Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Interview mit Umweltpsychologin
Warum schützen wir das Klima nicht, obwohl wir wollen? 

Der Versuch, in allen Bereichen gleichzeitig Klimaschutzkönigin zu sein, erzeugt nur Frust, sagt die Psychologin Isabella Uhl-Hädicke.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Aus aktuellem Anlass publizieren wir dieses Interview nochmals. Es erschien erstmals am 6. Juni 2022.

Über das Klima wurde schon alles geschrieben. Würde man meinen. Und doch gibt es einen Aspekt, der vernachlässigt wurde: die Psychologie. So bekannt die Fakten sind, so genau wir eigentlich wissen, was zu tun wäre: Wir tun es nicht. Warum? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Psychologin Isabella Uhl-Hädicke von der Universität Salzburg.

In ihrem Buch «Warum machen wir es nicht einfach?» zeigt sie auf, welche Barrieren uns am Handeln hindern – und gibt Tipps, wie wir diese überwinden können. Die Vierunddreissigjährige lehrt und forscht zu Umweltpsychologie und vermittelt zwischen Wissenschaft und Praxis, indem sie Unternehmen und Politik berät. Sie ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Klimarats des österreichischen Bundesministeriums für Klimaschutz, wurde 2021 zur «Österreicherin des Jahres» nominiert und hat eine eigene Klimasendung im ORF.

Klimawandel, Pandemie, Krieg – wir leben in einer krisenhaften Zeit. Gibt es so etwas wie eine Obergrenze für unsere Krisenbewältigungskapazität?

Definitiv. Krisen sind für uns extrem herausfordernd, weil sie mit so viel Ohnmachtsgefühl, Hilflosigkeit und Kontrollverlust verbunden sind. Das ist das Gegenteil dessen, was wir brauchen, um uns wohlzufühlen. Ich verstehe alle, die angesichts der Bilder aus der Ukraine sagen, jetzt brauche ich bitte nicht auch noch ein Horrorszenario vom aktuellen Klimabericht. Es ist menschlich, erst mal den Kopf in den Sand zu stecken. Das Problem ist: Die Klimakrise hört nicht auf, wenn Krieg oder Pandemie herrschen.

Können wir aus der Pandemie etwas für den Umgang mit der Klimakrise lernen? Vom Klima reden wir seit dreissig Jahren, ohne dass es jemals einen Schockmoment gegeben hat. Bei Covid hingegen sind manche Umstellungen, die normalerweise Jahre brauchen, innert Tagen gelungen.

Die Krisen sind unterschiedlich. Corona hatte ein klares Startdatum, und wir wussten, wie man sich verhalten muss, um das Risiko unmittelbar zu verringern. Die Klimakrise ist viel weniger greifbar. Sie entwickelte sich im Laufe der Zeit, und auch die Gegenmassnahmen wirken nur langsam. Wenn ich heute mein Auto zu Hause lasse, geht deswegen morgen nicht die CO₂-Konzentration runter. Es braucht sehr viele Massnahmen, über viele Jahre, auf globaler Ebene. Das ist genau das Problem.

Spielt auch die persönliche Betroffenheit eine Rolle?

Das ist ein wichtiger Punkt. Bei Corona gab es die dramatischen Bilder aus Italien, die Bedrohung war spürbar. Die Klimakrise ist gefühlt viel weiter weg. In unserer Wahrnehmung betrifft sie die Eisbären, während wir weiterhin in einem safe space leben.

«Menschen sind keine rationalen Wesen. Wenn sie in Panik geraten, versuchen sie oft nicht, das Problem anzugehen.»

Fehlt es denn den Menschen an Informationen?

Nein. Wir denken immer, wenn die Leute wissen, wie schlimm das alles wird, können sie gar nicht anders, als zu handeln. Doch mehr Wissen führt nicht zu mehr Handeln. Ich habe in meiner eigenen Forschung gesehen, dass Informationen über den Klimawandel die Bereitschaft, klimafreundlich zu handeln, nicht erhöhen, ja zum Teil sogar reduzieren. Eine Ausnahme sind Menschen, die ohnehin schon umweltfreundlich eingestellt sind – bei ihnen können Informationen wie ein Booster wirken.

