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Anouk Feurer und Benjamin von Falkenstein im Interview
Kann man jemanden lieben, der politisch so anders denkt?

Anouk Feurer und Benjamin von Falkenstein. Sie denken politisch ganz anders - und sind doch ein Paar. Kann das funktionieren? Basel. Dienstag 09. Juli 2024 Foto © nicole pont
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Junge Frauen werden immer linker, junge Männer immer rechter. Es gibt einen politischen Geschlechtergraben – an vielen Orten der Welt und auch in der Schweiz. Das zeigt die aktuelle Select-Studie.

Im Politbüro, dem Politik-Podcast des «Tages-Anzeigers», nahm die Besprechung der Studie eine interessante Wende, als es plötzlich weniger um Politik und mehr um Romantik ging. Hat dieser Graben auch eine Auswirkung auf das Beziehungsleben junger Menschen? Kann man jemanden lieben, der politisch ganz andere Werte vertritt?

Die Politbüro-Episode wurde auch in Basel gehört, worauf sich Anouk Feurer bei uns meldete. Feurer ist Grossrätin für das Junge Grüne Bündnis und seit drei Jahren mit Benjamin von Falkenstein zusammen. Der ist Präsident der Jungen Liberalen und einer der aktivsten (und lautesten) jungen Basler Bürgerlichen auf Twitter.

Und das geht?

Ganz offensichtlich!

Wie haben Sie sich kennen gelernt?

Anouk Feurer: Bei der Revision des Sexualstrafrechts. Einem Vernehmlassungsverfahren!

Benjamin von Falkenstein: Wir Jungliberalen luden die anderen Jungparteien ein, um eine Vernehmlassungsantwort zu entwerfen. Da habe ich sie als Präsidentin der Jungen Grünen kennen gelernt und bald einmal gedacht: Das ist eine Linke, mit der man zusammenarbeiten kann.


Selten genug!


Von Falkenstein (lacht): Ja – und auch in der eigenen Partei nicht immer der Fall …

Gibt es diesen einen Moment, wo man das Gegenüber nicht mehr als politischen Konkurrenten wahrnimmt, sondern als attraktiven Mann, als attraktive Frau?


Feurer: Das geschieht doch ganz automatisch in den ersten sieben Sekunden, in denen man jemanden kennen lernt. Es war am Schluss klassisch: Wir haben uns in einer Art Arbeitsumfeld kennen gelernt und gingen dann einmal, einiges später, was trinken. Und dann … ja. 

Als es dann funkte – hielten Sie Ihre Beziehung bewusst geheim?

Feurer: Es gab am Anfang eine längere Phase, bei der wir uns beide klar werden mussten: Wollen wir das wirklich? Kann ich mit so jemandem zusammen sein?


Das haben Sie gemeinsam besprochen?


Von Falkenstein: Ja, schon. Wir beschlossen dann, es nicht an die grosse Glocke zu hängen. Play it casual.

Feurer: Innerhalb der linken Polit-Bubble thematisierte ich es lange nicht. Ich hatte Angst davor.

Warum Angst?

Feurer: Ich hatte Angst davor, ausgeschlossen zu werden. Angst auch, dass sich die anderen lustig machen. Und leider bestätigten sich die Befürchtungen. Das erste halbe Jahr war nicht lustig – also in den politischen Kreisen. In meinem privaten Umfeld war es überhaupt kein Problem.

Was ist passiert?

Feurer: Ich habe immer schon auch Meinungen vertreten, die von der Parteilinie abwichen. Wenn ich das jetzt wieder tat, hiess es: Ah, du verbringst einfach zu viel Zeit mit Benj. Ich wurde auch oft gefragt, wie ich es nur mit diesem Typen aushalten würde. Beispielsweise, wenn er auf Twitter wieder irgendwas geschrieben hatte.

Wie reagiert man auf so etwas?

Feurer: Boah. Ich war einfach sehr enttäuscht. Die erste Zeit zog ich mich zurück. Diese Fragen verletzten mich – als ob er ein megaschlimmer Mensch wäre. Es verletzte mich auch, dass viele dachten, ich sei wahnsinnig naiv und würde mich so leicht beeinflussen lassen. Als ob ich nicht selber denken könnte.

