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Machtwechsel bei «Vogue»
Gelingt ihr der Spagat zwischen Aktivismus und Wintour-Tradition?

NEW YORK, NEW YORK - MAY 02: Chioma Nnadi attends The 2022 Met Gala Celebrating "In America: An Anthology of Fashion" at The Metropolitan Museum of Art on May 02, 2022 in New York City. (Photo by Dimitrios Kambouris/Getty Images for The Met Museum/Vogue)
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Die Neuigkeiten überraschten vor wenigen Monaten die Modewelt: Edward Enninful, Chefredaktor der britischen «Vogue», tritt nach nur sechs kurzen, aber erfolgreichen Jahren von seinem begehrten Posten zurück. Lange wurde spekuliert, wer in die Fussstapfen der Mode-Koryphäe treten könnte – nun ist bekannt, dass keine Geringere als Chioma Nnadi ab 9. Oktober die Nachfolge von Enninful antreten wird.

«The Times» titelte dazu passend: «The Devil Wears Sambas» – eine Anlehnung an den legendären Film «Der Teufel trägt Prada», der von der gefürchteten «Vogue»-Chefin Anna Wintour inspiriert sein soll. Doch die neue Chefin der britischen «Vogue» trägt bezeichnenderweise nicht Luxus-High-Heels von Prada – sondern Turnschuhe, genauer Sambas von Adidas, zurzeit die Trend-Sneakers schlechthin. Damit suggeriert die «Times» nicht nur, dass Nnadi modisch am Puls der Zeit ist, sondern auch weitaus bodenständiger ist als andere Frauen an der Spitze der «Vogue».

Zutreffen mag das auf die 44-jährige Modejournalistin etwa darum, weil sie ihre Kleider am liebsten in Vintage-Shops kauft, wie sie dem «Guardian» verrät. Auch weil sie sich der viel geäusserten Kritik bewusst ist, dass die «Vogue» «out of touch ist», was das Budget eines Durchschnittsmenschen für Mode angeht. «Als ich bei der ‹Vogue› anfing, ging es darum, das Neueste vom Neuen zu haben», sagt Nnadi. «Jetzt ist Vintage-Mode genauso wichtig.»

Sogar Anna Wintour ist Fan von ihr

Die Faszination für Mode prägt Nnadi, die im Zentrum Londons aufwuchs, schon seit ihrer Kindheit. In einem Artikel in der US-«Vogue» schreibt sie einmal darüber, wie sie als Vierjährige in einem Londoner Warenhaus auf Entdeckungsreise ging. Ihr Vater habe dabei genau gewusst, wo er seine Tochter habe finden können – nicht etwa in der Spielzeugabteilung, sondern bei den Kleidern. Nnadi macht sich ihr Hobby zum Beruf und schreibt für Indie-Magazine wie «Trace» und «The Fader», bevor sie zum «Evening Standard» wechselt.

2010 ergattert sie einen Job bei der amerikanischen «Vogue» und zieht nach New York. Während 13 Jahren macht sich die Britin dort als Multitalent einen Namen. Nnadi wird nicht nur eine der profiliertesten Schreiberinnen der Publikation, sondern auch Co-Host des hauseigenen Podcasts. 2020 wird sie zur Chefredaktorin der Website der US-«Vogue» ernannt. Mit ihrem Engagement und ihrer Vielfältigkeit soll sie sogar Anna Wintour als Fan gewonnen haben, die wegen ihrer strengen Art gern «Eiskönigin» oder «Nuclear Wintour» genannt wird. In der Medienmitteilung bezeichnete diese Nnadi jedenfalls als «geliebte Kollegin» mit einem «tadellosen Ruf».

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Doch nun steht Nnadi mit ihrer Rückkehr nach Grossbritannien vor der grossen Aufgabe, die Ausrichtung des Modemagazins zu bestimmen. Eine Herausforderung, nachdem Vorgänger Edward Enninful die Messlatte so hoch gelegt hat. Er hatte die etwas verstaubte britische «Vogue» in kurzer Zeit revolutioniert. Als erster schwuler schwarzer Mann in der Führungsetage der traditionsreichen Fashion-Bibel lotete er die Grenzen aus. Etwa indem er Menschen aller Hautfarben, Körperformen und Lebensgeschichten auf das Cover brachte. Doch dann kam die Kündigung.

