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Medienprozess zu Landammann-Affäre
Spiess-Hegglin fordert 640’000 Franken – Ringier bezeichnet das als «fern der Realität» und «ideologisch»

Jolanda Spiess-Hegglin, rechts, erscheint mit ihrem Mann Reto Spiess, links, beim Kantonsgericht Zug vor der Verhandlung gegen Ringier, am Mittwoch, 30. Oktober 2024 vor dem Kantonsgericht in Zug. (KEYSTONE/Til Buergy)
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In Kürze:
  • Ein Gericht bestimmt erstmals den Gewinn aus persönlichkeits­verletzenden Artikeln.
  • Jolanda Spiess-Hegglin fordert von Ringier hohen Schadenersatz für vier Artikel.
  • Ringier bezeichnet die Forderungen als «illusorisch».
  • Das Urteil könnte wegweisend für zukünftige Medienklagen in der Schweiz sein.

Die Anwesenheit von Steffi Buchli, Chief Content Officer Ringier Medien Schweiz, im Gerichtssaal signalisiert, dass es an diesem Vormittag vor dem Zuger Kantonsgericht für das Medienhaus Ringier um einiges geht: Erstmals wird ein Gericht klären müssen, wie hoch der Gewinn ist, den ein Schweizer Medienhaus mit Artikeln gemacht hat, die persönlichkeitsverletzend waren. 

Anlass dafür sind insgesamt vier Artikel, die im Nachgang zur Landammann-Feier vom Dezember 2014 auf «Blick online», im gedruckten «Blick» sowie im Gratismedium «Blick am Abend» erschienen sind. Jolanda Spiess-Hegglin hat Ringier wegen dieser vier Artikel verklagt. Sie tragen Titel wie «Sex-Skandal in Zug: Alles begann auf der ‹MS Rigi›» oder «DNA-Analyse in Zuger Polit-Affäre beweist Kontakt im Intimbereich». 

Dass diese Artikel persönlichkeitsverletzend waren, hat das Zuger Kantonsgericht bereits in einem früheren Urteil festgestellt.  

Die Vorstellungen von Spiess-Hegglin und Ringier über die Höhe des Gewinns aus den vier Artikeln gehen sehr weit auseinander: Während Ringier von lediglich 5000 Franken spricht, kommt ein von Spiess-Hegglin in Auftrag gegebenes Expertengutachten auf 431’527 Franken plus 5 Prozent Zinsen seit dem Erscheinen der Artikel in den Jahren 2014/15, womit Ringier für die vier Artikel insgesamt rund 640’000 Franken bezahlen müsste.

Spiess-Hegglins Team will Formel etablieren

Ein Urteil im Sinne von Jolanda Spiess-Hegglin wäre «verheerend» für die Schweizer Medienlandschaft, teilte Ringier vor der Hauptverhandlung in einem Statement mit. Befürchtet werden «willkürliche und exorbitante Nachahmerklagen gegen Medienunternehmen und Medienschaffende». 

Jolanda Spiess-Hegglin war während des Prozesses anwesend, es sprach aber nur ihre Anwältin Rena Zulauf. Die Anwältin und die Zuger Kantonspolitikerin verfolgen ein prinzipielles Anliegen: Sie wollen mit dem Gerichtsurteil gegen Ringier eine «Formel» etablieren, mit der zukünftige Medienopfer den Gewinn errechnen können – und zwar ohne den Zuzug von Wirtschaftsprüfern und Experten, wie Zulauf betonte. 

Die Formel für Onlinepublikationen sei ganz einfach, sagte Zulauf in ihrem Plädoyer: Die Artikelaufrufe müssten mit der Anzahl der Werbungen und deren Preis multipliziert werden. Daraus resultiere der Erlös. Davon müsse man nur noch die Kosten abziehen – und schon habe man den Gewinn, den ein Medienhaus mit einem einzelnen Artikel gemacht habe. 

