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Abfahrt in Wengen
«Meine Stimmung ist getrübt» – Odermatt siegt und leidet wegen Freund

Schulterklopfer um Schulterklopfer hat Marco Odermatt entgegengenommen im Zielraum von Wengen. Als er wieder einmal aufsteht für die nächsten Gratulationen, nimmt kurzerhand Christof Innerhofer Platz auf dem roten Ledersessel für den Leader. Natürlich ist es ein Scherz. Natürlich steht der Südtiroler bald wieder auf und überlässt den Sitz dem Schweizer. Schliesslich ist dieser jetzt auch das: Abfahrtssieger. Der Coup gelingt ihm vor Heimpublikum. Die Gegner? Chancenlos, weil dem Dominator des Weltcups auf der verkürzten Lauberhornstrecke alles gelingt. «Perfekt» sei die Fahrt gewesen, sagt der 26-Jährige selbst.

Für einmal fehlen nicht 5, 6, 9, 10, oder 11 Hundertstel wie auch schon, wenn er auf ein Abfahrtspodest kletterte. Elfmal tat er das im Weltcup, nie stand er zuoberst, der Weltmeister in der Königsdisziplin – es war Rekord. Und jetzt also nutzt er die erste Chance in dieser Mammut-Rennwoche in Wengen mit verkürzter Abfahrt, Super-G, Orginalabfahrt und Slalom, um das zu ändern. Cyprien Sarrazin, Aufsteiger der Saison in dieser Disziplin, verliert als Zweiter 58, Aleksander Kilde als Dritter 81 Hundertstel. Es ist eine nächste Demonstration des Überfliegers, der seinen 30. Weltcupsieg feiert. 

Edelfan Urs Lehmann

Im Ziel an eine Abschrankung gelehnt steht ein Mann mit Rennhandschuhen, die Unterschrift von Marco Odermatt prangt darauf, es ist eine Sonderkollektion des Herstellers. Tragen tut sie ein Edelfan: Urs Lehmann, Abfahrtsweltmeister exakt 30 Jahre vor Odermatt, 1993 in Morioka. Heute ist der Aargauer Präsident von Swiss-Ski und als solcher «Fan von allen Schweizer Fahrerinnen und Fahrern», so sagt er das. Nur hat eben nicht jeder eine eigene Kollektion.

Es gab die Diskussion vor diesem Rennen, ob sich der Sieger Lauberhornsieger nennen dürfe oder nicht. Weil es ein Ersatz für die abgesagte Abfahrt von Beaver Creek ist und von vornherein klar war, dass nicht die ganze Strecke befahren wird, um am Samstag eine Steigerung präsentieren zu können. Selbst Odermatt sagte im Vorfeld, er würde sich bei einem Triumph nicht so betiteln. Lehmann schüttelt den Kopf: «In fünf Jahren sagt doch keiner mehr, Odermatt habe am Donnerstag eine Ersatzabfahrt gewonnen, nein, er hat am Lauberhorn gewonnen.»

Und was fällt ihm noch ein zum besten Skifahrer der Gegenwart? «Er bewegt sich über allem, was ich bisher gesehen habe. Auf der Piste ist er ohnehin in einer eigenen Liga, aber was er daneben vollbringt, ist genauso eine grosse Leistung.» Während sich eine Athletin wie Lara Gut-Behrami abgrenze und etwa den Sports Awards fernbleibe, bei denen sie zur Sportlerin des Jahres gewählt wurde, «reist Odi an. Er hat erst noch Freude und bleibt bis lange nach der Ehrung. Was er neben der Piste leistet, sehen die wenigsten.»

Dass Odermatt die vielen Termine mit einer ihm eigenen Leichtigkeit meistert, ist eine seiner grossen Stärken. Er braucht sie auch am Donnerstag, der wieder einmal lang wird für den Ausnahmefahrer. Um 15.32 Uhr erst besteigt er nach vielen Unterbrüchen das Podest im Ziel von Wengen; um 19 Uhr ist er beim grossen Fest mitten im Dorf dabei, bei dem er seine Trophäe bekommt; am Freitag ist er am Mittag im Super-G schon wieder der grosse Favorit. Keiner zweifelt daran, dass er auch dieser Rolle gerecht werden kann.

