Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Haute Couture-Shows in Paris
Läuft wieder!

Models tragen Haut-Couture-Kreationen für Herbst/Winter 2021-2022 an der Show von Dior am 5. Juli in Paris. 
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Corona hat die Schauen die letzten 18 Monate weitgehend lahmgelegt beziehungsweise von ihrem Lieblingsspielplatz – grosse Bühne, grosses Drama, grosses Alles – auf den kleinen Bildschirm verbannt. Die letzten Monate hat man sich die neue Realität schöngeredet, das Schauensystem war ja ohnehin überholt, die Zukunft ist digital!

Aber wen interessiert das Geschwätz von gestern, wenn endlich wieder was los ist in der Mode und die ersten Häuser Live-Schauen mit echtem Publikum präsentieren?

In Sachen Aufmerksamkeitswert, also Einschaltquote auf Social Media, ist das ach so gestrige Format nämlich dummerweise immer noch unschlagbar. Geradezu besoffen vor Glück fand sich die Branche also am vergangenen Sonntag in Paris im Schoss der Familie ein.

Anna Wintour in Blumenkleid, gesichtet an der Fashion-Week in der Nähe von Balenciaga in Paris. 
Auch Lewis Hamilton ist mit von der Mode-Partie und besucht die Fashion-Week in Paris.

Anna Wintour sass zum ersten Mal wieder in der ersten Reihe und busselte ihre immer weniger werdenden europäischen Vogue-Kollegen. Lewis Hamilton und Jessica Chastain kamen, Kanye West trug einen bedruckten Stoffsack über dem Kopf. Es gab Menschenaufläufe, Fotografengeschrei, glamouröse Dinnerpartys auf dem Dach des Centre Pompidou. Alles wie früher!

Couture-Revival

Und dazu kam: Bei dieser ersten richtigen Wiederaufführung - netter Zug des Corona-Wellen-Zyklus - wurde nicht einfach bloss Prêt-à-porter gespielt, sondern Haute Couture gegeben. Bekanntlich der ganz grosse Faltenwurf. Die höchste Schneiderkunst, das Teuerste vom Teuersten. Modisch allerdings auch gähnend langweilig. So hiess es jedenfalls eine ganze Weile.

Die Couture wurde schon so oft zu Grabe getragen, dass man damit ein ganzes Bestattungsunternehmen unterhalten konnte. So wirklich schliessen liess sich der Sargdeckel aber nie, und die letzten Jahre wurde immer häufiger von einem Revival geredet. Chanel-CEO Bruno Pavlovsky verriet einmal, dass allein 2014 das Geschäft um 20 Prozent gewachsen und das Atelier komplett ausgebucht sei.

Längst bei der jungen Generation angekommen: Billie Eilish im baggy Chanel-Anzug bei den Oscars 2020.

«Wir haben auch jetzt wieder so viele vielversprechende Anfragen, dass wir bald wieder Vor-Corona-Niveau erreichen sollten», sagt Pavlovsky. Die Kunden seien heute jünger, globaler, diverser, der grösste Zuwachs kommt, wenig überraschend, aus Asien. Von Armani heisst es sogar, selbst während der Pandemie habe man keine Einbussen gehabt. Denn wenn die Kundin nicht zum Berg aus Seidengaze kommen kann, dann muss der eben zu ihr kommen.

Die Schneiderinnen reisten für die Anproben teilweise zu den Kundinnen nach Hause. Chanel flog die Kollektion nach New York, Tokio, Hongkong. Termine wurden sogar per Video gemacht, sagt Pavlovksy. Genäht wird am Ende aber natürlich immer noch komplett von Hand, in Paris. Studios müssen ausserdem ein mindestens 15-köpfiges festes Team haben, auch das eine Vorgabe der «Fédération», des Berufsverbands, der über den heiligen Couture-Gral wacht.

Das Atelier als Gegenpol zur industriellen Produktion.

