Letzter September-Spaziergang So erwacht Zürich
Wer will, kann in der 9-Millionen-Schweiz ganz gut allein sein. Zum Beispiel früh am Morgen vor Sonnenaufgang auf der Felsenegg.
Wir erleben gerade den wärmsten September seit Messbeginn. Der Temperaturüberschuss zum Durchschnitts-September beträgt 4 Grad Celsius. Am Wochenende werden an den Seen und in den Bergbeizen wieder gute Laune und Sonnenbrillen vorherrschen.
Wer die Einsamkeit sucht, muss weit fahren oder zeitig aufstehen. Wir haben uns für Letzteres entschieden. Unser Ziel ist es, den Sonnenaufgang auf der Terrasse des Restaurants Felsenegg zu erleben. Angesagt ist er um 7.21 Uhr.
Der Buechenegg-Parkplatz ist leer, als wir um 6.30 Uhr ankommen. Nur im Restaurant Buechenegg, das den Betrieb eingestellt hat und dieses Wochenende noch letztes Inventar an einem Garage-Sale verscherbelt, brennt Licht in einem Dachfenster.
Im Osten dämmerts, im Westen scheint der Mond
Bis zur Felsenegg sind es etwa 20 Minuten zu Fuss. Das Kies knirscht unter den Schuhen, und ein warmes Lüftchen streicht über die Anhöhe. Im Osten beginnt es zu dämmern, und es glitzert der Zürichsee. Zwischen Meilen und Horgen schieben sich lautlos die Fähren übers Wasser. Im Westen erhellt noch der Vollmond die dunkle Nacht, und im Reusstal wabern Nebelschwaden im Mondlicht.
Viele beantworten die Frage, wann Zürich am schönsten sei, mit «Früh am Morgen». Hier oben begreifen wir, was sie meinen.
Als wir auf der Felsenegg ankommen, haben wir noch keinen Menschen gesehen und leider auch kein Tier. Die Tische vor dem Restaurant sind bereits nummeriert für die Gäste, die die Terrasse in ein paar Stunden fluten.
Die Fotografin klickt und klickt, das Morgenrot ist inzwischen so rot geworden, dass sogar der Mond auf der anderen Seite des Albisgrates rötlich schimmert. Unten im Sihltal wird das Rauschen des Morgenverkehrs langsam lauter.
Die ersten Besucher auf der Felsenegg
Aus dem Wald tritt ein Mann mit Rucksack und schwarzer Dächlichappe, geht an uns vorbei und setzt sich an einen der nummerierten Tische. Er ist nach der Nachtschicht bei der Post auf die Felsenegg gewandert. «Ich geniesse hier die Ruhe nach der Arbeit», sagt er und faltet die neuste Ausgabe von «20 Minuten» auseinander.
Kurz vor 7.21 Uhr stürmt ein Mann mit Hund um die Ecke: «Kommt schnell, sonst verpasst ihr den Sonnenaufgang», ruft er seinen zwei Begleiterinnen zu, die es etwas gemütlicher nehmen.
Und dann hält ein Pick-up-Truck vor dem Restaurant, ein Gemeindearbeiter aus Stallikon steigt aus. Bevor er seine «Chübeltour» auf dem Albisgrat anfängt, will auch er im Übergewand noch rasch den Sonnenaufgang fotografieren.
Dann wirds gleissend hell über dem Säntis, alle drücken auf den Auslöser. In atemberaubendem Tempo steigt die Sonne empor und wirft ihr Licht über den See und an die Hauswand des Restaurants. Um 11 Uhr wird es seine Türen öffnen, es gibt Eierschwämmli-Ragout.
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