Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Verluderung im Homeoffice?
«Hauptsache, der sichtbare Teil in der Videokonferenz ist repräsentabel»

Oben hui, unten pfui: Auf Dauer ist das nichts. 
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Am Anfang der Pandemie war es noch aufregend, sich unbemerkt in der Pyjamahose in die Videokonferenz zu setzen, es fühlte sich fast ein bisschen anarchisch an. Doch nach all den Monaten im Home-Office ist so mancher oder so manche die Gemütlichkeit leid.

Vielleicht wäre es an der Zeit, mal wieder die Bluse oder das Hemd aus dem Schrank zu holen. Wie hat sich innerhalb eines Jahres die Einstellung der Heimarbeiter zu ihrer Kleidung gewandelt?

Antonella Giannone, Professorin für Modesoziologie an der Weissensee-Kunsthochschule Berlin, hat an ihren eigenen Söhnen beobachtet: Es tut sich was.

Frau Giannone, die Jogginghose war im Home-Office für viele das Outfit der Wahl. Mittlerweile scheint bei manchen Menschen aber das Bedürfnis nach Kleidung zu wachsen, die ihren Namen verdient hat.

Durchaus. Am Anfang dachten die meisten ja, sie könnten zu Hause irgendwie weiterarbeiten – im Hausanzug, in der Yogahose, in dem, was sie gerade trugen. Inzwischen wählen, so ist mein Eindruck, mehr Menschen wieder bewusst ein Outfit, das im Kontext zu ihrer Arbeit steht. Einerseits, um sich in der häuslichen Umgebung der eigenen beruflichen Rolle anzunähern. Aber auch, um die körperliche Präsenz zu verstärken und zu kompensieren, dass man nur auf dem Bildschirm sichtbar ist. Der Gedanke «Ich bleibe zu Hause, also im Pyjama» ist einer neuen Haltung gewichen.

Woran machen Sie das fest?

Aus Gesprächen mit Freundinnen und Kolleginnen weiss ich, dass alle unterschiedliche Erfahrungen machen. Doch von der Vorstellung, das Arbeitsleben im Schlafanzug weiterzuführen, haben sich die meisten längst getrennt. Ich merke es auch an meinen Kindern: In den ersten Monaten haben sie sich für die Videokonferenzen meistens kurz irgendwas über den Pyjama geworfen oder sind in die Jogginghose geschlüpft. Sie haben das Homelearning als Notsituation erlebt, deren Regeln erst noch erfunden werden mussten. Mittlerweile ziehen sie sich wieder eine Jeans an, kämmen sich auch mal die Haare oder putzen ihre Brille ordentlich, bevor sie am Unterricht oder an Diskussionen teilnehmen.

Vielleicht auch, weil sie befürchten, dass sich das dauerhafte Tragen einer Jogginghose negativ auf die Arbeitsmoral auswirkt?

Ich denke nicht, dass wir im Home-Office fauler oder demotivierter werden, nur weil wir Jogginghose tragen. Ich habe vielmehr den Eindruck, dass wir mehr als sonst arbeiten, weil es keine Unterschiede mehr gibt zwischen Büro und Heim. Wir stellen unsere Räume zur Verfügung – nicht nur die eigenen vier Wände, auch die geistigen Räume. Die Sphären verschwimmen, umso mehr, wenn wir für jede Tätigkeit das Gleiche tragen. Diese Überschneidung hat übrigens auch dazu geführt, dass wir uns bewusster kleiden.

Antonella Giannone ist Professorin für Modesoziologie an der Weissensee-Kunsthochschule in Berlin und trägt gerne Röcke mit Gummizug, würde aber die Mode niemals unterschätzen. 

Inwiefern?

Wir denken wieder mehr über die soziale und kulturelle Aussenwirkung unserer Kleidung nach. So werden wir der Herausforderung gerecht, dass in unserem Zuhause gerade alles gleichzeitig stattfindet. Vor der Home-Office-Zeit konnten wir auf bewährte Outfits zurückgreifen, ohne gross zu überlegen. Wir verliessen uns auf unser implizites Wissen, was man an welchem Ort oder zu welchem Anlass trägt. Seit wir zu Hause zugleich wohnen, kochen, arbeiten und uns präsentieren müssen, fragen wir uns: Kann ich mich so zeigen? Kann ich in der gemütlichen Hose, in der ich das Frühstück mache, auch arbeiten, kann ich damit zwischendurch um die Ecke mein Mittagessen holen, kann ich vollkommen ungeschminkt an der Videokonferenz teilnehmen? Da wird mehr reflektiert, und das ist gut.