Anouk Feurer und Benjamin von Falkenstein. Sie denken politisch ganz anders - und sind doch ein Paar. Kann das funktionieren? Basel. Dienstag 09. Juli 2024 Foto © nicole pont

War es bei Ihnen auch so extrem, Herr von Falkenstein?

Von Falkenstein: Nein. In meiner Familie stutzte man kurz, als ich sie vorstellte. Genauso in der Partei. Meine Polit-Bubble fand es vor allem lustig. Alles schlecht finden, was die Linken tun, und dann eine linke Freundin haben … «Ah, krass!», hiess es. Aber dann war es kein Thema mehr.

Eher männlich, dieser Approach.

(alle lachen)

Feurer: Der Unterschied ist schon extrem. Mir wird weniger Vertrauen entgegengebracht. Als ob ich ihm alles aus meiner Fraktion sofort weitererzählen würde. Kürzlich gab es eine Arbeitsgruppe, bei der mir nahegelegt wurde, aus der Gruppe auszutreten – weil darin die Zusammenarbeit mit der Polizeidirektorin Stephanie Eymann diskutiert wurde. Sie ist die Cousine von Benjamin. 

Und?

Feurer: Ich trat aus der Gruppe aus – so was tue ich mir nicht an.

Ist das linke Intoleranz oder einfach Sexismus?

Feurer: Wahrscheinlich beides? Wobei man sagen muss, dass auch ganz viele in der Partei überhaupt kein Problem mit der Beziehung haben. Und dann gibt es die anderen, die dafür, dass sie in einer feministischen Partei sind, erstaunlich unfeministisch argumentieren.

Es gibt viel Klatsch und Tratsch über Sie beide in Basel. Es wird spekuliert, ob der Sex Sie zusammenhält oder vielleicht doch das Geld. 

Von Falkenstein: Klar. Mir hat wirklich noch nie jemand so etwas direkt gesagt. Ist auch besser so. Nein, Spass, aber ich kann so was einfach gar nicht ernst nehmen. Wir sind ja zufrieden. Ganz generell muss man als Politiker lernen, mit Beleidigungen und Hass umzugehen.

Feurer: Das ist schon heftig. Hätte ich im Voraus gewusst, auf was ich mich bei der Politik einlasse, ich hätte es wahrscheinlich bleiben lassen. Als Grossrätin bin ich in Basel so was wie eine öffentliche Person. Fremde Leute haben plötzlich eine Meinung zu mir, der Privatperson Anouk. 

Wie gehen Sie damit um, dass fremde Leute über Ihr Privatleben urteilen?

Von Falkenstein: Wir treten in der Öffentlichkeit eigentlich nicht als Paar auf. Wir sind zusammen unterwegs und verstecken nichts, klar. Aber wir gehen nicht hin und sagen: «Wir zwei finden dies und das.» Unsere einzige Regel, die wir haben, lautet, dass wir nie zusammen am selben Podium auftreten. Das wäre auch einfach ein schlechtes Podium, weil wir extrem zurückhaltend wären. 

Das sind alles Erwartungen von aussen, die an Sie herangetragen werden. Wie ist es in der Innensicht? Kann man jemanden lieben, der in grundsätzlichen politischen Fragen eine andere Meinung hat?

Von Falkenstein: Ja! Kommt dazu: Was heisst das genau, «grundsätzliche politische Fragen»? Wir sind in den grossen Zügen, bei den Zielen, oft gleicher Meinung – und haben einfach unterschiedliche Methoden, wie man zu diesen Zielen gelangen soll.

Können Sie da ein Beispiel nennen?

Feurer: Die Klimakrise …

Von Falkenstein: … da möchte ich zum Beispiel, dass die Leute mit möglichst vielen Anreizen selber etwas unternehmen. Und sie möchte möglichst viel verbieten. (lacht)

Würden denn Ihre beiden Gesellschaftsmodelle nicht völlig unterschiedlich aussehen?

Feurer: Ich träume schon davon, nicht im Kapitalismus zu leben, aber auch durch das Amt im Grossen Rat bin ich realistischer geworden.

Ha! Das ist auf jeden Fall recht weit weg von den Jungliberalen.

Feurer: Ja, aber das spielt keine Rolle. Entscheidend ist, dass wir die wichtigsten Grundsätze teilen. Dass wir alle Menschen als gleichwertig respektieren zum Beispiel, und daran glauben, dass alle so leben dürfen, wie es ihnen gefällt.

