Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Interview zur Langlebigkeit
«Das Altern ist aufzuhalten – mit Bewegung»

Älteres Paar macht gemeinsam Sportübungen auf einer Yogamatte zu Hause während der COVID-19-Quarantäne.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Ein internationales Team hat neue Richtlinien erarbeitet, wie Menschen älter werden und dabei gesund bleiben. Am wichtigsten ist regelmässige Bewegung. Damit könnten Alterungsprozesse aufgehalten werden, schreibt das Team im Fachmagazin «The Journal of Nutrition, Health and Aging». Gezielte Programme sollten bei Gesunden als Prävention und bei Kranken als Therapie eingesetzt werden, fordern die Forschenden, darunter Heike A. Bischoff-Ferrari von der Universität Zürich.

Frau Bischoff-Ferrari, was ist neu an diesen Bewegungsempfehlungen für ein gesundes Altern?

Wir haben «Bewegung» erstmals als den zentralen Hebel für die Verlängerung einer gesunden Lebenserwartung definiert. Bekannt ist, dass Bewegung hilft, verschiedene chronische Erkrankungen zu verhindern, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Krebs. Zudem stärkt Bewegung verschiedene Körperfunktionen wie Mobilität, mentale Gesundheit und die Gehirnleistung. Neu sind die Erkenntnisse, dass Bewegung ganz direkt die Alterungsprozesse verlangsamen kann, und zwar indem sie molekulare und zelluläre Veränderungen im Körper positiv beeinflusst, die wir messen können.

Soll Bewegung als Therapie eingesetzt werden?

Ja, unter anderem. Der Vorteil ist, dass Bewegung für alle Menschen zugänglich ist. Der aktuelle Wissensstand, den wir in der Veröffentlichung zusammengefasst haben, zeigt, dass jeder und jede über die Bewegung die eigenen Alterungsprozesse beeinflussen kann. Wir geben beispielsweise für Personen mit altersbedingten Grunderkrankungen wie Arthrose, Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen ganz konkrete Bewegungsempfehlungen. Zusätzlich sind auch andere gesundheitsfördernde Massnahmen zu berücksichtigen, etwa die Ernährung, und mögliche Anpassungen bestehender medizinischer Behandlungen, etwa Medikamente.

Geht es bei den Empfehlungen ausschliesslich um ältere und bereits kranke Menschen?

Nein, die neuen Richtlinien sind umfassend. Schliesslich bewirkt ausreichende Bewegung, dass die biologischen Alterungsprozesse bei allen Altersgruppen verlangsamt werden. Besonders wichtig ist Bewegung aber für ältere Menschen, um die Gesundheit zu fördern, bis hin zur Behandlung von Gebrechlichkeit. Diese Empfehlungen richten sich vor allem an über 60-Jährige.

Ist es geplant, dass die einzelnen Länder, also auch die Schweiz, diese Empfehlungen als bezahlte Präventionsmassnahmen umsetzen?

Ja! Die Empfehlungen sind so aufbereitet, dass dieses Ziel erreicht werden kann. Für die Schweiz entsteht etwa an der Universitären Altersmedizin am Felix-Platter-Spital und der Universität Basel Mitte 2025 ein Schweizer Campus für gesunde Langlebigkeit. Dort und an der verbundenen Campus-Klinik werden diese Empfehlungen zum Einsatz kommen. Ziel ist zudem, mit den Krankenversicherungen Pakete zu verhandeln, um personalisierte gesundheitsfördernde Massnahmen zu finanzieren – für gesunde und insbesondere auch für Menschen mit bestehenden Vorerkrankungen. Das muss nicht teurer werden. Beispielsweise erzielt ein Gleichgewichts- und Krafttraining für ältere Menschen einen grösseren Erfolg, um Stürze zu verhindern, als medikamentöse Therapien.

Wäre es nicht wirksamer, früher anzusetzen, damit die Bevölkerung gar nicht erst wegen zu wenig Bewegung Krankheiten entwickelt?

Absolut. Auch hier geben die Empfehlungen einen Ausblick, wie wir zukünftig über neue molekulare Messwerte unseren biologischen Alterungsprozess erfassen können. Dazu können wir uns zum Beispiel die jeweiligen Alterungsprozesse von elf Organen von gesunden Menschen anschauen. Der Neurobiologe Tony Wyss-Coray von der Stanford University School of Medicine hat dazu vor zwei Jahren eine viel beachtete Studie veröffentlicht. Demnach haben gesunde Menschen, bei denen ein Organ besonders schnell altert, etwa das Herz oder das Gehirn, ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Herzerkrankung oder Demenz im Vergleich zu Menschen, bei denen die Organe langsamer altern. Das haben Blutproben gezeigt. Derartige Blutmessungen werden am künftigen Schweizer Campus für gesunde Langlebigkeit in Basel in einer Zusammenarbeit mit Tony Wyss-Coray zum Einsatz kommen. So wollen wir den Einfluss von Bewegung und anderen Lebensstilfaktoren auf den Alterungsprozess zu einem frühen Zeitpunkt im Leben der Menschen messen.