Sie meinen, die Leute sollten sich gerade zu Hause genauer überlegen, was sie tragen?

Wir tendieren dazu, die Bedeutung von Kleidung generell zu unterschätzen, manche halten solche Überlegungen gar für frivol, doch das sind sie keineswegs. Nehmen Sie Umberto Eco.

«Je nachdem, ob wir Schuhe mit Absätzen oder enge Hosen tragen, bestimmt sie, wie wir gehen oder sitzen.»

Was hat er mit Mode zu tun?

Von ihm stammt der Aufsatz «Il pensiero lombare» («Das Lendendenken»), er ist im Buch «Über Gott und die Welt» erschienen. In den Siebzigern, als die Männer anfingen, Jeans ins Büro anzuziehen, stellte er fest, dass er darin plötzlich seine Lenden spüren konnte, was etwa in Anzughosen nicht der Fall war. Die Jeans machte ihm also seinen Körper bewusst – ein schönes Beispiel, wie Kleidung nicht nur die Wahrnehmung von aussen prägt. Sondern auch die innere: Sie beeinflusst, wie wir die Umgebung erfahren und uns in einem Raum bewegen. Je nachdem, ob wir Schuhe mit Absätzen oder enge Hosen tragen, bestimmt sie, wie wir gehen oder sitzen. Auch dass wir auf der Strasse mehrere Schichten tragen, liegt nicht nur an den Temperaturen. Sondern daran, dass wir uns in der Aussenwelt anders bewegen als drinnen.

Eine nicht repräsentative Befragung unter Kollegen hat ergeben, dass einige in den vergangenen Monaten für Videokonferenzen die Methode «oben hui, unten pfui» praktiziert haben – also die Kombination Bluse oder Hemd zu Jogginghose.

Da sehen Sie, wie wichtig die soziale Komponente der Kleidung ist, selbst wenn wir uns nur über Computerschirme miteinander austauschen: Hauptsache, der sichtbare Teil in der Videokonferenz ist repräsentabel. Was nicht zur Geltung kommt, wird vernachlässigt. Dahinter steckt Bequemlichkeit, aber auch eine gewisse Form der Selbstdisziplin.

Wie halten Sie es mit dem Home-Office-Look, was hat sich bei Ihnen im Umgang mit Kleidung verändert?

Ich stelle fest, dass es mir inzwischen schwerfällt, einen Mantel oder eine Jacke zu tragen, wenn ich rausgehe – da muss ich mich überwinden. Vor der Pandemie habe ich dieses ständige An- und Ausziehen gar nicht infrage gestellt. Ansonsten sitze ich weder im Pyjama am Laptop, noch habe ich in Jogginghosen oder anderen Kombinationen eine Vorlesung gehalten. Ich trage jedoch fast immer Röcke mit einem elastischen Band, damit fühle ich mich gut.

«Natürlich bedeutet Kleidung trotz allem eine Art ästhetischen Genuss.»

Dennoch sind Sie zuversichtlich, dass wir langfristig nicht der Verschlumpelung anheimfallen?

Da habe ich keine Bedenken. Es gibt genügend Menschen, die auch zu Hause versuchen, den Kontakt zur ästhetischen Dimension aufrechtzuerhalten, selbst wenn die Kriterien sicherlich neu definiert und angepasst werden. Natürlich bedeutet Kleidung trotz allem eine Art ästhetischen Genuss. Daher spielen Farbe und Haptik eine Rolle, ebenso der Schnitt, der bestimmt, wie Kleidung den Körper formt. Das alles zeigt, wie vielschichtig Kleidung ist: Sie sorgt dafür, dass wir uns in Gegenwart anderer wohlfühlen, indem wir uns zum Ausdruck bringen.

Hätten Sie vielleicht noch eine Empfehlung, wie man auch ohne Anzug oder Kostüm im Videocall einen guten Eindruck macht?

Mit Schwarz liegt man nie daneben. Es hat eine gewisse Eleganz und verleiht jedem Outfit einen Uniformcharakter, also eine angemessene Arbeitskomponente. In einer Bluse, einem Hemd oder Rollkragenpullover in Schwarz kann man nichts falsch machen.