Wissenschaft rätseltDie Ozonschicht erholt sich nicht
Die Zerstörung des Ozons war einst Umweltproblem Nummer 1. Dann wurde die Produktion der Ozonkiller FCKW verboten. Und nun merkt die Wissenschaft: Es gibt immer noch Schwierigkeiten.
Alles war gut vor 35 Jahren. Einer der wichtigsten völkerrechtlich verbindlichen Umweltverträge trat 1987 in Kraft, das Montreal-Protokoll. Mit ihm wurden die politischen Weichen gestellt, um eine Erholung der lebenswichtigen Ozonschicht einzuleiten. Doch nun hat die Wissenschaft einen Erklärungsnotstand: Die Produktion und der Verbrauch langlebiger Fluorkohlenwasserstoffe (FCKW) und ähnlicher Substanzen sind zwar dank dem Abkommen um mehr als 90 Prozent gesunken. Diese Chemikalien greifen die Ozonschicht besonders über der Antarktis, aber auch in den mittleren Breiten an.
Aber trotz den erfolgreichen Massnahmen erholt sich die Ozonschicht nicht. Ozonforscher versuchen die Erholung anhand von chemischen Prozessen zu modellieren. Die Annahme ist: Mit dem Rückgang Ozon zerstörender Substanzen sollte auch der Ozongehalt in der Stratosphäre (in einer Höhe zwischen 15 und 48 Kilometern) allmählich wieder ansteigen. Doch dies ist nicht der Fall. «Die Modelle stimmen nicht vollständig mit den Beobachtungen überein, das ist ein Rätsel», sagt Gabriel Chiodo, Ozonforscher an der ETH Zürich.
So zeigen zum Beispiel die Jahresdaten der weltweit längsten Ozonmessreihe von Arosa/Davos, wie nach der Einführung des Montreal-Protokolls die Ausdünnung der Ozonschicht bereits in den ersten Jahren stoppte, seither ist jedoch kein weiterer Fortschritt mehr statistisch signifikant messbar. Die Messstation, die vor drei Jahren von Arosa nach Davos verlegt wurde, misst seit 1926 das Totalozon in der Atmosphäre. Dieser Wert steht für die Ozonmenge von der Erdoberfläche bis zur Obergrenze der Stratosphäre. Der Ozongehalt schwankt stark von Jahr zu Jahr. Ein positiver Trend ist bislang nicht erkennbar.
Die internationale Politik ist stets bemüht, den Erfolg des Montreal-Protokolls zu betonen. Der ist auch nachweislich da, wie die Zahlen zu den rückläufigen gefährlichen Chemikalien in der Atmosphäre zeigen. Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) warnt aber auch schon lange davor, auf keine schnelle Besserung zu hoffen, weil sich die FCKW nur langsam abbauen. Aber gleichzeitig verbreitet sie auch Optimismus, da sich der gesamte Ozongehalt in der Atmosphäre zumindest seit dem Jahr 2000 stabilisiert hat. Laut ihrem letzten Bericht vor vier Jahren erwarten die Experten anhand von Modellrechnungen, dass die Ozonschicht über der mittleren Breite der Nordhalbkugel bis in die 2030er-Jahre wieder den Zustand von 1980 erreichen wird. Dieses Jahr ist quasi der Massstab für die vollständige Erholung der Ozonschicht.
Nun ist es gut möglich, dass die Ozonexperten ihre Einschätzung revidieren müssen. Denn die Indizienkette wird noch länger, vor allem für unsere Breitengrade. Eine neue Studie von Stefan Brönnimann bestätigt den Befund von Arosa. Der Klimaforscher der Universität Bern hat Messdaten von Oxford in Grossbritannien untersucht, die ebenfalls bis in die 1920er-Jahre zurückreichen. «Dank den Daten der beiden Langzeitreihen können wir die Trends der starken jährlichen Ozonschwankungen besser einordnen», sagt Brönnimann.
