Corona-Ausbruch in FleischfabrikLaschet scheut neuen Lockdown
Trotz mehr als 1300 Infizierten in Deutschlands grösstem Schlachtbetrieb will der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet die Region nicht unter Quarantäne stellen.
Es sind schwere und schwierige Tage für Armin Laschet. Seit sich beim mächtigen Fleischfabrikanten Tönnies in Ostwestfalen mehr als 1300 Schlachtarbeiter mit dem Coronavirus angesteckt haben, steckt der Ministerpräsident wieder im Krisenmodus. Nach mehr als 6000 Tests meldeten die Behörden am Sonntag 1331 Infizierte. 21 Arbeiter lägen im Spital, 6 auf der Intensivstation, 2 müssten künstlich beatmet werden.
Dennoch lehnte es der 59-jährige Christdemokrat am Sonntag nach einer Krisensitzung vor Ort ab, über den meistbetroffenen Landkreis Gütersloh einen Lockdown zu verhängen. Aufgrund der hohen Infiziertenzahl bestehe zwar fraglos ein «enormes Pandemierisiko», so Laschet. Aber derzeit seien die Virusherde «lokalisierbar», es finde kein «signifikanter Übersprung» vom Schlachtbetrieb auf den Rest der Bevölkerung statt. Man könne einen Lockdown in der Zukunft zwar nicht ausschliessen, wolle ihn aber möglichst vermeiden.
Eingrenzbar oder nicht?
Die Verantwortlichen hatten bereits letzte Woche Schulen und Kitas des Landkreises sowie die Fleischfabrik in Rheda-Wiedenbrück geschlossen und die Arbeiter unter strenge Quarantäne gestellt. Die von Bund und Bundesländern beschlossenen Massnahmen sehen freilich einen lokalen oder regionalen Lockdown vor, wenn über sieben Tage mehr als 50 neue Infektionen pro 100'000 Einwohner auftreten. In Gütersloh wurde dieser Wert nun weit übertroffen. Allerdings sind Ausnahmen möglich, wenn die Ansteckungen auf einzelne, isolierbare Einrichtungen beschränkt bleiben. Diese Klausel nimmt Laschet nun in Anspruch.
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Politiker der Opposition hatten zuvor einen Lockdown ultimativ gefordert, etwa die Sozialdemokraten Klaus Lauterbach und Thomas Kutschaty. Laschet schreckte davor vermutlich auch deswegen zurück, weil er sich seit April am lautesten für schnellere Lockerungen eingesetzt hatte. Die Verhängung eines neuerlichen Lockdowns in einem Teil seines Bundeslandes hätte da wie eine Niederlage gewirkt.
Laschet, der im Dezember gerne CDU-Vorsitzender und danach Kanzlerkandidat werden möchte, hatte vor Tagen schon gereizt auf die Frage einer Journalistin geantwortet, was der Massenausbruch mit seinen Lockerungen zu tun habe. Er schob die Schuld sinngemäss den Arbeitern zu, die das Virus aus den Ferien in Bulgarien und Rumänien zurück nach Nordrhein-Westfalen gebracht hätten. Danach wurde Kritik laut, er habe sich ausländerfeindlich geäussert.
Bei der Zerlegung von Schweinen angesteckt
Fast alle Infektionen bei Tönnies traten in der Zerlegefabrik für Schweine auf, wo es offenbar kein funktionierendes Schutzkonzept gab. Die tiefen Temperaturen bei der Arbeit und die beengten Sammelunterkünfte sollen die Virusverbreitung zusätzlich beschleunigt haben. Die Behörden hatten zuletzt sogar die Bundeswehr zu Hilfe gerufen, um das Testprozedere zu beschleunigen.
Nachdem es bereits im April und Mai in anderen deutschen Fleischfabriken zu 700 Infektionen gekommen war, hat der neueste Fall beim Giganten Tönnies die Politik in ihrer Überzeugung bestätigt, dass Handeln nottut. Ab 1. Januar 2021 sollen die branchentypischen Leih- und Werkverträge für Schlachtarbeiter aus Rumänien, Polen und Bulgarien verboten sein. Die Fleischindustrie beschäftigt heute nur einen kleinen Teil ihrer Mitarbeiter selbst. Das Gros bezieht sie von Subunternehmen, bei denen die Lohn- und Arbeitsbedingungen teilweise miserabel sind.
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Man werde dieses «rücksichtslose Wirtschaften» künftig nicht mehr tolerieren, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Sonntag. Man verpflichte die lokalen Behörden umgehend zu regelmässigeren und schärferen Kontrollen der Arbeits- und Lebensbedingungen. Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) beteuerte, man werde die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen und die Missstände abstellen. Das müsse «das Ende sein der Fleischindustrie, wie wir sie kennen», forderte die frühere grüne Landwirtschaftsministerin Renate Künast.
Der Chef des meistbetroffenen Konzerns, Clemens Tönnies, versprach, er werde für Korrekturen Hand bieten. Er entschuldigte sich bei den Behörden und der Bevölkerung und kündigte an, die Lage der Arbeiter zu verbessern. Ministerpräsident Laschet sagte am Sonntag, er nehme Tönnies beim Wort.
Tönnies, der umstrittene Patriarch
Solange nur andere Unternehmen betroffen waren, hatte Tönnies trotzig auf die negativen Tests in seinen Fabriken hingewiesen und sich gegen jeden «Generalverdacht» verwahrt. Nun forderte sein eigener Neffe, Robert Tönnies, den Patriarchen zum Rücktritt auf – unter anderem mit Hinweis auf die miesen Arbeitsbedingungen, die man doch schon lange zu verbessern versprochen hatte. Dieser lehnte den Rücktritt vehement ab.
Clemens Tönnies steht nicht nur als kantiger Fleischbaron mit einem Jahresumsatz von 6 Milliarden Euro in der Öffentlichkeit, sondern auch als starker Mann des Gelsenkirchener Fussballvereins Schalke 04. Im letzten Sommer musste er nach rassistischen Bemerkungen sein Amt als Clubchef drei Monate pausieren lassen.
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