Von Falkenstein: Die Frage der Geschlechtsidentität ist ein gutes Beispiel – wir sind uns einig über das Ziel, aber nicht über den Weg. Die Linken wünschen sich mehr Fachstellen, hier eine Strategie, da ein Papier – ich finde: einfach machen.

Und worüber streiten Sie so richtig?

Feurer: Wahrscheinlich über den Umgang mit den Demonstrationen in der Stadt.

Von Falkenstein: Ja, wahrscheinlich.

Und wie streiten Sie bei solchen Themen?

(beide schweigen)

Feurer: Oft gar nicht. Wir lassen es dann einfach gut sein – o. k., egal. Darüber können wir auch mit anderen reden. Was ja auch völlig in Ordnung ist: Wir sind ja nicht die grossen Player, die gemeinsam in der Öffentlichkeit stehen und immer die gleiche Meinung haben müssen.

Apropos Streit: Benjamin von Falkenstein ist ziemlich aktiv auf den sozialen Medien, ziemlich laut auch. Haben Sie sich schon einmal so richtig an den Kopf gelangt, als Sie durch Benjamins Twitter-Timeline scrollten?

Feurer: (lacht) An den Kopf gelangt nicht – aber ihm vielleicht eine SMS geschrieben.

Worauf er den Tweet löschte?

Von Falkenstein: Nein! (lacht)

Es gibt ja schon einige sehr explizite Tweets von Ihnen. Wir lesen gerne mal vor: «Noch nie haben sich die Grünen für die Polizei oder die Sicherheit im Kanton eingesetzt. Im Gegenteil, bei jeder Demo tut Rot-Grün dumm. Absolut unglaubwürdig …»

Feurer: Das ist jetzt ein schwieriges Thema – Benjamin trifft hier tatsächlich einen Punkt. Nachdem ein Bericht viele Missstände bei der Basler Polizei aufgedeckt hatte, solidarisierten sich plötzlich viele Linke, die zuvor stets gegen die Polizei waren, mit den Polizistinnen und Polizisten.


Also einer Meinung!

Feurer: Im Ansatz, ja. In dieser Konsequenz, nein. Und diese Wortwahl würde ich nicht treffen.


Nehmen Sie eigentlich beim Twittern jetzt mehr Rücksicht auf Links-Grün, Herr von Falkenstein?

Von Falkenstein: Die Grünen haben sicher einen kleinen Bonus, aber auch nur auf Twitter …

Wir haben nun ausführlich über die Unterschiede gesprochen. Was verbindet Sie denn am meisten? Das muss nichts Politisches sein. 

Von Falkenstein: Oh, politisch ist es eigentlich fast einfacher als sonst.

Bitte was?

Feurer: Politik ist ein Hobby, das nur wenige haben. Viele können ein solches Engagement nicht nachvollziehen. Wir können uns darüber austauschen, und ich weiss, dass Benjamin mich versteht, wenn ich an einem Abstimmungssonntag mal so richtig schlecht drauf bin.

Von Falkenstein: Ich höre das immer wieder von Leuten, die sagen: «Hey was? Du meinst das wirklich voll ernst mit der Politik?» Mein Engagement wirkt auf viele Leute schon sehr nerdig. Das ist es ja ein Stück weit auch. Mit Anouk kann ich das teilen. Vor den letzten Regierungsratswahlen besuchten wir zusammen ein Podiumsgespräch. Das machen andere Paare wohl eher nicht. Auch wenn wir nicht alles gleich sehen, am Ende versuchen wir beide, Dinge zu verbessern in unserem politischen System. So was verbindet. 

Feurer: Wir verstehen uns auch als Menschen ausserhalb der Politik sehr, sehr gut. Deshalb will ich eigentlich nicht sagen, dass es die Politik ist, die uns zusammenhält. Und dennoch ist Politik wichtig in unserer Beziehung. Es ist ein Paradox: Dafür, dass wir oft anderer Meinung sind, ist die Politik ganz schön wichtig für uns als Paar. 

Und sonst? 

Von Falkenstein: In unserer Freizeit nehmen wir es beide gemütlich. Wir gehen gern zusammen in den Zolli, kochen gemeinsam etwas oder machen einen kleinen Ausflug mit dem Velo. Irgendwelche ambitionierten Klettertouren, so was ist eher nichts für uns. Dafür sind wir fast jeden Sonntagabend mit Freunden an einem Pub-Quiz.

