Argentinische Serie «El Reino»Machtgelüste und Messerattacken
Die Netflix-Serie «El Reino» ist in Argentinien ein Hit. Jetzt wird die Drehbuchautorin von Evangelikalen bedroht, die vor allem Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hochjubeln.
Als ein Attentäter am 6. September 2018 dem damaligen brasilianischen Präsidentschaftskandidaten Jair Bolsonaro ein Messer in den Bauch rammte, da wussten Claudia Piñeiro und Marcelo Piñeyro, dass sie sich beeilen müssen. Seit ein paar Monaten arbeiteten die Autorin und der Regisseur in ihrer Heimat Argentinien schon an einem Drehbuch für eine neue Serie. Eigentlich sollte sie eine Fortsetzung von «Die Donnerstagswitwen» werden, so hatte sich das die Produktionsfirma gewünscht.
Das Buch hatte Claudia Piñeiro Mitte der Nullerjahre weit über ihre Heimat hinaus bekannt gemacht. Heute gilt sie als eine von Argentiniens wichtigsten zeitgenössischen Schriftstellerinnen. 2009 wurde «Die Donnerstagswitwen» dann verfilmt. Marcelo Piñeyro führte Regie. Auch hier war das Interesse des Publikums wieder riesig.
Dennoch hatten Piñeiro und Piñeyro keine grosse Lust, die Geschichte über das Leben und Sterben in einer Gated Community vor den Toren von Buenos Aires fortzuführen. Stattdessen wollten sie lieber eine andere Geschichte erzählen, die eines evangelikalen Pastors und seiner Familie, ihren Kampf um die Seelen und das Ersparte der Gläubigen, vor allem aber auch über die Machtgelüste des Predigers und seiner Gefolgschaft.
Von der Kanzel in die Politik gewechselt
Ausgangspunkt der Geschichte, so hatten es sich die Macher überlegt, sollte ein Attentat sein, das auch das Leben des Evangelikalen mit einem Schlag verändert: Er ist kurz zuvor im Schlepptau eines rechten Unternehmers von der Kanzel in die Politik gewechselt. Doch dann wird aus dem Prediger auf einmal selbst ein Präsidentschaftskandidat, nachdem der eigentliche Bewerber auf das Amt ermordet worden ist – erstochen mit einem Messer bei einer Wahlkampfveranstaltung.
Piñeiro und Piñeyro sagen, sie hätten die Szene für ihre Serie bereits geschrieben gehabt, als sie in den Nachrichten von dem Messerangriff auf Bolsonaro hörten. Einst geplant als eine düstere Dystopie, hatte die Realität nun sie und ihr Drehbuch eingeholt.
Drei Jahre sind seitdem vergangen, und seit knapp zwei Wochen läuft «El Reino» nun bei Netflix, nicht nur in Argentinien, sondern auch in 190 anderen Ländern weltweit, darunter auch in der Schweiz (hier heisst es: «Dein Reich komme»). Die Produktion ist erstklassig besetzt mit Diego Peretti («Wakolda») und Mercedes Morán («La Ciénaga») in den Hauptrollen des Priesters und seiner Frau. «El Reino» ist durchaus aufwendig gemacht und spannend erzählt, mit düsteren Charakteren und noch dunkleren Geheimnissen.
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In Argentinien und Lateinamerika sorgt die Serie aber vor allem deshalb für Aufregung, weil es in ihr zwar auch um korrupte Juristen und skrupellose Eliten geht, vor allem eben aber um die Evangelikalen und ihre Verbindungen zur Macht und den Mächtigen.
Als Claudia Piñeiro und Marcelo Piñeyro damit begannen, das Skript für «El Reino» zu schreiben, da hatte noch kaum jemand geglaubt, dass Jair Bolsonaro ernsthaft die Präsidentschaftswahlen in Brasilien gewinnen würde. Aber es kam anders, nach dem Attentat auf ihn gewann er 2018 die Wahlen. Nach Skandalen und mehr als einer halben Million Corona-Toten steigt der Widerstand gegen ihn zwar immer mehr, gleichzeitig zeigen nicht zuletzt die grossen Demonstrationen zum Unabhängigkeitstag, dass der ultrarechte Politiker immer noch viele Anhänger hat.
Zu verdanken hat er das massgeblich auch den Evangelikalen, die ihn offen unterstützen, wohl nicht ganz uneigennützig: Mitten in der Pandemie durften Kirchen wieder öffnen, es gibt Steuererleichterungen und politische Posten.
Überall in Lateinamerika feiern die Pfingst- und Freikirchen Erfolge. Mit der Anhängerzahl wächst auch der Einfluss auf die Politik.
Längst haben sich die evangelikalen Tempel in Rio oder São Paulo zu Mega-Kirchen entwickelt, mit mehreren Tausend Plätzen und eigenen Radiostationen und Fernsehsendern. Und Brasilien ist kein Einzelfall mehr, überall in Lateinamerika feiern die Pfingst- und Freikirchen Erfolge.
Mit der Anhängerzahl wächst auch der Einfluss auf die Politik: Nach der höchst umstrittenen Machtübernahme einer rechten Übergangsregierung in Bolivien marschierte deren neue Präsidentin mit einer Bibel in der Hand in den Regierungspalast. Ähnliche Szenen fanden später in El Salvador statt, wo der junge Präsident Nayib Bukele ebenfalls auf den Rückhalt der neuen Christen baut.
In Argentinien hat der Peronismus bisher den Einfluss der Evangelikalen in der Politik gebremst. Aber auch hier steigt die Zahl ihrer Anhänger, mittlerweile machen sie bereits fast ein Fünftel der Bevölkerung aus.
Überzeugte Feministin
Und natürlich ist «El Reino» den Kirchenoberen ein Dorn im Auge. Wenige Tage nach dem Start der Serie veröffentlichte eine evangelikale Dachorganisation in Argentinien einen offenen Brief, in dem es hiess, «El Reino» basiere nur auf Hass und sei vor allem darauf ausgelegt, bei den Zuschauern Ablehnung gegenüber den Gläubigen und ihren Gemeinschaften hervorzurufen.
Dazu kamen noch Beschimpfungen und Angriffe im Netz, vor allem auch gegen Claudia Piñeiro: Die Autorin ist überzeugte Feministin und hatte sich prominent bei dem Kampf für das Recht auf Abtreibung engagiert und war schon hier mit den Evangelikalen aneinandergeraten.
Sie hätten mit Widerstand und Kritik gerechnet, sagen Piñeiro und Piñeyro. Aber dass diese so vehement gewesen seien, habe sie überrascht. Dennoch seien sie froh, dass ihre Serie eine so breite Diskussion ausgelöst hat. Es heisst, es werde schon an einer zweiten Staffel gearbeitet.
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