Rekonstruktion des M4Music-EklatsWeshalb die Sängerin und Abtreibungsgegnerin Bernarda nicht in Zürich auftreten durfte
Wer verantwortet die Absage des Bernarda-Konzerts am M4Music-Festival? Die Migros verweist auf die Stadtpolizei. Diese schreibt: «Der Entscheid lag allein bei der Veranstalterin.» Ja, was nun?

- Die Migros sagte Bernarda Brunovićs Auftritt am M4Music-Festival wegen angedrohter Störaktionen ab.
- Die Sängerin aus Dietikon trat mehrmals am «Marsch fürs Läbe» auf und ist Abtreibungsgegnerin.
- Bürgerliche Parteien kritisieren die Absage deswegen als Angriff auf die Meinungsfreiheit.
- Laut Brunović untersagte ihr ein Veranstalter einen weiteren Auftritt in Luzern.
Für Bernarda Brunović, deren Künstlerinnenname nur Bernarda ist, wäre es ein wichtiger Auftritt gewesen. Wer am M4Music spielt, wird später oft für Konzerttouren und Festivals gebucht, denn viele wichtige Leute aus der Branche sind vor Ort. Die Sängerin aus Dietikon hätte vergangenes Wochenende neben anderen Schweizer Newcomern auf der Open-Air-Bühne des M4Music-Festivals beim Zürcher Schiffbau auftreten sollen.
Doch so weit kam es nicht.
Das Festival des Migros-Kulturprozents sagte das Konzert von Bernarda kurzfristig wegen Sicherheitsbedenken ab. Die Sängerin bekam zwar die vereinbarte Gage, wie sie schreibt. Auftreten durfte sie aber nicht.
Das M4Music vermeldete dies knapp auf Instagram. Der Grund für die Absage seien Statements auf sozialen Medien, die Störaktionen angekündigt hätten im Fall, dass Bernarda aufgetreten wäre. Dies, weil die Künstlerin in der Vergangenheit am «Marsch fürs Läbe» auftrat, einer Demonstration von christlichen Abtreibungsgegnern.
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Eine Recherche dieser Redaktion zeigt: Bis heute will niemand wirklich die Verantwortung für die Absage übernehmen. Viele Fragen bleiben unbeantwortet.

M4Music-Leiter Philipp Schnyder und sein Team sagen nichts zu dieser Redaktion. Die einzige Kommunikation läuft über die Medienabteilung der Migros-Direktion. Diese schreibt, dass wie bei jeder Festivalausgabe ein Austausch mit der Stadtpolizei Zürich stattgefunden habe. «Daraufhin wurden die Sicherheitsvorkehrungen der aktuellen Lage angepasst.»
Das legt nahe, dass die Stadtpolizei zur umstrittenen Absage geraten hat. Doch diese schreibt auf Anfrage: «Die Polizei gab weder Empfehlungen ab noch hat sie über das weitere Vorgehen entschieden. Der Entscheid lag allein bei der Veranstalterin.»
Ja, was nun?
Fakt ist: Bernarda durfte nicht auftreten, was für breite politische Empörung bei bürgerlichen Parteien und zu einer angeblichen weiteren Konzertabsage von Bernarda in Luzern führte.
Veranstalterin hat «nichts gewusst» – Künstlerin hat «nichts zu verstecken»
Die Migros stellt sich auf den Standpunkt, zum Zeitpunkt der Verpflichtung von Bernarda nichts von ihren Auftritten am «Marsch fürs Läbe» gewusst zu haben. Das M4Music mache zwar Background-Checks, aber immer im Wissen, dass etwas übersehen werden könne.
Bernarda Brunović schreibt auf Anfrage: «Ich bin katholische Theologin, und kann die Abtreibung aus Gewissensgründen nicht vertreten. Ich habe nie etwas von meinem Leben geheim gehalten und auch nichts zu verstecken.»

Tatsächlich ist ihre Gesinnung sehr gut dokumentiert. Es gibt Medienberichte, die ihre Auftritte am «Marsch fürs Läbe» 2023 beschreiben. Im SRF-Interview-Format «Fenster zum Sonntag» erzählt sie davon, wie sie ohne Augenlicht zur Welt kam. Ärzte hätten ihren Eltern vor der Geburt zur Abtreibung geraten. Sei sei sehr dankbar, dass sie sich trotzdem für sie entschieden hätten. Einer ihrer Songs handelt genau von so einem Entscheid für das Kind. «You are a child, and you’re welcome on earth», singt sie. Du bist ein Kind und du bist willkommen auf der Erde.

Es gibt sogar einen ZDF-Beitrag, der Bernarda Brunović am M4Music 2024 als Zuschauerin zeigt. Mit ihrer Schwester steht sie vor der Bühne, auf der sie dieses Jahr hätte auftreten sollen, und spricht vom Traum, dort bald zu spielen. Ihr Agent, den sie am Festival kennen lernte, sagt: «Ich finde das ein realistisches Ziel.» Zur Absage will er sich nicht äussern.

