Medienprozess in ZugJolanda Spiess-Hegglin soll vom «Blick» 300’000 Franken erhalten
Das Zuger Kantonsgericht hat der ehemaligen Kantonspolitikerin den Gewinn zugesprochen, den Ringier mit vier persönlichkeitsverletzenden Artikeln erzielt hat. Das Medienhaus will das Urteil anfechten.
- Jolanda Spiess-Hegglin soll 300’000 Franken für persönlichkeitsverletzende «Blick»-Artikel erhalten.
- Es ist das erste Mal, dass in der Schweiz ein Gericht über die Höhe einer Gewinnherausgabe an eine Geschädigte entschieden hat.
- Die Gewinnvorstellungen gingen beim Prozess weit auseinander.
- Die «Blick»-Herausgeberin Ringier plant, das Urteil vor das Zuger Obergericht als zweiter Instanz weiterzuziehen.
Die Herausgeberin des «Blicks» muss Jolanda Spiess-Hegglin einen Gewinn von insgesamt 300’000 Franken ausbezahlen. Dies hat das Zuger Kantonsgericht entschieden. Grund dafür sind vier Artikel zur sogenannten Landammann-Affäre vom Dezember 2014. Das Urteil ist für die ganze Medienbranche von Bedeutung.
Die Artikel, die 2014/15 im gedruckten «Blick», in seiner Onlineausgabe und im Gratisblatt «Blick am Abend» veröffentlicht wurden, tragen Titel wie «Sex-Skandal in Zug: Alles begann auf der ‹MS Rigi›» oder «Jolanda ‹Heggli› zeigt ihr ‹Weggli›».
Dem Zuger Kantonsgericht zufolge stellen diese sowie zwei weitere Artikel widerrechtliche Persönlichkeitsverletzungen dar.
Gewinnvorstellungen gingen weit auseinander
Mit dem Entscheid des Zuger Kantonsgerichts hat erstmals ein Schweizer Gericht über die Höhe des Gewinns entschieden, den ein hiesiges Medienhaus mit persönlichkeitsverletzenden Artikeln gemacht haben soll – und der nun Jolanda Spiess-Hegglin als Geschädigter ausgezahlt werden muss.
Wie hoch dieser Gewinn ist, war strittig und wurde nun vom Zuger Kantonsgericht geschätzt. Grundlage für diese Schätzung waren Angaben von Ringier zu Aufrufzahlen, Abos und Auflagehöhen sowie zwei Expertengutachten, die Jolanda Spiess-Hegglin und die «Blick»-Herausgeberin beim Gericht eingereicht hatten.
Die Vorstellungen über die Höhe des Gewinns gingen dabei weit auseinander: Während die frühere Kantonspolitikerin einen Gewinn von 430’000 Franken bei den vier Artikeln ausmachte, belief sich dieser gemäss Ringier auf lediglich rund 4900 Franken.
Ringier wollte geltend machen, dass Spiess-Hegglin die falsche Firma verklagt hat
Obwohl Ringier das erste Urteil des Zuger Kantonsgerichts akzeptiert hatte, wonach mit den vier Artikeln in den «Blick»-Medien die Persönlichkeitsrechte von Spiess-Hegglin verletzt wurden, stellte das Medienhaus vor Gericht den Antrag, den Anspruch auf eine Gewinnherausgabe «vollumfänglich» abzuweisen. Dabei wollte Ringier unter anderem geltend machen, dass Spiess-Hegglin mit der Ringier AG die falsche Firma verklagt habe. Die Herausgeberin des «Blicks» hiess zum Publikationszeitpunkt der Artikel zwar Ringier AG, doch wurde sie später umbenannt zu Ringier Art AG.
Das Gericht wies diese Argumentation zurück. Strittig war folglich nur noch, wie hoch der Gewinn ist, den Ringier mit den vier Artikeln zur Landammann-Feier gemacht hat. Ringier stellte sich auf den Standpunkt, dass für die Berechnung lediglich der «Mehrgewinn» zu bezahlen sei, also jener Gewinn, den das Medienhaus ohne die Publikation der vier Artikel zur Landammann-Affäre nicht gemacht hätte. Dieser habe sich auf etwa 4900 Franken belaufen.
Das Zuger Kantonsgericht sieht dies – mit Verweis auf eine frühere Rechtssprechung des Bundesgerichts – anders: Von einem Gewinn sei bereits dann auszugehen, wenn das bisherige Geschäft erhalten werden könne, das beim «Blick» als Boulevardmedium «primär» in der Unterhaltung der Leserschaft bestehe. Jolanda Spiess-Hegglin habe daher nicht nur Anspruch auf einen allfälligen Mehrgewinn, sondern auf den gesamten Umsatz, der mit den vier Artikeln zu ihr gemacht wurde – abzüglich der Kosten für das Schreiben, Redigieren, Korrigieren und Bebildern der Texte.
So wurde der Gewinn berechnet
Für die Errechnung des Gewinns war die Frage zentral, mit wie viel Werbung die vier persönlichkeitsverletzenden Artikel auf «Blick online» umgeben waren und wie prominent ihre Platzierung in den gedruckten Zeitungen war.
