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Linksextremismus in Deutschland
Eine Studentin führte das Kommando an  

Von Leipzig nach Karlsruhe: Elitepolizisten nahmen Lina E. letzten Freitag in Empfang, um sie dem Ermittlungsrichter des deutschen Bundesgerichtshofs und der Untersuchungshaft zuzuführen.
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Eine hochgewachsene junge Frau mit langen Haaren, blauem Rock, rot lackierten Fingernägeln: Fotos zeigen die 25-jährige Studentin Lina E., wie sie Ende letzter Woche abgeführt wird. Ein Helikopter hatte sie zuvor von Leipzig nach Karlsruhe geflogen – zum Sitz des deutschen Generalbundesanwalts Peter Frank.

Seitdem sich Ende der 90er-Jahre die Rote-Armee-Fraktion (RAF) aufgelöst hatte, liess die höchste Anklagebehörde nur noch selten Linksextremisten festnehmen. Die Bundesanwaltschaft wirft Lina E. die Mitgliedschaft in einer «kriminellen Vereinigung» vor, zudem «gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung», «besonders schweren Landfriedensbruch» und weitere Delikte.

Ermittler sehen Lina E.s Zelle an der Schwelle zum Linksterrorismus.

Die Leipzigerin habe mehrere Überfälle auf Rechtsextremisten geplant, ausgeführt und kommandiert. Sie habe in ihrer Zelle, der ungefähr zehn Personen zwischen 20 und 30 Jahren angehörten, eine «herausgehobene Stellung» innegehabt. Ermittler sagten der «Welt am Sonntag», Lina E.s Truppe sei an der Schwelle zum Linksterrorismus gestanden.

Gewalttätige Reaktionen: Polizisten gingen am letzten Wochenende mit Wasserwerfern gegen Hunderte von Linksextremisten vor, die in Leipzig-Connewitz gegen die Verhaftung von Lina E. demonstrierten. 

Konkret wirft der Bundesanwalt Lina E. zwei Angriffe auf mutmassliche Rechtsextremisten im thüringischen Eisenach vor. Im Oktober 2019 habe die junge Frau mit einem Dutzend Mitstreitern eine Kneipe namens Bull’s Eye überfallen, die in der Stadt als Treffpunkt von Neonazis bekannt war. Die Angreifer drangen in die Gaststätte ein, versprühten Reizstoffe und schlugen mit Stöcken auf Wirt, Gäste und Mobiliar ein. Sechs Personen wurden erheblich verletzt.

Reizgas, Hammer, Radschlüssel, Stangen

Zwei Monate danach überfiel die Zelle den Betreiber des Bull’s Eye. Lina E. sprühte ihm Reizgas ins Gesicht, Komplizen schlugen ihn mit Hammer, Radschlüsseln und Stangen. Als der Attackierte sich in ein Auto flüchtete, griffen sie auch dessen Begleiter an und verletzten diese ebenfalls. Dann flüchteten sie in Lina E.s Auto, mit gestohlenen Kennzeichen.

Im Juni dieses Jahres spähte Lina E. in Leipzig zudem einen bekannten rechtsextremistischen Kampfsportler aus – um einen Anschlag vorzubereiten, glauben die Ermittler. Der Angriff wurde von der Polizei offenbar vereitelt. Als Lina E. letzten Donnerstag in Leipzig verhaftet wurde, wurden auch ihre Wohnung und die zweier mutmasslicher Komplizen durchsucht.

Gefährliche Tendenz

Gezielte gewalttätige linksextremistische Angriffe auf Rechtsextremisten entsprächen einer neuen Tendenz, hielt der Verfassungsschutz schon vor der Festnahme von Lina E. fest. Laut dessen Chef, Thomas Haldenwang, gilt das alte linksmilitante Tabu nicht mehr, dass man allenfalls Sachen angreife, aber nicht Personen. Vielmehr beobachte man, dass Personen immer häufiger planvoll und mit zunehmender Gewalt attackiert würden, oft auch in deren privatem Rückzugsraum. Die Überfälle dienten nicht nur der Einschüchterung, sie nähmen auch schwere Verletzungen bis zum Tod mit in Kauf.

Besonders Polizisten, Unternehmer, AfD-Politiker und Rechtsextremisten würden angegriffen. Die Linksextremisten um Lina E., meint der Bundesanwalt, lehnten den Rechtsstaat genauso ab wie die Meinungsfreiheit und das staatliche Gewaltmonopol. Er würde noch nicht von einem neuen Linksterrorismus sprechen, sagte Haldenwang kürzlich dem Berliner «Tagesspiegel». Aber weit weg davon sei man nicht mehr.

«Wenn der Rechtsextremismus zunimmt, sehen wir eine entsprechende Reaktion im Linksextremismus.»

Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz

Wenn, wie in den letzten Jahren, der Rechtsextremismus gewalttätiger werde, so Haldenwang, schaukle sich in der Regel auch die linksextremistische Gewalt hoch. Militante Antifaschisten sehen sich gerne als eine Art «linke Bürgerwehr», die gegen eine Entwicklung kämpfe, der die Polizei nicht Herr werden könne oder wolle.

Tumult im Hotspot: In Leipzig wie in Berlin oder Hamburg kommt es fast im Wochentakt zu gewalttätigen Konfrontationen zwischen Linksextremen und der Polizei. 

In den vergangenen Monaten kam es vor allem in Leipzig, Berlin und Hamburg zu einer ganzen Reihe gezielter Angriffe auf Personen. Im Herbst 2019 suchten in Leipzig Linksextreme die Prokuristin einer Immobilienfirma in ihrer Privatwohnung auf und schlugen sie nieder, kaum hatte sie die Tür geöffnet. Zuvor hatten Kräne einer Baufirma gebrannt und drohten auf Wohnhäuser zu stürzen.

In Stuttgart überfielen im Mai Linksextremisten drei Mitglieder einer rechten Gewerkschaft und prügelten einen Betriebsrat ins Koma. Ein mutmasslicher Täter wurde im Sommer verhaftet, ein anderer letzte Woche.

Drohbriefe mit Patronen

Ein Paar aus Baden-Württemberg, der 38-jährige Martin E. und die 39-jährige Nicole G., wurde vor drei Wochen in Berlin festgenommen. Es wird beschuldigt, Drohbriefe mit Patronen an Politiker wie den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, den deutschen Innenminister Horst Seehofer und den obersten Verfassungsschützer Haldenwang geschickt zu haben.

E. und G. drohten zudem mit Brandanschlägen gegen Verkehrsbetriebe oder Fleischfabriken von Clemens Tönnies. Ein Bekennerschreiben ihrer «Revolutionären Aktionszellen» widmeten sie laut «Spiegel» den untergetauchten Terroristen der RAF. Die Ermittler halten das Paar allerdings für Einzeltäter – der Bundesanwalt gab das Verfahren deswegen vor kurzem an die Stuttgarter Justiz ab.

Der Festnahme von Lina E. folgten in Leipzig-Connewitz mehrere Nächte lang Ausschreitungen: Linksextremisten griffen Polizisten und Polizeiwachen mit Brandsätzen, Böllern, Flaschen, Steinen und Farbe an. «Freiheit für Lina» lautete die Parole.