Hätte das M4Music Bernarda gebucht, wenn es vom konservativen Weltbild gewusst hätte? Dazu nimmt die Migros keine Stellung und schreibt einzig, dass das Festival Diversität und Inklusion lebe.

Festivalleiter Philipp Schnyder kommentierte die Absage des Konzerts von Bernarda lediglich gegenüber der Musikplattform «Negative White». Als das M4Music noch vor dem Festival und der Absage von den Werten der Sängerin erfahren habe, hätten er und sein Team sofort das Konfliktpotenzial erkannt. Sie seien mit Bernarda verschiedene Szenarien durchgegangen und hätten auch eine Vertragsauflösung vorgeschlagen. «Bernarda versicherte, dass sie den Auftritt nicht als Plattform für ihre Überzeugungen nutzen werde.» Darum hielt das M4Music-Management ursprünglich am Auftritt fest. «Die Entscheidung war nicht einfach», sagt Schnyder.

Am Dienstag vor dem Festival kamen dann die Statements in den sozialen Medien hinzu, die schliesslich zur Absage führten. Linksautonome Kreise riefen dazu auf, den Auftritt zu stören. Die «Limmattaler Zeitung» schrieb von einem Post, in dem es hiess: «Religiöse Fundis und Abtreibungsgegner:innen haben nichts in unseren Quartieren verloren.»
Weshalb genau es dann nach der Lagebeurteilung zwischen Stadtpolizei und M4Music zur Absage kam, bleibt unklar.
Konzertabsage hat politische Konsequenzen
Im Zürcher Gemeinderat griff am Mittwoch die Mitte/EVP-Fraktion den Vorfall auf. «Wenn die Stadt nicht mehr in der Lage ist, den nötigen Schutz für die friedliche Durchführung von harmlosen Kulturveranstaltungen sicherzustellen, haben wir ein massives Problem in unserer Stadt», heisst es in der Fraktionserklärung.
Sandra Gallizzi von der EVP kritisiert sowohl das Zürcher Sicherheitsdepartement als auch die Migros. «Man muss eine Meinung nicht teilen, aber man muss sie respektieren», sagt sie.
Die SVP schrieb in ihrer Erklärung, dass der Stadtrat unter der Führung von Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart vor den «Gewaltchaoten» eingeknickt sei. Fraktionspräsident Samuel Balsiger sagt auf Anfrage: «Es ist klar, dass die Migros den Entscheid aus Marketing-Sicht getroffen hat.» Es sei aber auch nicht die Aufgabe der Migros, die Grundrechte zu schützen, sondern jene des Zürcher Sicherheitsdepartements.

Karin Rykart selbst wollte nichts dazu sagen. Ihre Kommunikationsleiterin widerspricht dem Vorwurf der SVP. «Die Stadtpolizei Zürich hat nie gesagt, dass sie die Sicherheit rund um den Anlass nicht garantiere.» Karin Rykart sei in diese Lagebeurteilung nicht einbezogen gewesen.
Nach Absage in Zürich wird auch Luzerner KKL hellhörig
Bernarda Brunović sagte auf Instagram, das sie «enttäuscht und äusserst traurig» über die Absage des Konzerts gewesen sei. Sie werde sich ihre Stimme aber nicht nehmen lassen.
Am Tag, an dem Bernarda am Nachmittag hätte am M4Music auftreten sollen, trat sie als Gast beim Konzert der amerikanischen Soulsängerin Chaka Khan im KKL in Luzern auf.

Am Samstag hätte Bernarda dann nochmals mit Chaka Khan auftreten sollen – doch dazu kam es nicht. Ein erneuter Auftritt sei ihr untersagt worden, schreibt sie. Der Konzertveranstalter habe Angst gehabt, dass die Berichterstattung rund um das M4Music und den «Marsch fürs Läbe» sich negativ auf Chaka Khan auswirken würde.
Der Konzertveranstalter City Light Concerts schreibt auf Anfrage, dass der Gastauftritt am Freitag spontan zustande gekommen sei und aus Sicht aller Beteiligten eine sympathische Aktion gewesen sei. «Ein erneuter Gastauftritt beim Konzert vom Samstag kam für uns aus künstlerischen Überlegungen nicht infrage.»
Das Stadtfest in Dietikon, wo Bernarda Brunović herkommt, hält laut «Limmattaler Zeitung» am Auftritt der Sängerin im September fest. Es stehe für Toleranz und Meinungsfreiheit. Die Kulturbeauftragte Irene Brioschi sagt, sie habe Bernarda immer als «tolerante, differenzierte und selbstkritische Person» erlebt.
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