Stadtzürcher Finanzen in Corona-ZeitenSo kommt das negative Budget bei den Parteien an
Der Zürcher Stadtrat rechnet für das kommende Jahr erstmals wieder mit einem Minus unter dem Strich. Bürgerliche sehen Zürich schon auf dem Weg in die «Fiskal-Hölle».
Auf den Lichtblick folgt der Dämpfer: Noch im vergangenen März hatte Finanzvorsteher Daniel Leupi (Grüne) zur allgemeinen Überraschung bekannt gegeben, dass die Rechnung 2020 der Stadt trotz Mehrausgaben wegen der Corona-Krise weitaus besser ausfällt als budgetiert. Stolz präsentierte er einen Überschuss von 54,6 Millionen Franken.
Doch am Dienstag musste Leupi den Medien eine Hiobsbotschaft verkünden. Für das kommende Jahr rechnet er mit einem Minus von 158,4 Millionen Franken. Dies einem Aufwand von rund 9,5 Milliarden Franken. Das ist der erste negative Rechnungsabschluss seit 2014. Damals lag er aber lediglich bei 56 Millionen Franken.
Konstant hohe Steuereinnahmen auf der Einnahmenseite sowie die Auswirkungen der Corona-Pandemie, der Unternehmenssteuerreform und des Wachstums der Stadt auf der Ausgabenseite prägten das Budget, erklärte der Finanzvorsteher. Das Eigenkapital der Stadt wird laut der Prognose per Ende nächsten Jahres von 1,5 auf 1,2 Milliarden Franken schrumpfen.
Erneut 365 Stellen mehr
Einen beträchtlichen Budgetposten macht der Personalaufwand aus. Er steigt im kommenden Jahr weiter an, auf etwas über 3 Milliarden Franken. Insgesamt sind 23’499 Stellen budgetiert, was eine Zunahme von 365 Stellen bedeutet. Den Löwenanteil davon machen 191 Stellen beim Schulamt aus, was mit dem Anstieg der Schülerinnen- und Schülerzahlen und dem Ausbau der Betreuungsangebote erklärt wird.
Für 2023 rechnet Leupi mit einem noch höheren Defizit, konkret in der Grösse von 195 Millionen Franken, in den beiden darauffolgenden Jahren mit einem Minus von 184 beziehungsweise 218 Millionen Franken. Das Eigenkapital würde damit per Ende 2025 auf rund 600 Millionen Franken dahinschmelzen.
Grundstücksgewinnsteuern sprudeln weiter
Erfreulicher sieht es auf der Ertragsseite aus. Dort rechnet die Stadt nächstes Jahr mit Steuereinnahmen von fast 3,1 Milliarden Franken, 169 Millionen Franken mehr als im Budget 2021. Der Steuerertrag bei den natürlichen Personen (1,907 Milliarden Franken) liegt zwar um 18 Millionen Franken unter dem Wert des diesjährigen Budgets. Dies führt die Stadt zu einem grossen Teil auf einen Rückgang bei den Quellensteuern um 70 Millionen Franken zurück, die 2020 wegen eines Spezialeffekts besonders hoch gewesen seien. Der Steuerertrag der juristischen Personen (853 Millionen Franken) dagegen dürfte laut den Prognosen um 130 Millionen Franken höher ausfallen als im Vorjahresbudget geschätzt.
Vor allem die Grundstücksgewinnsteuern sprudeln munter weiter: Hier rechnet Leupi mit 320 Millionen Franken, was mit dem nach wie vor sehr regen Liegenschaftenhandel mit steigenden Gewinnen pro durchschnittlichem Fall zu tun habe. Auch in den nächsten Jahren seien bei der Grundstücksgewinnsteuer steigende Werte zu erwarten.
Die Investitionen will die Stadt 2022 etwas zurückfahren. So hat sie im Budget beim Verwaltungsvermögen Nettoinvestitionen von 1,304 Milliarden Franken eingestellt, 102 Millionen weniger als im Vorjahr. Der Selbstfinanzierungsgrad liegt bei 31,8 Prozent. Für die Jahre 2023 bis 2025 rechnet Leupi aber bereits wieder mit Nettoinvestitionen in der Grössenordnung von 1,4 Milliarden Franken.
«Wachstum, Pandemie und Klimakrise als Herausforderungen»
Das langjährige Bevölkerungswachstum, erhöhte Anforderungen an die Infrastruktur und an kommunale Leistungen für Jung und Alt verursachten Kosten, die den städtischen Finanzhaushalt vor grosse Herausforderungen stellen, sagte Leupi.