Vielleicht müsste man einen Gang höher schalten, die Leute wachrütteln? Greta Thunberg sagt ja: «I want you to panic!»

Das mag kurzfristig etwas bewirken, aber langfristig ist es keine gute Strategie. Menschen sind keine rationalen Wesen. Wenn sie in Panik geraten, versuchen sie oft nicht, das Problem anzugehen, sondern machen Ersatzhandlungen, um gefühlt die Kontrolle wiederzuerlangen. Wir konnten beispielsweise zeigen, dass Informationen zum Klimawandel die Tendenz zum Ethnozentrismus erhöhen.

Ethnozentrismus – ist das ein höflicher Ausdruck für Rassismus?

Damit ist die Neigung gemeint, die eigene Ethnie verzerrt positiv und fremde Ethnien verzerrt negativ wahrzunehmen. Es handelt sich um eine symbolische Reaktion auf die Verunsicherung durch eine existenzielle Bedrohung. Auf den ersten Blick sieht das total irrational aus, weil die Reaktion überhaupt nichts mit der Bedrohung zu tun hat. Aber indem die Menschen ihre Gruppenzugehörigkeit stärken, können sie ihre Ohnmachtsgefühle loswerden.

Wenn das schlechte Gewissen klopft, führt das nicht unbedingt zu einem besseren Verhalten.

Interessant, dass Informationen auf einer ganz anderen Ebene als beabsichtigt wirken können.

Ja. Das sollten beispielsweise auch NGOs im Hinterkopf behalten, wenn sie die Menschen zu klimafreundlichem Verhalten aufrufen.

Wie liesse sich denn dieser Effekt verhindern?

Ein wichtiger Punkt ist: Wer kommuniziert? Im Klimabereich kommen die Kommunikatoren meist aus einer bestimmten Ecke. Sie sprechen die Leute so an, wie sie sich selber ansprechen würden. Menschen mit einem anderen Werteset werden so nicht abgeholt.

«Mir ist es lieber, wenn jemand mit dem SUV zu der Fridays-for-Future-Demo fährt, als wenn er gar nicht kommt.»

Das heisst, es bräuchte eine grössere Vielfalt?

Unbedingt. Sonst verfestigt sich das plakative Bild, das wir von Aktivistinnen haben. Dabei gibt es längst auch Menschen aus dem konservativen Spektrum, in den Pfarrgemeinden, in der Landjugend, in Industrie und Wirtschaft, die aktiv sind. Es ist wichtig, dies vermehrt ins Bewusstsein zu rücken. Der Klimawandel ist nicht das Thema einer Bubble, die eine bestimmte politische Einstellung teilt, sondern ein wichtiges Anliegen für die Breite der Gesellschaft.

Ist es denn überhaupt Aufgabe der Gesellschaft und der einzelnen Menschen, sich um einen klimafreundlichen Lebensstil zu bemühen? Die populäre Wissenschaftserklärerin Mai Thi Nguyen-Kim hat neulich im deutschen Fernsehen gesagt, den Individuen sei überhaupt nichts anzulasten – die Verantwortung trage allein die Politik.

Zunächst einmal: Die politischen Massnahmen sind extrem wichtig. Gerade aus dem neuesten IPCC-Bericht wissen wir, dass es nun rasch vorwärtsgehen muss. Und die Politik hat einfach die grössten Hebel in der Hand.

Aber?

In einer Demokratie stellt sich die Frage: Wer ist denn die Politik? Ich finde es zentral, dass auch die Zivilgesellschaft ihre Verantwortung übernimmt. Es braucht eine Mehrheit, die von der Politik oder auch von der Wirtschaft grüne Entscheidungen einfordert. Aus der Psychologie wissen wir, dass das Vorleben eines klimafreundlichen Lebensstils andere Personen mitziehen und idealerweise die Grundstimmung in der Gesellschaft drehen kann. Letztlich braucht es alle drei Ebenen: Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Sonst werden wir in einer Demokratie die Klimakrise nicht meistern.

