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Japans Pandemiebekämpfung vor Olympia
Licht aus – als Taktik gegen das Virus

Die Bevölkerung muss sich jetzt in Tokio einschränken, damit im Sommer die Olympischen Spiele stattfinden können. Die Mehrheit der Bevölkerung ist gegen die Spiele. 
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Es ist erst 20 Uhr am Bahnhof von Shibuya, und trotzdem wird es schon dunkel über der Kreuzung zwischen den hohen Häusern. Dass hier, an einem der lebhaftesten und konsumträchtigsten Orte Tokios, zur Nachtzeit überhaupt jemals ein grösseres Licht ausgehen würde, hätte man vor der Pandemie nicht gedacht. Aber Tokios Gouverneurin Yuriko Koike wollte das so, damit zur Covid-19-Vorbeugung weniger Menschen rausgehen.

Und tatsächlich werden Punkt acht auf einen Schlag die riesigen Werbebildschirme und Leuchtreklamen schwarz. Allerdings nicht alle. Ganz dunkel wird es nicht, und weil viele Geschäfte jetzt erst schliessen, sind noch viele Leute da. Hilft weniger Licht wirklich gegen Corona?

Zehntausende Sportler, Funktionäre und Reporter erwartet

Tokio befindet sich wieder im Notstand, es ist der dritte seit Beginn der Pandemie. Ein Drama muss man daraus nicht machen, denn nach den offiziellen Zahlen gibt es schlimmere Covid-19-Krisengebiete auf der Welt. 1027 Neuinfektionen haben Tokios Behörden am Donnerstag gemeldet, so viele wie seit dem 28. Januar nicht mehr. Aber einen explosiven Anstieg gibt es nicht, und wenn man bedenkt, dass die Präfektur Tokio Japans Wirtschafts- und Kulturzentrum ist, in dem 14 Millionen Einwohner auf relativ wenig Raum leben, wirken die Daten nicht sehr bedrohlich. Die Schweiz wäre dankbar für solche Tagesergebnisse, zählt sie doch mit 8,6 Millionen Einwohnern derzeit knapp unter 2000 Neuinfektionen.

Trotzdem schaut die Welt auf Tokios Corona-Lage, denn in weniger als drei Monaten sollen hier die Olympischen Spiele beginnen. Zehntausende Aktive, Funktionäre und Medienschaffende aus fast allen Ländern werden beim grössten Sportfest der Welt erwartet. Die Risiken eines solchen Ereignisses in Zeiten einer Pandemie mit hochansteckenden Mutationen des Coronavirus liegen auf der Hand.

Ein Blick auf die olympischen Ringe vom Odaiba-Ufer in Tokio. 

Aber Japans Regierung und das Internationale Olympische Komitee scheinen die Bedenken nicht zu teilen. Als Japans Premierminister Yoshihide Suga vergangenen Freitag den Notstand für Tokio, Osaka, Hyogo und Kyoto ausrief, sagte er, an den Spielen ändere das gar nichts. Skeptiker hingegen fragen sich, ob der Notstand kurz vor Olympia nicht darauf hindeutet, dass Japan auch ohne Grossereignis belastet genug ist von der Pandemie.

«Kurz und kraftvoll» solle der Notstand sein, hat Suga gesagt. Es geht vor allem darum, den nationalen Freizeitverkehr klein zu halten, denn am Donnerstag hat die Goldene Woche begonnen, eine Abfolge von Feiertagen. Tatsächlich ist der aktuelle Notstand härter als jener, der die Menschen in Tokio von Januar bis zum 22. März einschränkte. Damals galt eine Sperrstunde um 20 Uhr für Gaststätten. Jetzt dürfen Etablissements, die Alkohol ausschenken, und Karaoke-Bars gar nicht öffnen. Kinos, Vergnügungsparks, Einkaufszentren sind zu. Sportveranstaltungen müssen ohne Zuschauer stattfinden.

Es war die Idee von Tokios Gouverneurin Yuriko Koike, in der japanischen Hauptstadt um 20 Uhr die Lichter auf den Strassen auszuschalten.

In Tokio kommt Gouverneurin Koikes Licht-aus-Gebot dazu. Ausserdem hat sie mit den drei anderen Gouverneuren der Metropolregion Tokio/Kanagawa/Saitama/Chiba die Menschen dazu aufgerufen daheimzubleiben. Strenge Ausgangssperren gab es in Japan nie. Auch die Schulen bleiben ausserhalb der Ferien offen. Am 11. Mai soll der Notstand enden.

Aber Gesundheitsexperten im Land mahnen schon: Siebzehn Tage dürften zu kurz sein. Shigeru Omi, der den Coronavirus-Unterausschuss der Regierung leitet, sagte, der Notstand könne durchaus länger dauern. Und wieder bekam man den Eindruck, den man schon oft hatte in der Pandemie: Japans Regierungspolitiker hangeln sich von einer schnellen Lösung zur nächsten und hören nicht richtig zu, wenn die Fachleute mehr Weitsicht anmahnen.

Gerade mal ein Prozent der Japaner geimpft

Mit Glück und Geschick konnten Japans Virusfahnder anfangs einen schnellen Anstieg der Infektionskurve verschleppen. Die Disziplin der Menschen, die japanische Harmonie-Kultur und eine Einreisesperre für Touristen schützen immer noch vor explosiven Anstiegen. Aber den Vorteil nutzte Japans Regierung bisher nicht zu nachhaltigen Strategien. Sie dachte an die Wirtschaft und reagierte immer erst, wenn die Infektionszahlen hoch waren. Ein Impfprogramm gibt es zwar. Aber es ist langsam. Bisher sind nur etwas mehr als ein Prozent der 126 Millionen Japanerinnen und Japaner vollständig geimpft.

Und nun? Die Infektionszahlen steigen, und die Menschen haben kein Vertrauen mehr in die Abwehrkräfte des Staates. Sie fügen sich und tun, was nicht verboten ist. Olympia im Sommer? In den Umfragen ist die Mehrheit dagegen. Selbst im Tokioter Rathaus wird gezweifelt, weil das nationale Gesundheitswesen schon sehr belastet ist. Die Zeitung «Asahi» zitiert einen Beamten aus der Metropolregierung: «Gouverneurin Koike sollte anfangen, an einen Plan B zu denken, inklusive Absage.» Das wäre immerhin auch eine Art Licht-aus-Taktik.