Online seien die Artikel mit jeweils 6–8 Werbungen monetarisiert worden; bei den vier Texten, die insgesamt etwas mehr als 800’000-mal aufgerufen wurden, seien je 1000 Sichtkontakte jeweils 40 Franken von den Werbekunden bezahlt worden, hiess es im Gutachten von Jolanda Spiess-Hegglins Experten. Ringier bestritt dies: Es seien nur drei Werbungen gewesen. Auf den damaligen Werbetarif, der bei 1000 Sichtkontakten sich gemäss öffentlich verfügbarem Ringier-Anzeigetarif in einer Spanne von 35 bis 120 Franken pro Anzeige bewegte, seien «hohe Rabatte» gewährt worden. Belegen wollte oder konnte Ringier diese Aussage nicht.
Daher schloss sich das Zuger Kantonsgericht der Argumentation von Spiess-Hegglins Experten an – und sprach ihr einen Gewinn von rund 200’000 Franken für die Onlineveröffentlichung der vier Artikel zu.
Bei der Errechnung des Gewinns, den Ringier durch die Publikation der Artikel in den gedruckten Ausgaben des «Blicks» und «Blick am Abend» gemacht habe, folgte das Gericht – mit kleineren Korrekturen von Rechnungsfehlern – einem komplexen Modell, das die Experten von Jolanda Spiess-Hegglin eigens für den Gerichtsprozess entwickelt hatten. Dieses Modell sei «nachvollziehbar, überzeugend» und durch Ringier «nicht substanziiert bestritten», heisst es im Urteil des Zuger Kantonsgerichts wiederholt.
So soll Ringier nun insgesamt einen Gewinn von 309’531 Franken an Jolanda Spiess-Hegglin ausbezahlen, plus Zinsen. Das wären nach knapp zehn Jahren gut 500’000 Franken. Hinzu kommt eine Parteientschädigung für Jolanda Spiess-Hegglin.
Jolanda Spiess-Hegglin zeigt sich «glücklich»
Jolanda Spiess-Hegglin zeigt sich «glücklich, dass das Gericht ihrer Argumentation und den Herleitungen ihrer Gutachter gefolgt ist», schreibt die NZZ. «Gerade in einer imageverletzenden Auseinandersetzung mit der Medienbranche ist man froh, dass man sich auf die Schweizer Gerichte als zuverlässige Faktenchecker verlassen kann», sagte sie gegenüber der NZZ.
Die Gewinnherausgabe umfasse lediglich den Betrag, um den sich Ringier bereichert habe, erklärte Jolanda Spiess-Hegglin gegenüber der NZZ weiter. «Es ist keine Entschädigung, kein Schadenersatz. Es ist schlicht und einfach die Herausgabe der illegal erlangten Mittel durch die Publikation von vier persönlichkeitsverletzenden Artikeln», so die ehemalige Zuger Kantonsrätin.
Errechneter Gewinn entbehre «jeglicher faktischen Grundlage»
Die damalige Berichterstattung zur Landammann-Feier von 2014 zähle «nicht zu den publizistischen Sternstunden […] des ‹Blicks›», heisst es in einem Statement von Ringier-Medien-Schweiz-CEO Ladina Heimgartner, mit dem das Medienhaus auf den Entscheid des Zuger Kantonsgericht reagiert. Die Art und Weise, wie vor zehn Jahren über die Ereignisse berichtet wurde, sei Ausdruck eines harten Boulevardstils, den «Blick» längst nicht mehr praktiziere, «und das ist gut so».
Ringier akzeptiere das Urteil, wonach mit den vier «Blick»-Artikeln die Persönlichkeitsrechte von Jolanda Spiess-Hegglin verletzt wurden. Der tatsächlich gemachte Gewinn belaufe sich aber «auf einen kleinen Bruchteil» der von Spiess-Hegglin geforderten Summe, heisst es in Heimgartners Statement.
Das Urteil des Kantonsgerichts ignoriere «weitgehend» die von Ringier offengelegten Geschäftszahlen und das eingereichte Gutachten von PricewaterhouseCoopers und stelle mit einem Gewinn von rund 309’000 Franken ein Ergebnis in den Raum, das «jeglicher faktischen Grundlage» entbehre.
«Hätten wir 2014 (als das Onlinegeschäft noch bei weitem nicht so entwickelt war wie heute) solche Gewinne erzielt, hätten wir heute keine Finanzierungskrise der Medien», heisst es im Statement der Ringier-Medien-Schweiz-CEO.
Das Urteil des Kantonsgerichts gefährde die Pressefreiheit und die Aufgabe der Medien als Vierte Gewalt, schreibt Ladina Heimgartner weiter: «Wenn dem Journalismus derartige ‹Strafzettel› blühen, werden Journalistinnen und Journalisten künftig zweimal überlegen, ob sie dieser Kernaufgabe wirklich konsequent nachkommen wollen.»
Ringier will das Urteil des Zuger Kantonsgerichts nun ans Zuger Obergericht – als zweiter Instanz – weiterziehen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.