Der Ruf nach der Politik hat ja auch etwas Zweischneidiges. Wenn man sieht, wie in Frankreich die Gelbwesten Benzinpreiserhöhungen zu Fall brachten oder wie das Volk in der Schweiz das CO₂-Gesetz ablehnte.

Genau das meine ich. Wenn die Einzelpersonen kein Bewusstsein haben und ihre Verantwortung nicht annehmen, widerspiegelt sich das auch in der Politik, gerade in einer direkten Demokratie wie der Schweiz.

Sie haben vorhin von klimafreundlichen Vorbildern gesprochen. Gehört es nicht zu den Problemen der Debatte, dass viele, die einen grünen Lebensstil fordern, sich allzu oft selber nicht daran halten?

Plakativ gesagt: Im Zweifelsfall ist es mir lieber, wenn jemand mit dem SUV zu der Fridays-for-Future-Demo fährt, als wenn er gar nicht kommt. Wir müssen uns lösen von diesem Anspruch: «Du darfst erst mitreden, wenn dein Lebensstil zu hundert Prozent richtig ist.» Das ist im gegenwärtigen System ja ohnehin nicht möglich.

Würden Sie denn sagen, dass man gar nicht den Anspruch haben soll, auf allen Feldern perfekt zu sein? Soll ich mir vielleicht sogar ganz bewusst gewisse Dinge gönnen, die mir wichtig sind, auch wenn sie nicht gut sind fürs Klima?

Das würde ich sogar empfehlen. Wer versucht, in allen Bereichen perfekt zu sein, ist zum Scheitern verurteilt. Im schlimmsten Fall erzeugt das so viel Frust, dass man ganz aufgibt.

Wie soll denn jemand am besten vorgehen, der sein Leben umstellen will?

Am besten fängt man schrittweise an. Und zwar mit jenen Bereichen, die einem leichter fallen. Wenn sich erste Erfolge einstellen, gibt das die nötige Motivation zum Weitermachen. Es ist ein Spagat, achtsam mit sich selber umzugehen, sich nicht zu überfordern, aber sich umgekehrt auch nicht der Verantwortung zu entziehen, indem man sich mit ein, zwei Bereichen zufrieden gibt und findet, um alles andere brauche man sich nun nicht mehr zu kümmern.

Es ist eigentlich ganz einfach: Je weniger Leute Auto fahren, desto weniger Autos fahren.

Viele Leute, die vielleicht sogar willens wären, etwas für die Umwelt zu tun, sind von früh bis spät komplett ausgebucht. Alles, was da noch obendrauf kommt, können sie überhaupt nicht gebrauchen.

Ja, das ist verständlich. Ich sage immer, da kommt der Alltag dazwischen. Es stimmt: Wenn man seine Gewohnheiten ändert, ist das zu Beginn mit mehr Aufwand verbunden. Das legt sich aber mit der Zeit. Und ein umweltfreundlicher Alltag ist mit weiteren Vorteilen verbunden, beispielsweise mit Einsparungen, mit besserer Gesundheit und mehr Lebensqualität. Langfristig gewinnt man auf jeden Fall.

Ist es denn überhaupt möglich, jahrelang eingespielte Verhaltensweisen willentlich zu ändern?

Wie schwierig das ist, kennen wir alle von den Neujahrsvorsätzen. Aber die gute Nachricht aus der Forschung lautet, dass es grundsätzlich möglich ist. Am einfachsten lassen sich Gewohnheiten ändern, wenn sich gleichzeitig die Umgebung ändert. Ein Jobwechsel oder ein Umzug sind ideale Zeitfenster.

«Ich habe verstanden, dass mein Verhalten Leid auslöst. Das hat mich aufgerüttelt.»

Und wenn ich nicht gerade umziehe oder die Stelle wechsle?