Kohler und der Wengen-Fluch

Es ist eigentlich eine wunderbar ausgelassene Stimmung im Zielraum von Wengen, in dem eine volle Tribüne steht, weil die Veranstalter sie mit Schulklassen gefüllt haben. Getrübt wird sie, als die Nummer 35 die Piste hinunterrast. Marco Kohler, Grosstalent und guter Freund von Odermatt, seit sie zusammen die Sportschule in Engelberg besuchten, hat schmerzliche Erinnerungen an diesen Hang. Nun ist der 26-Jährige mit siebtbester Zwischenzeit unterwegs zur Versöhnung. Doch so weit kommt es nicht, stattdessen erweitert sich seine Geschichte um ein negatives Kapitel.

Kohler gerät bei einem Sprung in Rücklage, stürzt und bleibt im Schnee liegen. Sanitäter eilen zu ihm, später wird er mit dem Helikopter abtransportiert. Am Abend kommuniziert Swiss Ski die Diagnose: Riss des vorderen Kreuzbandes, des inneren Meniskus, sowie eine Zerrung des Innenbandes am rechten Knie.

Vor vier Jahren, als er zum letzten Mal am Lauberhorn fuhr, reiste er noch mit zerstörtem linken Knie aus dem Berner Oberland ab. Da war er Vorfahrer im Training, geriet kurz vor dem Ziel-S in Rücklage und flog heftig ins Netz. Selbst der Fangzaun war zu wenig stark und brach. Kreuzband, Innenband, Patellasehne, Aussenmeniskus – alles war kaputt.

Nach mühsamer Reha-Phase kehrte der Berner zwei Jahre später auf die Ski zurück. Und nun also wird das Comeback in Wengen zum Albtraum. «Meine Stimmung ist getrübt», sagt Sieger Odermatt.

Ein anderer Teamkollege muss seine Fahrt abbrechen, weil er direkt nach Kohler gestartet ist und dieser noch gepflegt wird: Franjo von Allmen, 22-jähriger Berner, ebenso grosser Hoffnungsträger im Schweizer Speed-Team wie Kohler. Dass er nicht nur das fahrerische Können, sondern auch die nötige mentale Stärke für grosse Taten hat, beweist er so: Trotz zweimaligen Starts wird er hervorragender 14. Und ist doch nur fünftbester Schweizer, weil sich Justin Murisier, Niels Hintermann und Alexis Monney auf den Rängen 9 bis 11 klassieren.

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Startnummer 13 – James Crawford

Ausgerechnet in der Anfahrt zum Canadian Corner stürzt der Kanadier. Respektive: Er kann sich wieder aufrichten und weiterfahren, büsst aber letztlich knapp sechs Sekunden ein. Ohne dieses Missgeschick hätte es für Crawford ein Spitzenergebnis werden können.

Startnummer 12 – Vincent Kriechmayr

Vor zwei Jahren gewann der Österreicher die zweite Abfahrt in Wengen, nun bremst er vor dem Kernen-S zu stark ab. Das kann er sich natürlich nicht leisten. Kriechmayr verliert 1,62 Sekunden, das reicht nur für Zwischenrang 9.

Etwas Nebel zieht auf

Im unteren Teil der Strecke zieht ein wenig Nebel auf. Dieser bereitet offenbar auch dem Weltskiverband FIS Sorgen. Der Unterbruch fürs Fernsehen, der geplant ist, wird jedenfalls gestrichen. Es gilt, keine Zeit zu verlieren.

Startnummer 11 – Cyprien Sarrazin

Was ist das für ein aufregender Kerl: Der Franzose kennt kein Taktieren, der fährt immer Vollgas. Früher galt er als Bruchpilot, er stürzte und verletzte sich oft. Nun aber ist Sarrazin gereift, er gewann in der Altjahrswoche in Bormio – und er hält sich auch in Wengen ausgezeichnet. Sarrazin verliert nur 58 Hundertstel auf Odermatt und wird Zweiter. Wir ziehen den Hut.

