Macrons Staatsbesuch in DeutschlandGestörte Harmonie – warum Paris und Berlin ständig streiten
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron reist für drei Tage nach Deutschland. Selten war die Beziehung der alten Partner so angespannt wie jetzt – und das bei drei zentralen Themen.
Staatsbesuche sind ja nicht einfach Besuche. Protokoll, Reden, Symbolik – die ganze Emphase drum herum ist eine Nummer grösser und glamouröser als bei Dienstfahrten und Arbeitstreffen. Das ist gerade bei Ländern so, die sich schicksalshaft verbunden fühlen, die sich gar wie ein Paar sehen, ein «couple», wie Deutschland und Frankreich. Immer mal wieder muss man sich wortreich und salbungsvoll versichern, dass man sich noch liebt, trotz Streitereien. Aber passiert das auch oft genug?
Wenn Emmanuel Macron nun ab Sonntag für drei Tagen in Deutschland erwartet wird, in Berlin, Dresden und Münster, dann wird das erst der sechste Staatsbesuch eines französischen Präsidenten in mehr als sechzig Jahren sein. Das hielt man auch im Élysée für so denkwürdig wenig, dass man die Historie noch mal genau studierte, die Protokolle miteinander abglich, und tatsächlich: Charles de Gaulle 1962, Valéry Giscard d’Estaing 1981, François Mitterrand 1987 und 1989, zuletzt Jacques Chirac 2000 – vor 24 Jahren!
Georges Pompidou, Nicolas Sarkozy und François Hollande waren wohl zu wenig lange im Amt, alle nur fünf Jahre. Macron erfährt die Ehre nach sieben Jahren, das ist nicht schlecht.
Der Euphoriker und der Nüchterne
Und es ist wohl wieder mal an der Zeit, dass man sich sagt, was man aneinander hat. Macrons Berater sagten vor der Reise, man könne immer «über Pannen spotten». Am Ende aber sei bedeutsam, dass diese «sehr besondere Beziehung» fortdauere. Sie tut es gerade etwas zäh, obschon die Grundlagen solid sind. Das hat auch mit dem Personal an der Spitze zu tun. Macron und der deutsche Kanzler Olaf Scholz verstehen sich nur leidlich, kein Wunder: Da trifft ein Redseliger auf einen Schweiger, ein Vorprescher auf einen Vorsichtigen, ein Euphoriker auf einen Nüchternen.
Die berühmte Chemie? Die stimmt noch nicht, und das ist nicht unwesentlich. Auf vielen aktuell zentralen Gebieten ist die Interessenlage beider Länder sehr unterschiedlich. Das wird auch die Harmonie nicht wegzuwischen vermögen, die bei solchen Staatsbesuchen sozusagen als Grundmelodie vorausgesetzt wird. Hier drei wichtige Baustellen, oder um beim Bild zu bleiben: drei grosse Streitpunkte im «Couple franco-allemand».
Die Ukraine – und die gemeinsame Verteidigung Europas
Das Wichtigste vorweg: Nach mehr als zwei Jahren Krieg in der Ukraine sind beide Hauptstädte im gleichen Mass überzeugt, dass Kiew mit aller möglichen Macht unterstützt werden muss. Macron brauchte etwas Zeit, dann aber sah er ein, dass auch er nicht fähig sein würde, auf Wladimir Putin einzuwirken. Jetzt gibt er den Falken; er sprach sogar von der Eventualität eines Einsatzes westlicher Bodentruppen in der Ukraine – im Wissen, wohlgemerkt, dass Deutschland in militärischen Belangen historisch befangen ist.
Scholz kanzelte Macron dafür ziemlich trocken ab. Worauf Macron den Deutschen vorwarf, sie hätten zu Beginn des Kriegs nur «Schlafsäcke und Helme» in die Ukraine schicken wollen. Der Streit über die tatsächlichen Hilfeleistungen beider Länder verkam zur infantilen Zahlenbeigerei und schwelt leise weiter. Fakt ist: Deutschland leistete bisher ein Vielfaches von Frankreich.
Macron hat die Debatte aber inzwischen auf eine höhere Ebene verlegt, auf die europäische. Europa, sagte er neulich bei einer Rede an der Sorbonne, sei «sterblich», es müsse sich dringend besser schützen – gemeinsam und unabhängig von den USA. «L’Europe de la défense» ist ein altes Verlangen der Franzosen. Macron spricht von «europäischem Souveränismus», eine Terminologie, die den Deutschen missfällt. Und er stellt in Aussicht, dass die ganze EU Platz finden könne unter dem Nuklearschirm der französischen Atommacht. Ob die ausreichen würde, und wer über deren Einsatz gegebenenfalls entscheiden würde, das ist offen.
