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Meinung

Leitartikel zur Schweizer Drogenpolitik
Der Kampf gegen Crack wird hart

Eine Cracksüchtige bereitet eine nächste Dosis vor.
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Eröffnet eine Stadtregierung eine Anlaufstelle für Drogensüchtige, läuft es immer gleich: Es wird geschimpft. Von rechts bis links, von Anwohnern und Quartiervereinen. Und am Ende fragen alle: Braucht es das überhaupt?

Diese Frage darf sich jetzt nicht stellen, zu sehr hat sich die Drogensituation in den Städten verschärft. In Basel, Zürich, Lausanne oder Genf sind Süchtige seit den Sommerwochen vermehrt im öffentlichen Raum präsent und konsumieren Drogen – wann und wo es ihnen gerade passt: in Parks, auf Plätzen, in öffentlichen Toiletten, in Hauseingängen, bei Tag und bei Nacht. Auch in kleineren Städten wie Biel, Solothurn und Chur verhalten sich Süchtige augenscheinlich anders als noch vor ein paar Monaten. 

Der Hauptgrund für die aktuelle Eskalation ist klar: Crack, eine aus Kokain und Natron hergestellte Billigdroge, die Süchtige in der Regel aus Pfeifen rauchen. Wer Crack raucht, der verspürt für wenige Minuten eine Art Allmacht und Euphorie und ist so aufgedreht bis aggressiv, dass er nicht mehr schlafen kann und jegliches Zeit-, aber auch das Hungergefühl verliert. Weil die Wirkung jedoch nur fünf bis zehn Minuten anhält und die Euphorie sofort in komplette Ermattung, schlimmstenfalls aber auch in paranoide Zustände oder Halluzinationen umschlägt, brauchen Cracksüchtige gleich eine nächste Dosis. So konsumieren sie die Droge fast rund um die Uhr, bis zur vollständigen physischen und psychischen Erschöpfung. Wer intensiv Crack raucht, riskiert den raschen körperlichen Verfall. 

Nie war das Rauscherlebnis besser und günstiger verfügbar.

Gemäss Franz Zobel, Vizedirektor der Stiftung Sucht Schweiz, war Kokain hierzulande niemals so rein, in so grossen Mengen und so billig zu haben. Mit anderen Worten: Nie war das Rauscherlebnis besser und günstiger verfügbar. Andere Experten beobachten, dass sehr junge Menschen Crack verfallen. Als Gründe dafür vermuten sie, dass die Isolation während der Covid-Pandemie gerade junge Leute überforderte. Probleme blieben ungelöst oder wurden verdrängt. Diese Situation trieb sie in die Drogensucht. Gelandet sind manche schliesslich beim billigen Crack. 

Gegen diese exzessive Form des Drogenkonsums und seine Folgen wehrt sich die Stadtbevölkerung zu Recht. Die Situation «ist nicht mehr auszuhalten», schrieben Anwohnerinnen und Anwohner am Basler Matthäusplatz, einem stadtbekannten Drogenhotspot, jüngst der Polizei, dem Sicherheitsdepartement und der kantonalen Suchtberatung. Während der Nacht werde gespritzt, gedealt, Crack geraucht und rumgebrüllt. Dasselbe spielt sich in Lausanne ab, wo Drogensüchtige auf Strassen und Plätzen liegen. In Genf wiederum werden Drogen um Schulhäuser herum gehandelt. In diesem Sommer musste eine Anlaufstelle für Cracksüchtige aus Sicherheitsgründen schliessen – wegen der permanenten aggressiven Stimmung und weil jemand mit einem Messer aufgetaucht war. Auch in Zürich erleben die Anwohner der Bäckeranlage, wie die Drogenszene vor allem in den Nachtstunden jeweils anwächst.

Für Cracksüchtige gibt es keine Therapien.

Klar ist jetzt schon: Die Polizei allein kann das Problem nicht lösen. Der Kampf gegen die Verfügbarkeit von Drogen ist längst gescheitert. Stadtparlamente und Stadtregierungen müssen stattdessen über die Situation «ihrer» Suchtkranken sprechen und sich bewusst sein, dass die Polizei allein das Problem nicht lösen kann. Es braucht Sozialarbeiter und medizinisches Personal. Aber eine Politik der absoluten Abstinenz kann kein Ziel sein. 

Wenn die Städte die Cracksucht nun angehen, können sie auf das bewährte Viersäulenprinzip zurückgreifen. Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression lauten die Pfeiler. Doch es gibt ein Problem: Für Cracksüchtige gibt es keine Therapien. Anders als Heroinsüchtigen kann man Crackabhängigen keinen pharmakologischen Ersatzstoff wie Methadon verabreichen. «Man kann es mit Ritalin versuchen, aber das ist wissenschaftlich nicht untersucht», sagt Daniele Zullino, der ärztliche Leiter der Suchtabteilung an den Genfer Universitätsspitälern. Selbst Kokain sei besser als Crack, das zwar aus Kokain bestehe, aber eine andere Droge sei. Was also tun? Lösungen bietet allenfalls die Psychotherapie mit Verhaltenstherapien. Gemäss Daniele Zullino folgten in Nordamerika gute Resultate, wenn man Cracksüchtige mit Einkaufsgutscheinen belohnte, wenn ihre Urinproben keine Crackspuren aufwiesen. 

Egal welche Massnahmen die Städte ergreifen: Sie werden teuer sein, lange dauern und Ressourcen brauchen, die andernorts ebenfalls gut eingesetzt wären. Auch die Wissenschaft muss mithelfen. Lässt man die Drogensüchtigen aus der Realität in ihre scheinbar zügellose Scheinwelt fliehen und dort verbleiben, hat das für die Freiheit aller anderen fatale Folgen. Das hat dieser Sommer gezeigt. Das sollte sich nicht wiederholen.