Auch dann ist es möglich. Man muss die automatisierten Abläufe vor seinem inneren Auge bewusst durchspielen und Stoppsignale setzen. Wenn ich nach einem anstrengenden Tag immer in ein Bekleidungsgeschäft gehe, um mich zu belohnen, muss dieses Stoppsignal spätestens dann erscheinen, wenn ich das Geschäft betrete. In diesem Moment muss ich umkehren und etwas anderes tun, um mich zu belohnen.

Das klappt aber nicht unbedingt spontan.

Darum ist es wichtig, sich die Alternativen schon im Voraus zu überlegen. Das ist aber alles sehr kognitiv und kann nur funktionieren, wenn man bereits motiviert ist, etwas zu ändern. Für alle anderen braucht es andere Mittel. Hier ist letztlich die Politik gefragt: Die Infrastruktur und die Rahmenbedingungen müssen so gestaltet sein, dass klimafreundliches Verhalten leichter fällt als klimaschädigendes.

Sie waren früher selber eine leidenschaftliche Kleiderkäuferin. Wie sind Sie davon losgekommen?

Das war vor vielleicht fünfzehn Jahren. In meiner Freundesgruppe war es normal, dass man regelmässig einkaufen ging. Auch als Belohnung, etwa nach einer Prüfung. Die Sachen haben ja nichts gekostet, da hat man sich für zwei, drei Euro ein neues Outfit für den Ausgang gekauft. Bei mir hat das Glücksgefühle ausgelöst. Die Wende kam, als ich Dokus über die Produktionsbedingungen gesehen habe und Bücher darüber zu lesen begann. Ich habe verstanden, dass mein Verhalten Leid auslöst. Das hat mich aufgerüttelt.

Und dann?

Dann begann ich zu reduzieren. Das war ein langsamer, schrittweiser Prozess. Damals gab es ja auch noch nicht so viele Alternativen wie heute, beispielsweise Secondhandläden.

Fehlen Ihnen denn die Glücksgefühle nicht, die Sie früher beim Kleiderkauf hatten?

Nein. Das ist ja nur ein scheinbares Glück, das rasch wieder verfliegt. Je mehr ich darüber nachdachte, je gefestigter ich wurde, desto weniger habe ich diese externen Dinge gebraucht. Seit ich reduziert habe –wirklich extrem reduziert –, bin ich auch viel zufriedener mit dem, was ich habe. Das Gefühl, ich brauche jetzt unbedingt was Neues, kenne ich gar nicht mehr.

Gefühle scheinen mir enorm wichtig zu sein. Sind sie nicht vielleicht sogar die Hauptmotivation für unser Handeln?

Ja. Die Gründe für unser Verhalten sind meist unbewusst und nicht rational. Wenn man die Menschen fragt, warum sie das Auto nehmen, dann sagen sie, um von A nach B zu kommen. Das ist eine typische Rationalisierung. In Wahrheit definieren sich viele über ihr Auto. Das Auto bedeutet Identität, Status, Freiheit. Die Fortbewegung kommt da unter ferner liefen.

In diesem Fall wird der Aufruf zum umweltfreundlichen Verhalten nicht viel bewirken, fürchte ich.

Nein. Menschen ohne Umweltbewusstsein werden sich erst bewegen, wenn es eine Gegenströmung gibt, die sie mitreisst. Wenn es plötzlich cooler ist, den Zug zu nehmen statt das Auto. Mit anderen Worten: Die soziale Norm muss sich ändern.

Die soziale Norm?

Was als normal gilt, ist ein grosser Weichensteller für unser Verhalten. Wenn es in meinem Umfeld normal ist, das Auto zur Arbeit zu nehmen, werde ich das vermutlich auch tun. Die soziale Norm wirkt aber auch auf anderen Feldern. Zum Beispiel wird in Österreich das Aktivistische nicht gerne gesehen. Etwas anzuprangern oder einzufordern, das schickt sich nicht. Wenn es normal wäre, dass man zum Bürgermeister geht und um einen Radweg bittet, würde das die Hemmschwelle senken und weitere Personen animieren, sich zu engagieren.

«Mit Druck zu arbeiten ist meist kontraproduktiv.»

