Wohin mit Britanniens Atom-U-Booten?London schmiedet Pläne für ein «nukleares Gibraltar»
Bei einer Unabhängigkeit Schottlands wären die U-Boote der britischen Atomstreitkraft im schottischen Hafen von Faslane nicht mehr erwünscht. London prüft einen neuen Standort in Frankreich und den USA.
Grossbritanniens nationale Atomstreitkraft ist immer besonderer Stolz wehrhafter Briten gewesen. Die auf vier Vanguard-U-Booten installierten Trident-Raketen, über die der jeweilige Premierminister gebietet, sollen dafür sorgen, dass die Nation sich zu verteidigen weiss, «wenn es anders nicht mehr geht».
Zu ihrer Überraschung haben Boris Johnsons Landsleute nun aber erfahren, dass die Regierung offenbar Pläne schmiedet, denen zufolge Trident bei Bedarf nach Frankreich oder in die USA verlegt werden könnte. Île Longue in der Bretagne oder Kings Bay Georgia, an der amerikanischen Ostküste, kämen als mögliche neue Standorte infrage. Das hat heute die immer gut informierte «Financial Times» gemeldet – und das britische Verteidigungsministerium hat die Existenz entsprechender Notstandspläne jedenfalls nicht dementiert.
Hintergrund der Geschichte ist, dass die vier fraglichen U-Boote, von denen jedes 40 Sprengköpfe an Bord hat, im Hafen Faslane in Westschottland stationiert sind. Und dass die schottische Regierung, die nichts von Atomwaffen hält, sie gern loswerden will. Zurzeit geht das nicht. Fürs Militärische ist die Zentralregierung in London zuständig, nicht Nicola Sturgeons Schottische Nationalpartei (SNP).
Ausgeschlossen ist allerdings nicht, dass es in den nächsten zwei Jahren in Schottland zu einem neuen Referendum über die nationale Unabhängigkeit kommt. Und wie sich die Schotten bei einer solchen Gelegenheit entscheiden würden, weiss heute kein Mensch.
Im Ausland statt in Devonport
Für den Fall der Fälle, wenn also Trident aus Faslane abgezogen werden müsste, scheint man sich im Londoner Regierungsviertel Whitehall bereits Gedanken zu machen. Naheliegend, findet man in England, wäre in einem solchen Fall die Verlegung der Flotte in einen englischen Militärhafen. Devonport, in der Nähe von Plymouth, bietet sich dafür an.
Aber so nah wollen viele Einheimische die Raketen, die ihnen Schutz gewähren sollen, gar nicht wissen. Und kostspielig wäre das Ganze ausserdem. Auf 3 bis 4 Milliarden Pfund hat die Studie einer Denkfabrik schon anlässlich des ersten Schottland-Referendums von 2014 die Kosten für eine solche Verlegung angesetzt.
Billiger wäre es, einen bereits existierenden Hafen für Atomstreitkräfte zu benutzen. Wie etwa Île Longue, drüben über dem Kanal. Oder Kings Bay Georgia, bei Jacksonville, jenseits des Grossen Teichs. Dort haben die USA ihre eigene Trident-Flotte stationiert. Auch die Betreuung wäre dort relativ simpel. Immerhin ist das Trident-System made in the US of A.
«Übersee-Territorium» in Schottland
Ob eine solche «Auslagerung» eigener Atomwaffen politisch durchsetzbar wäre, ist eine andere Frage. Was die neuen Enthüllungen jedenfalls zeigen, ist die wachsende Sorge um das, was in Schottland geschieht. Zwar hat Premier Johnson mehrfach betont, dies sei «nicht die Zeit» für ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum bei den Schotten. Sturgeons SNP hat jedoch im Mai die schottischen Parlamentswahlen gewonnen – mit einem ausdrücklichen Referendumsversprechen in ihrem Wahlprogramm.
Ob die schottische Unabhängigkeit wirklich näher rückt, ist schwer abzuschätzen. Zum einen könnte London die Erlaubnis zu einem Referendum verweigern. Dann hätte der Supreme Court, das oberste Gericht, das letzte Wort. Zum andern melden die Umfragen in Schottland derzeit eher weniger Interesse an einer schottischen Abspaltung von England als etwa im Vorjahr. Sorge bereitet vielen Schotten nicht zuletzt, dass ihr Land sich in letzter Zeit sehr viel drastischer verschuldet hat als der Rest des Königreichs.
Unter diesen Umständen, haben die Planer in London sich überlegt, könnte es für ein unabhängiges Schottland vielleicht Sinn machen, Faslane für ein paar Jahrzehnte gegen gutes Geld an den Rest des Königreichs zu verpachten. Was man sich vorstellen könne, meinen sie, sei eine Art «nukleares Gibraltar» – ein von Britannien genutztes «Übersee-Territorium» in Schottland, das die Vanguard-U-Boote weiter anlaufen können, bis man eine bessere Lösung gefunden hat.
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