Dass es nicht so einfach ist, wurde in Zulaufs 90-minütigem Plädoyer rasch deutlich, als sie den Gewinn des «Folgetraffics» verlangte, der zum Beispiel durch die Erwähnung in Newslettern entstehen könne – und für die Errechnung der Printgewinne eine weitere Formel einbrachte, die ihre Experten entwickelt haben.

Spiess-Hegglin habe falsche Firma verklagt

Ringiers Anwalt Markus Prazeller argumentierte ganz anders – und grundsätzlicher: Jolanda Spiess-Hegglin habe mit der Ringier AG die falsche Firma verklagt. Die Herausgeberin des «Blicks» hiess zum Publikationszeitpunkt der Artikel zwar Ringier AG, doch wurde sie später umbenannt zu Ringier Art AG. Diese hätte Zulauf einklagen müssen, wenn sie den Gewinn hätte herausverlangen wollen. Stattdessen habe Spiess-Hegglin die heutige Ringier AG beklagt, die früher anders hiess und eine andere Gesellschaft ist.

Weil Spiess-Hegglin die falsche Firma verklagt habe, seien ihre Ansprüche zurückzuweisen. Zudem seien sie längst verjährt. 

Trotz dieses grundsätzlichen Einwands, der gemäss Anwältin Rena Zulauf erst spät eingebracht wurde, ging der Vertreter des Medienhauses auf Spiess-Hegglins Klage auf Gewinnherausgabe ein. Spiess-Hegglins Team gehe von viel zu hohen Einnahmen aus, zum Beispiel dem angenommenen Preis von 40 Franken für tausend Seitenaufrufe für Onlinewerbung, dies sei «fern der Realität». Der Verband Schweizer Medien gehe von etwa 7 Franken aus. Bei Ringier seien lediglich 4 Franken für tausend Seitenaufrufe realistisch. Insgesamt gebe es in Spiess-Hegglins Expertengutachten 74 Annahmen, die «ohne Grundlage» seien. 

Welche Kosten können in Abzug gebracht werden? 

Die beiden Streitparteien schonten sich in der Hauptverhandlung nicht mit Vorwürfen: «Rechtsmissbräuchlich» sei es, wenn Ringier so spät im Verfahren darauf poche, dass Spiess-Hegglin die falsche Firma verklagt habe, meinte Anwältin Zulauf. Die Gegenseite konterte: Spiess-Hegglins Expertengutachten sei «ideologisch», weil der frühere «Watson»- und «20 Minuten»-Chefredaktor Hansi Voigt daran mitgewirkt habe. Voigt stehe der Klägerin sehr nahe, weil er der Präsident ihres Vereins Netzcourage sei.

Anwaltsmanöver konnten aber nicht vom eigentlichen Streitpunkt zwischen den Parteien ablenken: dem Gewinn eines Artikels und den Kosten, welche ein Medienhaus davon abziehen kann.

Spiess-Hegglins Anwältin beruft sich auf das Bundesgericht und zieht nur die direkten Kosten ab. Dazu gehören die Lohnkosten des jeweiligen Journalisten von etwas mehr als 500 Franken pro Tag, die Kosten für Fotos, das Layout und das Korrektorat. Weitere Kosten wie Maschinen-, Wartungs-, Gebäude- und Personalkosten seien nicht in Abzug zu bringen.

Dies kritisierte der Ringier-Anwalt scharf: Die Gewinnvorstellungen von Spiess-Hegglins Experten seien «illusorisch». Wenn man ihrem Gutachten folgen würde, komme man allein bei «Blick online» auf einen Gewinn von über 200 Millionen Franken pro Jahr. De facto betrage der gesamte Gewinn der Ringier-Gruppe im Jahr 2014 gut 21 Millionen Franken.

Das Urteil wird den Streitparteien schriftlich mitgeteilt. Erst dann wird sich zeigen, ob die Formel von Jolanda Spiess-Hegglins Experten vom Gericht akzeptiert wird. Und ob das Urteil tatsächlich eine einschneidende Wirkung im Schweizer Journalismus haben kann.