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Proteste in Weissrussland
Lukaschenko reist als Bittsteller zum «älteren Bruder»

Zweckbündnis, keine Freundschaft: Der weissrussische Präsident Alexander Lukaschenko zu Besuch bei Russlands Präsidenten Wladimir Putin in Sotschi (Februar 2020). 
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Am Ende sind es wieder Zehntausende, die in Minsk zu grossen Protestzügen gegen Machthaber Alexander Lukaschenko strömen. Zu viele, um sie aufzuhalten. Die weissrussischen Sicherheitskräfte hatten in der Innenstadt zwar erneut Plätze und Regierungsgebäude mit Stacheldraht gesperrt. Polizei, Omon-Spezialkräfte und maskierte Männer ohne offizielle Abzeichen nahmen seit Mittag friedliche Demonstranten fest, gingen häufig brutal vor.

Auch Frauen schleppten sie in die unbeschrifteten Kleinbusse. Die Regel, Frauen bei den Protesten in Ruhe zu lassen, gilt seit Samstag nicht mehr, als mehr als 70 Teilnehmerinnen von Frauendemonstrationen festgenommen wurden. Am Sonntag zählte das Innenministerium bis zum Nachmittag 250 Festnahmen.

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Keine Schonung mehr: Omon-Spezialkräfte und maskierte Männer schleppen Frauen in unbeschriftete Kleinbusse.
Keine Schonung mehr: Omon-Spezialkräfte und maskierte Männer schleppen Frauen in unbeschriftete Kleinbusse.
Keine Schonung mehr: Omon-Spezialkräfte und maskierte Männer schleppen Frauen in unbeschriftete Kleinbusse.

Die Demonstrierenden liessen sich nicht abschrecken, in zahlreichen Städten gingen sie am Sonntag in der fünften Woche in Folge auf die Strasse. In Minsk strömten sie nicht nur zum zentralen Siegesdenkmal, der Stele. Sie zogen auch durch andere Stadtteile, etwa Richtung Drasdy, Lukaschenkos Wohnort.

Es war der erste Protest ohne Maria Kolesnikowa, der erste ohne führende Oppositionelle. Deren Idee, durch einen Koordinierungsrat eine Machtübergabe einzuleiten und alle Gruppen der Gesellschaft einzubinden, hatte Lukaschenko für verfassungswidrig erklärt. Alle leitenden Mitglieder des Rats wurden festgenommen oder mussten das Land verlassen.

Maria Kolesnikowa ist im Gefängnis

Geblieben ist nur die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch, auch auf sie üben Sicherheitskräfte nun Druck aus. Maria Kolesnikowa hatte sich dagegen gewehrt, in die Ukraine abgeschoben zu werden, und sitzt seither in Untersuchungshaft. Ihre Anwältin teilte mit, Kolesnikowa habe Klage gegen Geheimdienstmitarbeiter eingereicht, die ihr körperliche Gewalt angedroht hatten, sollte sie Belarus nicht verlassen.

Das Regime will durchgreifen: Die Regel, Frauen bei den Protesten in Ruhe zu lassen, gilt seit Samstag nicht mehr.

Vielleicht wollte Alexander Lukaschenko dem russischen Präsidenten demonstrieren, dass er die Lage im Griff hat. Die grossen Sonntagsproteste haben Lukaschenko diesen Eindruck verdorben. An diesem Montag soll er Wladimir Putin in Sotschi treffen, die erste Begegnung seit der nachgeholten Siegesparade im Juni in Moskau. Lukaschenko kommt nun in einer Rolle, die er immer vermeiden wollte: Als Bittsteller an den «älteren Bruder», so hat er Putin kürzlich in einem Interview genannt.

Beim Treffen in Sotschi soll es um den gemeinsamen Handel gehen

Aus dem Kreml hiess es knapp, in Sotschi gehe es um gemeinsame Handelsprojekte, Wirtschaft, Energie und Kultur, und um den «fortschreitenden Integrationsprozesses innerhalb des Unionsstaats». Diese stärkere Zusammenarbeit hatte Lukaschenko bisher ausgebremst, mit dem Argument, er wollte die belarussische Unabhängigkeit bewahren. Nun scheint er bereit, sie Russland zu opfern, wenn er dadurch Präsident bleiben kann. Für den Kreml, der Weissrussland seit Jahrzehnten stärker an sich binden möchte, werden die Proteste zur Gelegenheit. Es sei aber nicht geplant, irgendwelche Dokumente in Sotschi zu unterzeichnen, hiess es.

Putin hatte Lukaschenko bereits öffentlich Unterstützung zugesichert: In einem Interview mit dem russischen Staatsfernsehen versprach er eine Sondereinheit, sollten die Dinge in Minsk eskalieren. Jedoch schob der Kreml kurz darauf hinterher, dass er dafür bisher keine Notwendigkeit sehe. Putins Zusicherung war wohl auch Signal an Lukaschenkos Sicherheitsapparat und die politische Elite in Minsk, dass der Machthaber von Moskau gestützt wird.

Kein Durchkommen: Polizisten blockieren eine Demonstrantin bei den grossen Protesten am Samstag. 

Eine Hilfstruppe hat Russland bereits geschickt: Kreml-nahe Journalisten ersetzen längst die streikende Belegschaft in den belarussischen Staatsmedien. Dazu kam moralische und wirtschaftliche Unterstützung: Putin erklärte den Koordinierungsrat der Opposition für nicht verfassungsgemäss.

Eine Milliarde Dollar Schulden, die Minsk in Moskau hat, wurde bereits refinanziert. Es gibt nun auch Gespräche darüber, belarussische Exporte über russische Häfen zu verschicken. Bisher ist Lukaschenko stark auf den litauischen Hafen in Klaipeda angewiesen. Dem drohte Lukaschenko nun mit Boykott, Litauen unterstützt aus seiner Sicht die Oppositionsbewegung.

Weissrussische Bevölkerung ist eigentlich für Russland

Putin selbst hat keinen Grund, Lukaschenko zu trauen. Vor wenigen Wochen hatte dieser Russland noch beschuldigt, sich in die Wahl einmischen zu wollen. Putin hat kein Interesse daran, Weissrussland zum Beispielfall dafür werden zu lassen, wie man einen Autokraten abwählt. Die Hilfe aus Russland ist jedoch keine Garantie dafür, dass Moskau Lukaschenko langfristig als alternativlos betrachtet. Je stärker Lukaschenko die Helfer in sein System lässt, desto entbehrlicher macht er sich für den Kreml. Der war bisher auf Lukaschenko als Verhandlungspartner angewiesen, hat ihn daher trotz seiner ständigen Volten geduldet.

Putin unterstützt die Idee aus Minsk, die Verfassung zu ändern. Lukaschenko kann damit Zeit gewinnen. Für Putin ist es eine Möglichkeit, Einfluss auf die Reform und eventuelle Neuwahlen zu nehmen. Dafür nimmt er in Kauf, die weissrussische Bevölkerung zu frustrieren. Die ist bisher überwiegend freundschaftlich gegenüber Russland eingestellt. Die führenden Oppositionellen hatten sich eine Zusammenarbeit gewünscht. Doch Putin hat sich für die andere Seite entschieden.