Startnummer 10 – Dominik Paris

Der 34-jährige Italiener hat seine Krise überwunden, realisierte im Dezember in Gröden gar seinen 22. Sieg im Weltcup. 2020 war Paris in Wengen Zweiter, bezwungen einzig von Beat Feuz. Er fährt auf Rang 4 in einem Sektor schafft er es immerhin, Odermatt eine Zehntelsekunde abzunehmen. Auch im österreichischen Fernsehen sind sich die Herren schon einig: «Der Odi ist nicht mehr abzufangen.»

Startnummer 9 – Niels Hintermann

Es ist wie bei einem Casting eines Musik-Wettbewerbs: Wenn derjenige vor dir begeisterte, hast du es schwer. Hintermann geht es nicht anders, nach Odermatts Galavorstellung kann er das Publikum nicht begeistern. Er verliert anderthalb Sekunden und belegt nur Position 6.

Startnummer 8 – Marco Odermatt

Er ist der Leader im Abfahrts-Weltcup – und dementsprechend fährt oder besser: rast er auch! Vor dem Kernen-S macht er im Gegensatz zu den meisten Konkurrenten nur einen Mini-Gegenschwung, bis ins Ziel baut er den Vorsprung danach kontinuierlich aus. Odermatt geht in Führung, und wie! 81 Hundertstel nimmt er Kilde ab. SRF-Experte Feuz sagt: «Da müssen wir nicht mehr gross diskutieren, das war die Traumfahrt des Tages.»

Startnummer 7 – Florian Schieder

Letztes Jahr wurde er in Kitzbühel sensationell Zweiter und erhielt gar Glückwunsch-Nachrichten aus der italienischen Politik. Am Lauberhorn schlägt er sich ebenfalls gut – und er zeigt, dass Kildes Fahrt unten alles andere als perfekt war. Er holt auf der zweiten Streckenhälfte rund eine halbe Sekunde auf und wird Zweiter (+0,13 Sekunden).

Startnummer 6 – Aleksander Kilde

Und jetzt: Mister Oberschenkel! 2017 wurde der Umfang seiner Baumstämme, ah nein, seiner Oberschenkel gemessen: 65 Zentimeter waren es damals. Seither sei er noch stärker geworden, sagt Kilde. Aber: Er sei nicht hundertprozentig fit, sagen die Betreuer, es sei gar unklar, ob er alle drei Speedrennen in Wengen bestreiten werde. Wie auch immer: Der Vorjahressieger zeigt eine starke Leistung und übernimmt mit 44 Hundertsteln Vorsprung die Spitze. Aber: Perfekt war die Fahrt nicht, im unteren Teil büsst er etwas Zeit auf Striedinger ein.

Startnummer 5 – Justin Murisier

Der erste Schweizer ist unterwegs. Im zweiten Training fuhr keiner schneller durchs Kernen-S als der Walliser, im Rennen klappt es nicht ganz so gut. Aber Murisier zeigt ein gutes Rennen, mit 19 Hundertsteln Rückstand auf Striedinger ist er Zweiter. Von den Rängen gibt es verhaltenen Applaus.

Startnummer 4 – Nils Allègre

Eben erst ist der Franzose 30 geworden, und sein Trainer verglich ihn an der Mannschaftsführersitzung mit einem guten Wein – je älter desto besser. Vierter war er zuletzt in Gröden, es war sein Bestergebnis. Nun stemmt er vor der Brüggli-Passage ziemlich stark an, es reicht für Zwischenrang 3.