Bei Corona waren die Norm-Änderungen extrem. Einst war es verpönt, keine Maske zu tragen. Heute wird man in der Schweiz schon wieder schief angeschaut, wenn man eine Maske aufhat.

Das ist ein gutes Beispiel. Selbst wenn man sich eigentlich weiterhin schützen möchte, reisst es einen mit, wenn alle anderen keine Maske mehr tragen. Da braucht es schon sehr feste persönliche Überzeugungen, um gegen die soziale Norm zu verstossen.

Damit sich unser Umweltverhalten wirklich bessert, müsste sich die soziale Norm der ganzen Gesellschaft ändern. Wie kann das gelingen?

Mit politischen Entscheiden. Wenn die Politik ein Tempolimit beschliesst, wird das mehr oder weniger von heute auf morgen zur neuen Norm. Oder nehmen Sie die Maskenfrage, das waren ja auch alles Entscheide von oben. Natürlich könnte man auch warten, bis die Gesellschaft freiwillig klimafreundlich wird, aber dafür haben wir schlicht die Zeit nicht mehr. Wir haben zu lange gezögert. Wenn wir die Konsequenzen für unsere Kinder und Kindeskinder reduzieren wollen, muss es jetzt schneller gehen.

Als typisches Beispiel für eine Normänderung gilt das Rauchen. Wie ist es da gelaufen?

Das ging auch über politische Entscheide. Oder nehmen Sie das Helmtragen beim Skifahren: In meiner Kindheit gab es das noch nicht – heute sieht man kaum mehr jemanden ohne Helm auf der Piste.

Da lief es aber freiwillig, oder?

Ja. Mein Eindruck ist, dass hier der Ski-Unfall von Michael Schumacher entscheidend war. Das hat vielen Leuten bewusst gemacht, dass man sich schützen muss.

In Ihrem Buch unterscheiden Sie zwischen Soll- und Ist-Norm. Was hat es damit auf sich?

Die Soll-Norm beschreibt das moralisch Gewünschte, die Ist-Norm das tatsächliche Verhalten der Mehrheit. Banales Beispiel: Die Soll-Norm besagt, bei Rot musst du stehen bleiben. Die Ist-Norm zeigt, viele gehen bei Rot rüber. Idealerweise sind die beiden Normen im Einklang, dann wirken sie ganz stark.

Und wenn nicht?

Dann gewinnt meist die Ist-Norm. Es gibt eine Studie aus einem kalifornischen Nationalpark, aus dem sich viele Besucher versteinertes Holz als Souvenir mitnahmen. Als ein Schild aufgestellt wurde mit der Bitte, dies zu unterlassen, hatte das einen positiven Effekt. Als man jedoch hinzufügte, dass dies in der Vergangenheit leider oft vorgekommen sei, war die Wirkung plötzlich kontraproduktiv: Die Rate des Fehlverhaltens verdreifachte sich.

«Wenn tatsächliches und erwünschtes Handeln auseinanderklaffen, sprechen wir von kognitiver Dissonanz»: Manchmal ändern wir dann unser Verhalten, meist aber suchen wir nach Ausreden.

Warum?

Weil das Schild die Ist-Norm aktivierte. Die Leute verstanden: Es ist zwar nicht in Ordnung, aber die anderen tun es ja auch. Wenn man umweltfreundliches Verhalten fördern möchte, tut man daher gut daran, die Ist-Norm möglichst nicht zu thematisieren.

Ich fürchte, die Menschen sind sehr gut darin, die Ist-Norm zu erahnen. Weil es ihnen eine bequeme Möglichkeit gibt, die Soll-Norm, bei aller gegenteiligen Rhetorik, doch nicht einzuhalten.

Das ist ein bekannter psychologischer Prozess. Wenn tatsächliches und erwünschtes Handeln auseinanderklaffen, sprechen wir von kognitiver Dissonanz.

Was ist damit genau gemeint?