Kleider für sechsstellige Beträge? Mais oui!Zu haben ist der Spass kaum unter 20’000 Franken. Dior-Hochzeitskleider können sogar an der Eine-Million-Marke kratzen. Wofür ernsthaft solche Summen ausgeben? «Für das wirklich Besondere», sagt Balenciaga-Designer Demna Gvasalia ein paar Tage vor seinem Couture-Debut am Telefon in seinem Wohnort nahe Zürich.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

In der modernen Warenwelt gebe es alles nur zwei Klicks weit entfernt, jeder hat Zugang zu allem. «Die Mode ist zu einer Cashcow geworden, mit der du auf einfache Art viel Geld machen kannst, mit T-Shirts und Sneakern.» An dieser Stelle muss der 40-Jährige natürlich selbst kurz lachen. Denn wer hat's erfunden? «Natürlich, im Luxuskontext bin zu einem grossen Teil ich dafür verantwortlich», sagt Gvasalia. «Aber es ist nicht das, worum es in der Mode eigentlich geht, jedenfalls nicht für mich.»

Die Couture sei nicht überholt, sondern wichtiger denn je. «Für das Überleben und die Entwicklung des modernen Modedesigns.» Das Atelier als Gegenpol zur industriellen Produktion, als Labor und kreative Spielwiese ohne wirtschaftliche Grenzen.

Das Reiben der Jeans, das leiste Knistern der bestickten Teile, das Rauschen der Mäntel, so gross wie Drei-Mann-Wurfzelte.

Seine Chefs haben ihm deshalb erfahrene Hände von den anderen Couturehäusern abgeworben. Gvasalia hat aber, wie er erzählt, auch mit jungen Leuten aus dem eigenen Team gearbeitet, um für einen neuen, zeitgemässeren Look zu sorgen. Dass der keine Gendernormen mehr kennt, sei für ihn selbstverständlich. «Ich will hier meine eigene Vision der Couture abgeben.»

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Die sieht jetzt also so aus: Anzüge mit kastiger Schulterpartie, tatsächlich Jeans und ein Hoodie mit BB-Stickereien. Diese ersten Looks seiner Präsentation sind klassisches Gvasalia-Vokabular, nur eben alles handgemacht und aus anderen Materialien. Kaschmir, Seidenchiffon, die Nieten sind aus echtem Silber, die Knöpfe aus Marmor. Dazu futuristische Hüte wie Lampenschirme, ein Tribut an Balenciagas ausladende Kreationen, aber in Hardcore cool.

So üppig bestickt, dass es scheppert

Dann dreht der Georgier die Lautstärke immer weiter auf, was durchaus wörtlich zu verstehen ist, obwohl in der Show – wie früher – keine Musik läuft. Das ist für das Publikum erst mal ein kurzer Schock, weil man plötzlich jedes Hüsteln hört, aber eben auch den Sound der Kleider.

Das Reiben der Jeans, das leiste Knistern der bestickten Teile, das Rauschen der Mäntel, so gross wie Drei-Mann-Wurfzelte. Teilweise sind es moderne Interpretationen des Meisters, etwa ein silbernes Jacquardkleid, das sich im hinteren Teil als massgeschneiderte schwarze Hose entpuppt. Bei diesem Trompe-l'Œil-Effekt entfährt den Gästen lautes Entzücken in verschiedensten Sprachen.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Gvasalia fängt stets mit der Silhouette an, jeder Kragen, jeder Faltenwurf am Trenchcoat – nichts passiert hier zufällig. Das Londoner V&A-Museum hat einmal Entwürfe von Cristóbal Balenciaga geröntgt, um die verborgenen Strukturen und kleinen Gewichte in den Kleidern offenzulegen. «Genau darum geht es in der Couture», sagt Gvasalia. «Um das, was du nicht siehst, sondern nur beim Tragen spürst.»