Doch Alarmstimmung sei nicht angezeigt, gerade auch wegen der erwarteten positiven wirtschaftlichen Entwicklung. Dank stabilem Eigenkapital und nochmals reduzierten Schulden verfüge die Stadt über eine gute finanzielle Ausgangslage, um auch in Zukunft attraktiv zu bleiben. «Wir halten an unserer auf Stabilität ausgerichteten Finanzpolitik fest und verfügen über eine solide Basis, auch um die Herausforderung unseres Klimaziels ‹Netto null bis 2040› aktiv anzugehen», betonte Leupi. Zuversichtlich stimmten ihn nicht zuletzt die weiterhin hohen Steuereinnahmen. Zürich sei ein guter Standort für Firmen, die hier Gewinne erzielen, wovon wiederum die Stadt profitiere. Gerade der Finanzindustrie laufe es derzeit sehr gut in Zürich.
Trotz Defizit: Kein Sparprogramm
Den Steuerfuss von 119 Prozent will Leupi nicht verändern, «weder nach oben noch nach unten». Die Corona-Pandemie sei noch nicht vorbei, die Stadt werde weiterhin Betroffene unterstützen. Zudem dürfte die Steuervorlage 17, die Unternehmenssteuerreform, im kommenden Jahr erstmals direkte Auswirkungen haben. Noch sei völlig unklar, wie sich die neuen Steuerabzüge für Forschung und Entwicklung, Patentverwertung und Eigenfinanzierung auswirken, sagte Leupi.
Der Stadtrat werde die Finanzplanung «bei Bedarf anpassen und Massnahmen zur Stabilisierung des Haushalts prüfen», sagte der Grünen-Stadtrat weiter. Derzeit gebe es für ihn allerdings keinen Grund, ein Sparprogramm zu lancieren, gerade auch, weil er die wirtschaftliche Perspektiven grundsätzlich positiv einschätze.
«Die rot-grüne Party ist vorbei»
Die Parteien reagieren unterschiedlich. «Stehen wir vor einer Kehrtwende?», fragt die GLP. Der Stadtrat warne zwar vor einem weiterem Leistungsausbau durch die linke Mehrheit, gebiete diesem aber selber nicht Einhalt. Erneute Sonderunterstützungen aufgrund der Corona-Krise drohten zu ordentlichen Subventionen zu werden.
«Die Finanzen laufen aus dem Ruder», befürchtet die FDP. Einmal mehr fehle die Kostendisziplin, einmal mehr werde die Stadtverwaltung ausgebaut und das Eigenkapital «zerrinnt uns zwischen den Fingern». Obwohl die Bevölkerung mit der Pandemie rückläufig sei, halte der Stadtrat an seiner veralteten Bevölkerungsprognose und rechne mit Erträgen wie auch mit Ausgaben von zusätzlichen 20'000 Einwohnerinnen und Einwohnern.
Die SVP sieht Zürich «auf dem Weg in die Fiskal-Hölle». Sie fordert den Stadtrat auf, die mit dem Klimaziel Netto-Null bis 2040 verbundenen Ausgaben radikal zu kürzen, auf das flächendeckende Tempo-30-Regime zu verzichten, und eine Leistungsüberprüfung an die Hand zunehmen. «Die rot-grüne Party ist vorbei», schreibt die SVP.
«Unsere Stadt kann und muss sich das leisten»
Keinen Anlass zur Besorgnis sieht die SP: «Zürich bleibt stark», schreibt sie. Dank der «vorausschauenden Politik des Stadtrates» sei Zürich in der Lage, das Defizit zu stemmen. Gerade wegen der Überschüsse der Vorjahre verfüge die Stadt über ein stolzes Eigenkapitalpolster. «Für wann, wenn nicht für jetzt, haben wir in den guten Zeiten gespart?» In der Corona-Krise brauche es eine grosszügige Unterstützung der betroffenen Menschen und Gewerbebetriebe. «Unsere Stadt kann und muss sich das leisten.»
Auch die Grünen verweisen auf das «solide Eigenkapital». Die Stadt stehe wegen der Klimakrise, der Pandemie und der wachsenden Infrastruktur vor grossen Herausforderungen. Massnahmen wegen der Klimaerwärmung kosteten heute schon, diese Kosten würden noch steigen – «und wenn wir nichts machen, wird es noch mehr kosten».
Die AL zeigt sich besorgt wegen des Wachstums der Grundstückgewinnsteuern. Die sich in diesen Zahlen spiegelnde spekulative Aufwertung des Grundeigentums sei eines der zentralen Probleme dieser Stadt. Eine wachsende Zahl von Zürcherinnen und Zürchern könne sich das Wohnen in der Stadt schlicht nicht mehr leisten. Dies müsse sich ändern.
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