Wie soll es gelingen, ältere und kranke Menschen zu mehr Bewegung zu animieren?

Und auch Jüngere! Das ist tatsächlich eine grosse Herausforderung. Es kann aber gelingen, indem wir Menschen gut informieren und befähigen, sich selbst regelmässig zu überprüfen, etwa, ob sich ihre Mobilität verändert und ihre Kraft. Das ist zum Beispiel mit einfachen Tests oder digitalen Messungen möglich. Die Bewegungsempfehlungen sollten zu den Bedürfnissen der einzelnen Person passen, also personalisiert sein. Dazu ist wichtig, dass wir Menschen in der Umsetzung nicht alleinlassen. Wir starten daher in einigen Monaten mit zwei speziellen Programmen, um Freiwillige dabei zu unterstützen, einen gesunden Lebensstil umzusetzen.

Was sind das für Programme?

Ein Programm stammt von der WHO, genannt Icope. Es ermöglicht die sechs Funktionen, die für uns Menschen am wichtigsten sind, nämlich Mobilität, Kognition, mentale Gesundheit, Hören, Sehen und Ernährung, niederschwellig zu überwachen. Daraus leiten sich dann personalisierte Empfehlungen zu verschiedenen Lebensstilanpassungen ab, inklusive Bewegung. Wir möchten dieses Programm in Zusammenarbeit mit der Pro Senectute des Kantons Zürich der Schweizer Bevölkerung zugänglich machen. Das zweite Programm heisst Precision Age. Das richtet sich an Menschen ab 45 Jahren mit einem ungesunden Lebensstil. Die Betroffenen lernen dabei, vier Lebensstilfaktoren gleichzeitig zu verbessern. Unterstützt wird das Projekt mit einem einfachen digitalen Tool, um täglich Rückmeldungen zu bekommen und das Programm anzupassen. Ziel ist, mit Precision Age das biologische Alter zu verlangsamen, gemessen an den neuen molekularen Messwerten.

«Ein Spaziergang zu zweit mit Unterhaltung trainiert das Gehirn perfekt. Oder tanzen Sie!»

Was kann jeder Einzelne tun, um möglichst gesund ein hohes Alter zu erreichen?

Das Allerwichtigste ist, jede Möglichkeit für Bewegung zu nutzen. Jeder Schritt und jede Treppe zählt. Je älter wir werden, desto wichtiger wird es, verschiedene Bewegungselemente zu kombinieren, also neben den 6000 bis 8000 Schritten am Tag oder 150 bis 300 Minuten Bewegung in der Woche auch Kraft, Gleichgewicht und Koordination zu trainieren. Wichtig ist, den altersbedingten Muskelabbau zu drosseln und das Sturzrisiko zu senken. Dies ist zudem wichtig für die Diabetes-Prävention. Muskelaufbau mit Training funktioniert bis ins hohe Alter.

Bewegung soll aber auch Spass machen, oder?

Auf jeden Fall. Besonders wertvoll sind Bewegungen, die man gemeinsam und koordiniert durchführt. Dabei kann man die Alterungsprozesse verlangsamen und zusätzlich die kognitiven Fähigkeiten stärken. Ein Spaziergang zu zweit mit Unterhaltung trainiert das Gehirn perfekt, weil wir zwei Aufgaben gleichzeitig umsetzen. Oder tanzen Sie! Dabei geht es um Koordination, Ausdauer und Gleichgewicht. Ähnliche Vorteile bieten Tennis oder andere Ballsportarten in der Gruppe. Was man macht, muss individuell passen und Spass machen!

Und was sollten wir vermeiden?

Wir sollten zu lange Sitz- oder Liegezeiten unterbrechen, weil sich dies unabhängig vom Training negativ auf unsere gesunde Lebenserwartung auswirkt. Perfekt wird es, wenn man Bewegung mit einem gesunden Essen in Gesellschaft verbindet. Ausgewogenes Essen heisst: viel Gemüse, wenig rotes Fleisch, gesunde pflanzliche Eiweisse etwa in Form von Hülsenfrüchten und Nüssen, gesunde Fette wie Oliven- oder Rapsöl und Vollkornprodukte. Gesellschaft schützt ganz allgemein vor Einsamkeit, welche belegtermassen den Alterungsprozess schneller vorantreibt als Immobilität, als 16 Zigaretten am Tag, als sechs alkoholische Getränke am Tag und als Übergewicht.