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Präsident Selenski in Washington
Lässt Joe Biden die Ukraine hängen?

Kiew demonstriert Kampfbereitschaft, auch dank US-Hilfe: Militärparade zum Tag der Unabhängigkeit am 24. August in Kiew. 
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Donald Trump war kein Freund der Ukraine. «Das sind schreckliche Leute», sagte er laut «New York Times» über ukrainische Politiker. «Die sind alle korrupt. Die haben versucht, mich fertigzumachen.» Zudem galt Trump als Männerfreund des russischen Präsidenten Wladimir Putin, dem Erzfeind der einstigen Sowjetrepublik.

Die Ukrainer hatten sich deshalb sehr gefreut, als mit Joe Biden in Washington ein Mann übernahm, der das Land mehrfach bereist hat und sich als gerne als «Freund der Ukraine» bezeichnete. Der neue US-Präsident werde helfen, den von Russland unterstützten Krieg in der Ostukraine und die Okkupation der Krim zu beenden, erklärte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski nach Bidens Wahl begeistert.

Ein warmer Händedruck und ein schönes Foto

Doch sieben Monate nach Amtsantritt ist die Stimmung nicht mehr so euphorisch. Wenn Selenski heute Mittwoch erstmals mit Biden zusammen trifft, dürfte er einen warmen Händedruck und ein schönes Erinnerungsfoto bekommen, wohl aber nicht viel mehr. Und zwar nicht nur, weil der US-Präsident mit den Folgen der Corona-Krise in den USA und mit dem Abzug aus Afghanistan gerade ganz andere Sorgen hat. Biden hat seit dem Wahlkampf, als er der Ukraine noch die Treue schwor, seine politischen Prioritäten neu geordnet – und die Ukraine gehört offensichtlich nicht mehr dazu.

Diese Neuorientierung hat sich schon abgezeichnet beim Gipfel mit Putin in Genf, wo die okkupierte Krim und der von Moskau unterstützte Krieg in der Ostukraine nicht zu den Kernthemen gehörten. Biden will ganz offensichtlich jede Konfrontation mit Moskau vermeiden, wann immer dies überhaupt möglich ist – auch auf Kosten der Ukraine.

Hoffte, mit Bidens Hilfe den Krieg zu beenden: Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski bei einem Besuch an der Front. 

Unmissverständlich klar machte Biden das letzten Monat, als er den amerikanischen Widerstand gegen die umstrittene russische Pipeline Nord Stream 2 aufgab, gegen die Trump Sanktionen verhängt hatte. Biden handelte eine Vereinbarung direkt mit Deutschland aus, ohne Kiew auch nur zu konsultieren. Stattdessen haben offenbar US-Berater klargemacht, dass Washington aus der Ukraine keine öffentliche Kritik an dem Deal hören wolle.

Das Projekt Nord Stream 2 ist purer politischer Sprengstoff: Die Pipeline führt russisches Erdgas unter der baltischen See hindurch direkt nach Deutschland. Damit wird die bisherige Transitroute durch die Ukraine über kurz oder lang überflüssig. Und das verarmte Land verliert damit Milliarden Franken an Transitgebühren. Biden hat von Berlin finanzielle Zusagen zugunsten der Ukraine verlangt. Die Zahlungen sind grosszügig, werden die Verluste jedoch bei weitem nicht aufwiegen. Zudem verliert die Ukraine ohne Pipeline gegenüber Russland an Gewicht und für Europa an Bedeutung.

Haben den Streit um Nord Stream 2 unter sich gelöst: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zu Besuch bei Joe Biden in Washington. 

Dabei hatte sich Biden als Vizepräsident unter Barack Obama als engagierter Fürsprecher der Ukraine hervorgetan, versprach Hilfe gegen Russlands Aggression und besuchte das Land von 2009 bis 2017 sechsmal. Bei seinem letzten Besuch in Kiew startete er vor dem ukrainischen Parlament einen dramatischen Appell, das Land müsse endlich entschieden und ehrlich gegen die grassierende Korruption vorgehen, wenn es eine Zukunft haben wolle. Das, was seither passiert ist in Sachen Korruptionsbekämpfung, scheint Biden nun nicht zu überzeugen.

Selenski verspricht dem mächtigen Mann aus Washington eilfertig, belastendes Material gegen Hunter Biden aufzutreiben.

Vielleicht spielen aber auch persönliche Animositäten gegenüber Selenski eine Rolle, der von Trump aufgefordert worden war, belastendes Material gegen Bidens Sohn Hunter aufzutreiben, der in der Ukraine Geschäfte machte. Trump setzte zeitweise die Militärhilfe an die Ukraine aus, um Druck auf Selenski aufzubauen, was Trump ein Impeachment-Verfahren eintrug. Und auch Selenski kam nicht unbeschadet aus der Affäre, ist doch in veröffentlichten Telefongespräch zu hören, wie er gegenüber Trump Verständnis äussert und dem mächtigen Mann aus Washington eilfertig verspricht, belastendes Material gegen Hunter Biden aufzutreiben.

Trump lieferte Javelin-Panzer-Abwehrwaffen

Die Ukraine erhoffte sich von Washington und von Biden insbesondere mehr Militärhilfe gegen Russland. Von Waffenlieferungen für den Krieg in der Ostukraine, dem bereits mehr als 13’000 Menschen zum Opfer gefallen sind, wollte Biden allerdings schon als Vizepräsident unter Obama nichts wissen. Erst Trump, der grosse Ukraine-Kritiker, hat damit begonnen, Javelin-Panzer-Abwehrwaffen an Kiew zu liefern.

Und das ist vielen ukrainischen Politikern nicht genug. Es wäre logisch, der Ukraine die gleiche militärische und wirtschaftliche Unterstützung zukommen zu lassen wie der Regierung in Afghanistan, sagte ein Berater Selenskis der «Financial Times». Kiew brauche «Dutzende Milliarden von Dollar an Hilfe» im Kampf gegen Russland, das müsse Washington einfach begreifen.

In Moskau zog man derweil in Zusammenhang mit Afghanistan ganz andere Parallelen: Biden werde die Ukraine genauso aufgeben, wie er die Regierung in Kabul habe fallen lassen, prophezeit der mächtige Ex-Geheimdienstchef und Putin-Alliierte Nikolai Patruschew.