Beispiel: Sie essen gerne viel Fleisch, und nun sagt Ihnen jemand, Ihr Verhalten sei klimaschädigend. Das löst ein ungutes Gefühl aus, denn Sie halten sich für einen umweltfreundlichen Menschen. Nun gibt es verschiedene Wege, aus dieser Dissonanz herauszukommen. Sie könnten natürlich Ihr Verhalten anpassen, aber wir wissen, dass das in den wenigsten Fällen geschieht. Häufig suchen wir nach Ausreden, um das schlechte Gewissen zu entlasten. Eben zum Beispiel: Die Anderen tun es auch. Oder: Mein Nachbar ist viel schlimmer, der isst zweimal täglich Fleisch. Oder wir schiessen auf die Überbringerin der Nachricht, um ihr die Legitimation zu nehmen. Das war gut zu sehen beim Shitstorm gegen Greta Thunberg, als sie 2019 auf ihrer stundenlangen Zugfahrt nach Davos einen Snack ass, der in Plastik verpackt war. Die Anschuldigungen kommen in solchen Fällen meist von Menschen, die selber überhaupt keinen klimafreundlichen Lebensstil pflegen. Die tun das nur, um sich nicht mit ihrem eigenen Verhalten beschäftigen zu müssen.

Haben Sie auch schon solche Shitstorms erlebt?

Nun, ich masse mir nicht an, den Menschen in meinem privaten Umfeld irgendetwas aufzuzeigen. Aber weil ich im Klimabereich aktiv bin, löst allein schon meine Anwesenheit bei manchen ein schlechtes Gewissen aus. Da kann es schon vorkommen, dass jemand nach Dingen sucht, die ich «falsch» mache.

Verstehe ich richtig, Sie raten davon ab, klimaschädliches Verhalten direkt anzusprechen?

Mit Druck zu arbeiten ist meist kontraproduktiv. Ich würde sicher nie bei einem schönen Abendessen jemanden an den Pranger stellen, weil er sich ein Steak bestellt hat. Damit löst man höchstens die Ausredespirale aus. Sinnvoller ist es, als Vorbild voranzugehen, indem man etwa selber konsequent fleischlos bestellt. Auch darauf reagieren zwar manche Leute zunächst mit Widerstand, aber mit der Zeit kann das durchaus einen Umdenkprozess auslösen.

«Wenn ich mir etwa vornehme, schreibe ich meinen Vorsatz am besten auf ein Schild, lasse mich so fotografieren und poste das Bild.»

Niemand will ein Umweltsünder sein. Ich habe noch nie gehört, dass jemand gesagt hätte, ihm sei die Umwelt egal. Ist das nicht ein Zipfel, den man packen könnte, um die Leute zu umweltfreundlicherem Handeln zu animieren?

Definitiv. Da gibt es sogar eine eigene Strategie, die heisst Foot in the door, also: Fuss in der Tür. Da versucht man, das umweltfreundliche Bewusstsein der Leute zu aktivieren, um eine Verhaltensänderung zu initiieren. Aber auch hier ist es wichtig, den Menschen ihren Freiraum zu lassen, damit sie nicht unter Druck handeln müssen.

Und das funktioniert?

Es gibt etliche Studien dazu. So hat man beispielsweise die Mitglieder eines Schwimmvereins zu ihrem Umgang mit Wasser befragt. Jene, die sich für einen achtsamen Umgang mit der Ressource aussprachen, haben anschliessend deutlich kürzer geduscht. Auf diese Weise lässt sich die kognitive Dissonanz produktiv nutzen. Das funktioniert besonders gut, wenn es mit einem öffentlichen Bekenntnis verbunden ist.

Bekenntnis?

Das ist ein starkes Instrument. Wenn ich mir etwa vornehme, nächsten Monat kein Fleisch zu essen, schreibe ich meinen Vorsatz am besten auf ein Schild, lasse mich so fotografieren und poste das Bild. Mit einem öffentlichen Versprechen kann ich verhindern, in die Ausredenfalle zu tappen.

In Ihrem Buch bringen Sie noch ein Beispiel. Da hat man die Autofahrer an einer Tankstelle dazu aufgerufen, den Reifendruck zu erhöhen. Wenn man hinzufügte, sie täten damit etwas für die Umwelt, war das deutlich wirksamer, als wenn man darauf hinwies, dass sich so Geld sparen liesse. Das finde ich ganz erstaunlich: Umwelt schlägt Geld.