Feurer: Wir haben aber auch viel zu tun und deshalb das Bedürfnis, die Freizeit locker anzugehen. Dann sagen wir, okay, jetzt nehmen wir uns drei Stunden und fahren nach Lörrach, essen Glace und reden – über alles ausser über Politik. 

Unter Paaren gibt es ja noch andere Themen, bei denen es um den Geschmack geht, etwa Kunst, Musik oder Bücher. Sind Sie sich dort näher?

Von Falkenstein: Musik haben wir vor allem zu Beginn häufig geteilt, da finden wir viele ähnliche Sachen gut. Ich habe Anouk soeben eine Playlist zusammengestellt für die Ferien. 

Gibt es da keine Konkurrenz zwischen bürgerlicher und linker Musik?

Von Falkenstein: Sie hat zum Teil schon linke Musik, aber die finde ich ganz lustig. Kennen Sie das Lied «Molotow»? Er handelt von einem Polizisten, der sich in eine Demonstrantin verliebt. Teilweise ist linke Musik natürlich richtig schlecht, platt links. Aber ich muss zugeben, ein Lied mit bürgerlichem Text wäre wohl richtig schlecht. 

Feurer: Verwaltungsabbau, yeah! Steuersenken yeah! Solche Lieder will niemand hören.

Teilen Sie Literatur?

Von Falkenstein: Ausser Nachrichten und juristische Fachliteratur lese ich eigentlich nichts. 

Feurer: Lesen und Kunst sind auch eher meins.

Von Falkenstein: Wir gehen jedes Jahr zusammen an die Kunstmesse Art hier in Basel. Und wenn du sagst, das ist eine gute Ausstellung, dann komme ich schon mit dir mit. 

Ist das Ihr Beziehungsgeheimnis, dass Sie einfach beide eine gewisse Offenheit haben?

Feurer: Das ist ein Grundwert, den wir teilen: offen sein allen Menschen gegenüber, allen Respekt entgegenbringen. Dass man mit allen spricht. 

Von Falkenstein: Ohne diese Offenheit würde es nicht gehen, ja. Wer das nicht hat, muss sich einen Partner aus dem eigenen politischen Block suchen. 

Hat jemand von euch seine Meinung schon mal geändert wegen des anderen? 

Beide: Nein. 

Feurer: Aber: Ich habe heute oft mehr Verständnis für die andere Seite. 

Von Falkenstein: Ich sehe, was du mit deinen Argumenten meinst. Aber ich gewichte die Argumente einfach anders. Diese Sicht gibt es heute leider immer weniger. Das hat sicher mit den sozialen Medien zu tun. Und ich gebe zu, dass ich diesen Mechanismus mit meinen angriffigen Tweets auf X auch bediene. Doch wer mich im echten politischen Leben kennt, weiss, dass ich gerne Kompromisse mache. Es macht Spass, für eine Lösung mit anderen zusammenzuarbeiten. Ich denke, Anouk und ich sind beide recht gut darin.

Feurer: Diese Art hat mir im Grossen Rat oft geholfen. Ich suche für meine Vorstösse Verbündete auch aus anderen Parteien. Und bis jetzt sind alle meine Vorstösse ohne Debatte durchgekommen.

Beim Lokalmedium Bajour hiess es, Sie beide seien in zehn Jahren gemeinsam bei der GLP. 

Von Falkenstein: Gestern war ich mit Freunden aus dem Studium unterwegs, die alle eher links sind. Sie stellten mir viele Fragen zur Politik und zum anstehenden Basler Wahlkampf. Und ich sagte ihnen: «Geht von mir aus links wählen, aber hört auf mit der GLP. Hört einfach auf damit!» Das ist auch etwas, das uns verbindet. 

Die Abneigung gegenüber der GLP? 

Feurer: Ja. (lacht)

Von Falkenstein: Für mich ist das die grösste Opportunistenpartei. Wir sind in zehn Jahren nicht bei der GLP,  versprochen!

Was sollen Ihre Kinder einmal wählen? 

Von Falkenstein: Das, was sie für richtig halten …

Feurer: … also mich!

Von Falkenstein: Einfach nicht die GLP!