Schlagzeilen machte bereits vor vier Jahren eine ETH-Studie von William Ball. Er untersuchte Daten, die von verschiedenen unabhängigen Satellitensystemen seit Jahrzehnten gemessen werden. Der Befund: Die Ozonschicht über den Tropen und in unseren mittleren Breiten erholt sich keineswegs – im Gegenteil. Sie dünnt weiter aus. Die Daten bestätigen zwar frühere Untersuchungen: Als Folge des Montreal-Protokolls nimmt der Ozongehalt in der oberen Stratosphäre – in 32 bis 48 Kilometer Höhe – wie erwartet zu. Es gibt auch Anzeichen einer Reduktion des Ozonlochs über der Antarktis. Aber: In der unteren Stratosphäre – zwischen etwa 15 und 24 Kilometern Höhe – sinkt die Ozonkonzentration seit 1987 kontinuierlich und scheinbar unaufhaltsam. Auf dieser Höhe sind gut 40 Prozent des Ozons global verteilt. Deshalb ist es bedeutsam, wie die Erholung in dieser Schicht in Zukunft verlaufen wird.
Der Berner Forscher Stefan Brönnimann zeigt in seinen Modellierungen, dass aufgrund veränderter chemischer Prozesse eigentlich ein leichter Anstieg des Ozongehalts in der Atmosphäre zu erwarten wäre – vorausgesetzt, der Austausch der Luftmassen hat sich nicht verändert. Letzteres scheint aber nicht der Fall zu sein. «Es ist anzunehmen, dass eine Veränderung der Zirkulation durch den Klimawandel eine Verbesserung der Ozonschicht kaschiert», sagt Brönnimann.
Ist der Klimawandel schuld?
Wie stark der Klimawandel jedoch die Erholung der lebenswichtigen Ozonschicht beeinflusst, vor allem in den nördlichen Breiten, ist unter Ozonforschern umstritten. ETH-Forscher Gabriel Chiodo und Kollegen hatten letzte Woche an einem Ozonmeeting in Genf, wo sich die Hauptautoren des neuen Ozon-Zustandsberichtes der Umweltagentur Unep trafen, die schwierige Aufgabe, den möglichen Klimaeffekt auf die Ozonschicht zu erklären. An diesem Meeting ging es darum, unmissverständliche Formulierungen für die Kurzfassung des Ozonberichtes, der im Dezember veröffentlicht wird, zu finden.
«Der Klimawandel muss endlich ein grösseres Gewicht in der Ozonforschung erhalten.»
So gibt es durchaus Erklärungen, warum die Erderwärmung einen Effekt auf die Erholung der Ozonschicht haben könnte. Der grösste Teil des Ozons wird über den Tropen produziert und mit den Winden in den Norden und Süden des Globus verfrachtet. Mit der Erderwärmung wird der Luftaustausch zwischen den Tropen und den nördlichen Breiten verstärkt. Was bedeutet das für den Ozongehalt in der Atmosphäre? Dazu gibt es verschiedene Thesen in der Forschung: Der Anstieg in der oberen Stratosphäre wäre damit unter anderem erklärbar, weil dadurch zusätzliches Ozon in den Norden verfrachtet wird. Anderseits könnte man auch die Ozonabnahme in der unteren Stratosphäre begründen: weil in einer wärmeren Welt der Ozongehalt in den Tropen abnimmt und sich der subtropische Jetstream mit ozonarmer Luft im unteren Stockwerk der Stratosphäre möglicherweise nach Norden verschoben hat.
Noch werden diese Prozesse allerdings zu wenig verstanden. «Der Klimawandel muss deshalb endlich ein grösseres Gewicht in der Ozonforschung erhalten», sagt Johannes Staehelin. Der emeritierte Professor am ETH-Institut für Atmosphäre und Klima beschäftigt sich seit Ende der 1980er-Jahre mit der langfristigen Entwicklung der Ozonschicht. Dafür brauche es lange Zeitreihen wie in Arosa und Oxford. «Der Klimawandel könnte die Erholung der Ozonschicht verzögern», sagt Johannes Staehelin. Über das Resultat des Autorenmeetings in Genf herrscht vorerst Stillschweigen. Man darf gespannt sein, wie stark der Klimawandel im nächsten Zustandsbericht eine Rolle spielt.
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