Wir reden in der Psychologie von der Stärkung der Umweltidentität. Wenn die Leute etwas für die Umwelt tun können, wenn sie als Autofahrer vielleicht eh schon ein schlechtes Gewissen haben, kann das funktionieren. Es gibt auch Studien, wonach es nützlich ist, den Menschen vor Augen zu führen, dass sie gerade klimafreundlich eingekauft haben, obwohl das vielleicht gar nicht ihre Intention war. Diese Menschen werden künftig tendenziell weitere klimafreundliche Handlungen in ihren Alltag integrieren.

Und wie steht es um den finanziellen Anreiz? Funktioniert der nicht?

Doch. Aber finanzielle Anreize sind vor allem bei grösseren Summen und einmaligen Anschaffungen wirksam. Etwa bei Subventionen für Elektroautos oder Photovoltaikanlagen. Bei kleinen Summen wie beim Reifendruck spielen sie kaum eine Rolle.

In Österreich gibt es seit kurzem das sogenannte Klimaticket: Für rund tausend Euro im Jahr kann man das ganze ÖV-Netz beliebig nutzen. Fahren denn die Leute nun wirklich weniger Auto?

Es ist noch zu früh, das zu sagen. Auf jeden Fall braucht es parallel zu den finanziellen Anreizen einen Ausbau der ÖV-Infrastruktur, damit beispielsweise auch Leute auf dem Land auf das Auto verzichten können.

Ich bin da ein wenig skeptisch. In der Schweiz haben wir einen sehr guten ÖV, aber der Autoverkehr hat deswegen nicht abgenommen. Die grossen Ausbauten bei der Bahn haben dazu geführt, dass nun Tagesausflüge ins Tessin oder ins Wallis gemacht werden, was früher nicht möglich war. Das ist schlicht neu generierter Verkehr.

Der Vergleich ist vielleicht ein wenig schwierig, weil die Tickets in der Schweiz wesentlich teurer sind als in Österreich. Aber grundsätzlich haben Sie recht: Es reicht nicht, den ÖV attraktiver zu machen. Gleichzeitig muss auch das Autofahren unattraktiver werden, sonst bleibt der ÖV nice to have. Um die Alltagsmobilität zu verändern, braucht es Push- und Pull-Faktoren.

Also Strafen und Anreize.

Ja. Man darf als Politikerin aber auch nicht allein auf Strafen setzen, sonst stösst man auf Widerstand und riskiert, abgewählt zu werden.

«Warum nicht eine App, die mir zeigt, wie viele Schweine ich durch meine Ernährungsumstellung gerettet habe?»

Was wäre denn eine Strafe im Autobereich?

Tempolimiten beispielsweise. Oder höhere Benzinpreise.

Aber die Benzinpreise sind doch gerade auf Rekordhöhe, ohne dass dies eine spürbare Auswirkung auf den Verkehr hätte.

Die derzeitigen Preissteigerungen sind eine Folge des Kriegs, das ist etwas anderes. Bei externen Faktoren haben die Leute das Gefühl, das gehe vorüber, und warten erst einmal ab. Wenn hingegen hinter Preiserhöhungen eine längerfristige politische Strategie steckt, wird das eher zum Umsteigen anregen.

Ein instruktives Beispiel, wie verschiedene Massnahmen ineinandergreifen, ist die Einführung der Citymaut in Stockholm.

Genau. Zunächst gab es grossen Widerstand. Doch mit der Zeit hat die Bevölkerung die Maut immer besser akzeptiert. Das lag einerseits daran, dass gleichzeitig der ÖV ausgebaut wurde – viele Pendler sind umgestiegen. Andererseits sind auch die verbleibenden Autofahrer zufrieden, weil es jetzt weniger Stau und mehr freie Parkplätze gibt. Schliesslich profitiert die ganze Bevölkerung davon, dass der Lärm und die Luftverschmutzung abgenommen haben. Das Beispiel zeigt auch, dass man sich von anfänglichem Widerstand nicht abschrecken lassen sollte. Sobald die Leute die positiven Konsequenzen erleben, steigt die Akzeptanz.

