommen in den Diskurs der wehrhaften Nation, die sich beinahe aus eigener Kraft von den Nationalsozialisten befreit hätte. Als die Erinnerungsministerin Darrieussecq die Liste der 100 Namen vorstellte, die Bürgermeister zu neuen Strassennamen inspirieren soll, erzählte sie von ihren Begegnungen mit afrikanischen Veteranen. Diese hätten ihr von «ihrer Liebe zu Frankreich» berichtet, davon, «wie stolz sie auf das seien, was sie innerhalb der französischen Streitkräfte leisten konnten». Doch nicht alle Kämpfer aus den früheren Kolonien meldeten sich freiwillig, viele wurden gegen ihren Willen eingezogen.