Aber es geht um den grossen Bogenschlag: Wer kann was? Wer trägt was bei? Und: Geht das alles auch gemeinsam, ohne dass sich die geopolitischen Gleichgewichte auf dem Kontinent verschieben? Paris würde den Ausbau der europäischen Verteidigung auch über gemeinsame Schulden finanzieren wollen. Was die eher frugalen Deutschen davon halten, ist bekannt.
Schon das lange Drama um den Bau des sogenannten Panzers der Zukunft, den die Deutschen und die Franzosen nun für 2040 terminiert haben, zeigt auf, wie schwierig das Gemeinsame ist. Die Franzosen werfen den Deutschen auch oft vor, sie würden beim Rüstungskauf europäische (und französische) Konzerne übergehen und lieber in die USA oder nach Südkorea schauen – etwa beim Projekt eines Raketenabwehrschirms für Europa. Frankreich war zunächst wild dagegen, jetzt weicht es den Widerstand etwas auf.
«Pourquoi pas?», sagte Macron neulich. Warum nicht? Bei der gemeinsamen Ministerratssitzung in Berlin wird man auch darüber reden wollen.
China, E-Autos und Macron als CEO der Frankreich AG
Wie geht man klugerweise mit China um? Beide, Scholz und Macron, haben sich in den vergangenen Wochen mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping getroffen – der Kanzler in China, der Präsident in Paris. Es hätte eine Möglichkeit gegeben, dass auch Scholz im Élysée dabei gewesen wäre, Macron hatte ihn dazu eingeladen – bei ihrem Essen in La Rotonde, einer Pariser Brasserie, wo die beiden kürzlich an ihrer Chemie arbeiteten. Doch Scholz war dummerweise schon verplant, und sowieso: Er war ja gerade bei Xi gewesen.
In Frankreich deutete man das so, dass die Deutschen lieber weiterhin ihren eigenen Kurs fahren, dass sie Chinas mächtigen Mann nicht brüskieren und ihre Autoexporte nach China nicht unnötig gefährden wollen. Etwa mit Strafzöllen auf chinesische E-Autos, wie sie die EU plant – die treibende Kraft dahinter? Paris. Deutsche Konzerne haben Werke in China, sie wären wohl doppelt bestraft durch die Zölle.
Freier Handel gegen Protektionismus: So holzschnittartig ist es zwar nicht, aber fast. Das sah man auch bei den Verhandlungen mit dem Mercosur. Beiden geht es in erster Linie um das Wohl der eigenen Wirtschaft.
Da der französische Präsident kraft seines Amtes viel Macht hat, führt der sich als CEO der Frankreich AG auf. Macron, früher mal Investmentbanker, veranstaltet Investorentreffen, verhandelt über die passende Niederlassung von Batterie- und Halbleiterfabriken und bestimmt, welchen Wirtschaftssektoren der Zukunft der Staat helfen wird. Er tut das fast allein, im Palast. Scholz ist Kanzler einer Ampelkoalition, er entscheidet nie allein.
Die Atomkraft, Flamanville – und der unfair billige Strom
Im Sommer, mit zwölf Jahren Verspätung, wird in Flamanville im Norden Frankreichs der EPR ans Netz gehen, das Akronym steht für: «Europäischer Druckwasserreaktor». Die Franzosen sprechen von «moderner, sauberer Atomkraft»; ausser den Grünen ist niemand mehr dagegen.
Der Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Offenlegung einer grotesken Abhängigkeit Europas von russischem Gas hat die Franzosen bestärkt in ihrer Energiepolitik. Sie beziehen einen schönen Teil ihres Stroms aus ihren Kernkraftwerken, obschon etliche Reaktoren stillstehen. Dafür ist Frankreich ziemlich schwach bei den erneuerbaren Energien.
In Paris hört man oft, die Deutschen hätten nun mal einen grossen Fehler begangen, als sie nach dem Unfall in Fukushima ihr Nuklearprogramm beendet hätten – und dafür nun die Kohlenwerke wieder hochfahren mussten.
In dieser Kritik schwingt eine unbescheidene Note mit: In den grossen Fragen, finden viele Franzosen, sei ihr Land halt visionärer als der Partner jenseits des Rheins. Deutschland fürchtet vor allem, dass der billige, vom französischen Staat subventionierte Atomstrom die französische Industrie über die Massen bevorteilt, dass er den Wettbewerb verzerrt.
Auch darüber soll debattiert werden am Rand des Staatsbesuchs, möglichst harmonisch.
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