Aber all die Vorteile der Citymaut, die Sie aufgezählt haben, haben rein gar nichts mit dem Klima zu tun.

Nein, und das ist vielleicht der springende Punkt. Menschen reagieren dann besonders stark, wenn sie die Folgen ihres Verhaltens unmittelbar erleben. Das ist die grosse Herausforderung beim Klima: CO₂ ist etwas Abstraktes – ich spüre keine Konsequenzen, wenn ich eine Tonne einspare. Darum plädiere ich dafür, die ganze Klimaproblematik runterzubrechen auf Bereiche, wo man direkt ein Feedback bekommt. Dass ich also zum Beispiel die Ernährung nicht wegen des Klimas umstelle, sondern weil es mir dadurch gesundheitlich besser geht. Das Potenzial ist gross, da gibts noch viele Möglichkeiten.

Zum Beispiel?

Ich denke etwa an spielerische Ansätze. Beim Rauchen gibt es Apps, die zeigen, wie viele Zigaretten man gespart hat dadurch, dass man aufgehört hat. Warum nicht eine App, die mir zeigt, wie viele Schweine ich durch meine Ernährungsumstellung gerettet habe? Das ist viel emotionaler, als wenn ich nur in Tonnen CO₂ rechne. So kann man die Leute besser abholen.

Sie nennen in Ihrem Buch weitere Beispiele. So werden etwa Treppen eher benutzt, wenn die Stufen beim Betreten einen Ton von sich geben.

Ja, oder man hat herausgefunden, dass Menschen konsequenter Energie sparen, wenn sie als Feedback auf ihre Verbrauchsreduktion einen Smiley bekommen. Gibt es keinen Smiley, steigt der Verbrauch wieder an.

Das scheint mir beinahe unglaublich. Ein kleiner Smiley kann so viel bewirken?

Das ist das Faszinierende an der Umweltpsychologie, dass manchmal kleine, schnell umsetzbare Massnahmen eine derart grosse Wirkung haben.

Die Appenzeller Bahnen haben an Ostern in ihren Zügen Osterhasen versteckt. Und damit vielleicht mehr Familien zu einer Zugfahrt bewegt als mit so mancher teuren Massnahme?

Schönes Beispiel. Aber man darf sich nicht täuschen, mit spielerischen Ansätzen lassen sich normalerweise nur einfache Verhaltensänderungen anstupsen, bei denen es keine grossen Barrieren gibt. Daneben wird es auch andere Strategien brauchen.

Wir sind zum Schluss wieder bei den Emotionen gelandet: kleine Massnahmen, die glücklich machen. Sie aber gehen noch einen Schritt weiter und sagen: Umweltfreundliches Verhalten insgesamt macht zufrieden. Lässt sich das belegen?

Ja. Grosse Studien aus unterschiedlichen Bereichen und Kulturen haben gezeigt, dass klimafreundliche Menschen mehr Wohlbefinden haben im Leben. Teilweise lässt sich das dadurch erklären, dass ein umweltfreundliches Leben eben auch günstiger und gesünder ist. Aber ich glaube, dass noch mehr dahintersteckt. Wer umweltbewusst lebt, lenkt sich weniger durch Ersatzhandlungen ab. Und konzentriert sich auf das, was es wirklich braucht für ein gutes Leben. Ich jedenfalls bin heute viel glücklicher und zufriedener, als ich es früher war.

Isabella Uhl-Hädicke: «Warum machen wir es nicht einfach? Die Psychologie der Klimakrise», Molden Verlag, Wien/Graz, 2022.

Mathias Plüss ist Wissenschaftsjournalist und schreibt regelmässig für «Das Magazin». mathias.pluess@bluewin.ch

Newsletter
Das Magazin
Erhalten Sie die besten Hintergründe und Recherchen des Kult-Magazins.

Weitere Newsletter