Das Schwierigste sei für ihn deshalb ein Couture-T-Shirt gewesen. Dessen potenzieller Käufer wird dann feststellen, dass der Seidenjersey gefüttert und von Hand gesäumt ist. Die Kundin für das von der Berliner Kunstsammlerin Karen Boros präsentierte Top – übliche Models sind nicht Gvasalias Ding – wird sich wie in einem magischen Trichter fühlen, der einfach immer aufrecht steht.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Und die Trägerin des schulterfreien schwarzen Abendkleides wird hoffentlich wissen, dass die glitzernden Stickereien nur für sie in 500 Stunden per Hand angenäht wurden. Um anschliessend wieder ein bisschen zerstört zu werden. Natürlich auch von Hand.

Couture soll auf die Strasse

Das ist nicht die klassische Couture mit Schleifen und Rüschen, die die Welt sonst so im Kopf hat. Genau deshalb überschlagen sich die Reaktionen direkt nach der Show und auf Social Media vor Begeisterung.

Chanel-Models im Palais Galliera, natürlich auch dieses Jahr in Tweed … 
… aber auch bauchfrei. Die kurzen Tops: gerade überall auf der Strasse zu sehen. 

Tatsächlich versuchen aber auch die anderen Häuser, ihre höchste Kunst immer mehr in die Realität zu transportieren. Chanel zeigt bauchfreie Tops unter den Tweedkostümen, Hängerchen mit Hosen darunter.

«Daywear macht mittlerweile die Hälfte unseres Couture-Geschäfts aus», sagt Bruno Pavlosvky. Das Gleiche darf man von Dior annehmen, wo die perfekt geschnittenen Jacketts von Maria Grazia Chiuri jetzt teilweise mit Matrosenkragen versehen sind und mit festem Schuhwerk präsentiert werden. Die Kleider zum Träumen mit langer Schleppe gibt es zum Schluss natürlich auch noch.

Die langen Kleider der italienischen Designerin Maria Grazia Chiuri, präsentiert am 5. Juli 2021 in Paris.  

Auch bei Alaïa geht es betont jung und sexy zu. Das Debüt des neuen Designers Pieter Mulier, lange die rechte Hand von Raf Simons, findet exakt vier Jahre nach der letzten Show des 2017 verstorbenen grossen Azzedine Alaïa statt. Das Freiluftszenario auf der abgesperrten Rue Moussy vor dem Atelier ist nicht nur Corona geschuldet, sondern auch metaphorisch gemeint. Couture soll mehr auf die Strasse.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Das Schöne im Vergleich zur Prêt-à-porter: Hier sitzen in den Reihen tatsächlich viele Kundinnen. Bei Armani hat eine Dame aus Litauen Tränen in den Augen, als der 87-Jährige nach der Show in der italienischen Botschaft auf den Laufsteg tritt. «Er ist einfach, einfach …» – ihr fehlen die Worte. «Armani!» Besser kann man es in Anbetracht der wie angegossen sitzenden Hosen wahrscheinlich nicht ausdrücken.

Die italienische Botschaft in Paris als Laufsteg für die Haute-Couture-Show von Giorgio Armani am 6. Juli 2021.
Ein Model in Armani, italienische Botschaft in Paris, 6. Juli 2021. 

Besonders gute Kunden bekommen gleich am nächsten Tag die ersten Termine im Atelier. Bei Chanel sind das viele Frauen mit einem «de» im Nachnamen, die sich im Handy Notizen machen. Geld spielt hier, offensichtlich, keine Rolle, nur der perfekte Sitz und das Wissen, dass dieses eine Teil ein absolutes Unikat ist.

Wobei auch hier leicht modernisiert wird: Bei Chanel geben sie zu, die Nachfrage sei mittlerweile so gross, dass auch mal ein zweites Stück des gleichen Entwurfs angefertigt werde. Wenn die Kundinnen damit einverstanden sind und garantiert nicht in den selben gesellschaftlichen Zirkeln verkehren.