Hinter vorgehaltener Hand wird dahinter ein taktischer Schachzug der gefürchteten «Vogue»-Chefin vermutet. Er sei zu woke gewesen, heisst es in der Modebranche. Auch zu heikel sei er Wintour geworden, weil er in der Modewelt unisono als ihr Nachfolger gehandelt wurde – offenbar ein Dorn im Auge der Frau, die auch nach 35 Jahren keineswegs daran zu denken scheint, bei der «Vogue»-Dynastie kürzerzutreten.

Auch vor diesem Hintergrund wird Nnadis Nominierung mit grosser Aufmerksamkeit verfolgt. Dass Wintour nun mit Nnadi die erste schwarze Frau an die Spitze eines «Vogue»-Titels setzt, spricht immerhin gegen die Theorie, dass Wintour antiwoke ist. Nnadis Vater ist Nigerianer, ihre Mutter Schweizerin. Damit tritt Nnadi nicht nur Enninfuls modisches Erbe an – sondern auch das kulturelle.

NEW YORK, NEW YORK - FEBRUARY 05: Edward Enninful and Anna Wintour attend the 2020 amfAR New York Gala at Cipriani Wall Street on February 05, 2020 in New York City. (Photo by Ryan Emberley/amfAR/Getty Images)

Das bringe viel Druck mit sich, sagt die 44-Jährige im «Guardian». Schliesslich habe Enninful «Neuland betreten». Es gehe bei der «Vogue» mittlerweile um mehr als nur darum, Teil eines Magazins zu sein. «Man ist Teil der kulturellen Konversation.»

Mit Enninful verglichen zu werden, habe sie erwartet, sagt die Britin. Doch sie weist auch auf einen entscheidenden Unterschied hin: «Als schwarze Frau, aber auch als gemischtrassige Frau sehe ich die Welt durch eine Linse, die von meinem Hintergrund beeinflusst ist.» Dazu gehöre, dass sie Eltern aus verschiedenen Kulturen habe und sich zwischen diesen Kulturen bewege.

Es habe sich aber viel geändert in den letzten Jahren. Als Chioma Nnadi bei der «Vogue» angefangen habe, habe nur noch eine weitere schwarze Person in dem Gebäude gearbeitet. Das sei heute anders. «Natürlich sollten Fragen der Vielfalt und der Inklusion immer auf der Tagesordnung stehen, aber ich habe das Gefühl, dass jetzt offener darüber gesprochen wird, und das empfinde ich als Fortschritt.»

Nnadi dürfte publizistisch weniger Spielraum haben als ihr Vorgänger.

Doch wie viel Aktivismus kann sich die schwarze Chefin der britischen «Vogue» leisten? Ob sie Enninfuls Erbe fortführt oder unter Wintours eisernem Führungsstil kuscht, wird sich zeigen. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass Nnadi nicht Enninfuls ehemaligen Jobtitel tragen wird. Anstatt Chefredaktorin wird die 44-Jährige «Leiterin redaktionelle Inhalte».

Das liegt an den strukturellen Veränderungen, die der Verlag Condé Nast in den letzten Jahren umgesetzt hat. Während weltweit Chefredaktorposten abgebaut wurden, festigte Anna Wintour mit ihrer neuen Aufgabe als «Chief Content Officer» ihre Macht global. Die Chefredaktorinnen wurden mit Redaktionsleiterinnen ersetzt, die in der Gunst von Wintour stehen – und redaktionell der Superchefredaktorin Wintour unterstellt sind. Allein dadurch wird Nnadi publizistisch wohl weniger Spielraum haben, als es ihr Vorgänger hatte.

Und was meint der exilierte Enninful zu seiner Nachfolgerin? Auch er redet in den höchsten Tönen von der Halbschweizerin. Sie sei «ein brillantes und einzigartiges Talent mit einer echten Vision», die die Publikation in immer grössere Höhen führen werde. Na dann – no pressure.