Startnummer 3 – Andreas Sander

Da soll noch einer sagen, oberhalb Stuttgarts interessiere sich kein Mensch mehr fürs Skifahren. Sander stammt aus Nordrhein-Westfalen, 2021 verpasste er den WM-Titel in der Abfahrt um eine lumpige Hundertstelsekunde, sein Silber galt als Sensation. Derzeit tut er sich schwer, er spürt noch immer die Nachwehen eines Trainingssturzes. Er fährt nur auf Rang 3.

Startnummer 2 – Bryce Bennett

SRF-Experte Beat Feuz verglich den Amerikaner einst mit einem Windhund, weil er so gross und schlank ist. Bennet verblüffte auf seiner Lieblingsstrecke in Gröden im Dezember mit dem Sieg und Platz 3, es waren Ergebnisse aus dem Nichts, fuhr er zuvor doch eher auf Europacup-Niveau. In der Altjahrswoche in Bormio reichte es dann noch gerade für Platz 48. In den Trainings in Wengen aber machte er einen ansprechenden Eindruck. Er verliert 44 Hundertstel auf Striedinger. Vor dem Brüggli macht er nicht den Stemmbogen, aber einen Gegenschwung. Es sind sehr spezielle Bilder, einmalig im Weltcup.

Startnummer 1 – Otmar Striedinger

In Gröden wird vor Weihnachten traditionell der beste Fanclub im Skizirkus ausgezeichnet – die Anhänger des Österreichers haben den Preis schon viermal gewonnen. 60, 70 Mitglieder reisen im Schnitt an die Rennen, um ihren «Oti» anzufeuern. Für einen Sieg hats nie gereicht, mit 1:44:57 setzt der 32-Jährige nun die erste Richtzeit. Und: Vor dem Kernen-S macht Striedinger tatsächlich den Stemmbogen, das Tempo soll schliesslich gedrosselt werden. Er wird einige Nachahmer finden.

Es geht los!

Ottmar Striedinger, ein Routinier aus Österreich, hat das Rennen eröffnet.

Elf Schweizer am Start

Die Nummern der Schweizer: 5 Justin Murisier, 8 Marco Odermatt, 9 Niels Hintermann, 20 Stefan Rogentin, 25 Alexis Monney, 35 Marco Kohler, 36 Franjo von Allmen, 37 Josua Mettler, 45 Ralph Weber, 49 Gilles Roulin, 56 Lars Rösti.

Die Favoriten

Odermatt hier, Odermatt da, Odermatt überall. Doch in Wengen mit seinen speziellen Schlüsselstellen wie dem Kernen-S, der Minschkante und den langgezogenen Gleitkurven in Langentrejen, kann so vieles passieren. Im Training hinterliess Bormio-Sieger Cyprien Sarrazin abermals einen starken Eindruck, Vincent Kriechmayr mag das Lauberhorn, Aleksander Kilde sowieso. Wobei: Der Norweger ist angeschlagen, das zweite Training am Mittwoch liess er sausen.

Marco Odermatt, wer sonst?

Ski-Experte Marco Büchel sagte letzte Woche gegenüber dieser Redaktion noch, er glaube nicht an einen Abfahrts-Sieg von Odermatt in Wengen, zu leicht sei die Strecke, sie beinhalte zu wenig schwierige Passagen. Nun, nach den Trainings muss man sagen: Odermatt ist wie so oft der Topfavorit. Gewinnt er endlich auch im Weltcup erstmals in der Königsdisziplin? Er war schon achtmal Zweiter und dreimal Dritter – der Triumph wäre überfällig.

Nicht von ganz oben

Los geht es heute nicht von ganz oben, sondern vom früheren Kombinationsstart beim Hundschopf. Es werden rund 40 bis 45 Fahrsekunden fehlen im Vergleich zur Originalabfahrt vom Samstag.

Das Wetter

Vier Verrückte liefen eben «oben ohne» Richtung Ziel, die französische Flagge auf die Wangen geschminkt. Für Nebenwirkungen fragen diese wohl besser den Arzt oder Lebensberater. Es ist jedenfalls frisch in Wengen, minus 2 Grad, aber die Sonne scheint. Kurz: Besser könnten die äusseren Bedingungen nicht sein.