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Meinung

Leitartikel zur Bundesratswahl
Liebe Städter, wehrt euch!

Elisabeth Baume-Schneider (SP) und Albert Rösti (SVP) bei ihrer Vereidigung als Mitglieder des Bundesrats.
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Sieben Wählerstimmen reichen manchmal, um ein Land zu verändern. Mit sieben Stimmen Vorsprung schaffte Elisabeth Baume-Schneider, die bekannteste Unbekannte der Schweiz, die Wahl in den Bundesrat. Auf 123 Stimmen kam die jurassische Sozialdemokratin insgesamt, ihre prominente Konkurrentin Eva Herzog aus Basel nur auf deren 116. 

Das Resultat dieses unerwarteten Personalentscheids ist der lateinischste, ruralste und bürgerlichste Bundesrat des letzten halben Jahrhunderts. Drei der sieben Mitglieder sind Romands, einer ist Tessiner. Drei der sieben Mitglieder haben einen landwirtschaftlichen Hintergrund, keines lebt in einer Gemeinde mit mehr als 30’000 Einwohnern. Und die SP verliert massiv an Einfluss. Die ursprüngliche Favoritin Herzog, so erwarteten es alle, wäre eine durchsetzungsstarke Bundesrätin geworden. Wie sich Baume-Schneider entwickelt, bleibt abzuwarten; die Departementsverteilung jedenfalls brachte ihr bereits eine Niederlage ein. Sie muss sich künftig mit dem Asylwesen und anderen undankbaren Dossiers des Justizdepartements herumschlagen. SVP-Neuling Albert Rösti hingegen konnte sich das viel bedeutsamere Umwelt- und Energiedepartement schnappen, das bislang unter SP-Führung stand.

Wäre die Schweizer Regierung ein Mensch, dann hätte sie sich diese Woche in einen rechtskonservativen, französischsprachigen Landwirt verwandelt. Es ist einigermassen müssig, über die Gründe für diese Metamorphose zu sinnieren. Hauptverantwortlich dafür ist die Parteileitung der SP Schweiz, die im Prozess um die Nachfolge ihrer Bundesrätin Simonetta Sommaruga in verschiedener Hinsicht tapsig und ungeschickt agierte. 

Dringlicher ist freilich die durch die Wahl vom Mittwoch ausgelöste Stadt-Land-Debatte. Schnell meldeten sich beschwichtigende Stimmen zu Wort. Stadt und Land, so hiess es, lägen in der Schweiz doch so nahe zusammen, dass man kaum einen Gegensatz konstruieren könne. Politgeograf Michael Hermann erklärte im Interview mit dieser Zeitung, die Städter seien selbstbewusst genug, um politische Schlappen wegzustecken. 

Betrachtet man die Bundesratswahlen vom Mittwoch als isoliertes Phänomen, dürfte man in der Tat Entwarnung geben. Eine vorübergehende Untervertretung der urbanen Schweiz im Siebnergremium ist für sich allein kein Drama. 

Doch es beginnt und endet eben nicht bei der Zusammensetzung des Bundesrats. Unsere Institutionen sind auf eine systematische strukturelle Benachteiligung der Städte und urbanen Grossräume angelegt. Mit einem Beispiel erläutert: Die Landkantone Uri, Schwyz, Glarus, Obwalden, Nidwalden, Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden zählen gemeinsam etwa 400’000 Einwohnerinnen und Einwohner. Im mächtigen Ständerat halten sie insgesamt 10 Sitze. Auf die ebenfalls 400’000 Menschen, die in der Stadt Zürich leben, entfallen dagegen, mathematisch gesehen, bloss etwa 0,5 Ständeratssitze. Die Stadtzürcher Bevölkerung hat also einen Zwanzigstel so viel Einfluss wie die zahlenmässig gleich starke Gruppe, die in den aufgezählten Kantonen lebt.

Noch ausgeprägter ist das Missverhältnis beim sogenannten Ständemehr. Wichtige Abstimmungsvorlagen gelten nur als angenommen, wenn neben dem Stimmvolk auch eine Mehrheit der Kantone Ja sagt. Infolgedessen zählt die Stimme eines Urners rund vierzigmal mehr als diejenige einer Zürcherin.

Das Mass eines vernünftigen Minderheitenschutzes ist damit längst überschritten. Vor diesem Hintergrund ist es eben sehr wohl von Bedeutung, wenn die Menschen aus dem Stadtgebiet selbst im Bundesrat ohne jede Repräsentanz bleiben. Zumal das Argument, auch Bundesrätinnen aus Randregionen könnten städtische Anliegen vertreten, gründlich ins Leere zielt: Wer so argumentiert, kann auch nichts gegen sieben Männer im Bundesrat vorbringen. Schliesslich wären ja auch diese in der Lage, feministische Politik zu betreiben. 

Und selbstverständlich macht die Herkunft eines Regierungsmitglieds politisch einen Unterschied. Baume-Schneider etwa verdankt ihre Wahl der Bauernfraktion – der bestorganisierten und stärksten aller Interessengruppen im Parlament. Es wäre ziemlich naiv, die Präferenz dieser Lobby mit blosser Sympathie für Baume-Schneiders Schwarznasenschafe zu erklären. Wie immer in der Politik ist der Spur des Geldes zu folgen. Wenn die finanzstarken Stadtkantone gegenüber den strukturschwachen Empfängern von Fördergeldern untervertreten sind, wird sich das in konkreten Entscheiden niederschlagen.

Die Stadt-Land-Debatte ist wichtig, Reformen wären dringend nötig. Das Ständemehr gehört abgeschafft, im Ständerat wären den Städten eigene Sitze zuzuhalten. Ist das alles realisiert, dürften die Röstis, Parmelins und Baume-Schneiders auch gern noch viele Jahre im Bundesrat verbleiben.