Starmer feiert Labour-Triumph«Die Sonne der Hoffnung scheint wieder in Grossbritannien»
Die Partei des neuen Premiers Keir Starmer erringt einen historischen Sieg bei der Parlamentswahl. Vorgänger Rishi Sunak von den Tories sagt, die Enttäuschung und der Zorn der Briten seien vollkommen begreiflich.
Kurz nach 4 Uhr morgens am Freitag gab sich Rishi Sunak geschlagen. Er habe, erklärte der Tory-Premier, dem Labour-Vorsitzenden Sir Keir Starmer zum Sieg bei den Unterhauswahlen gratuliert. Zu diesem Zeitpunkt wusste jedermann im Vereinigten Königreich, dass Labour die Wahlen nicht nur gewonnen, sondern sich eine geradezu überwältigende Mehrheit – fast eine Zweidrittelmehrheit – im House of Commons verschafft hatte.
Als im Laufe des Nachmittags zum Endergebnis nur noch zwei Sitze fehlten, kam Starmers Partei auf 412 der 650 Unterhaussitze. Sie verdoppelte damit praktisch die Zahl ihrer Mandate von 2019, vom letzten Mal. (Lesen Sie auch unseren Newsticker zur Wahl in Grossbritannien.)
Die Tories, die 2019 noch auf 365 Sitze gekommen waren, rutschten in dieser Nacht auf 121 ab. Das sei «ein katastrophales Resultat», stöhnte der frühere Parteichef William Hague. Tatsächlich war es das schlechteste Wahlergebnis der Tories seit ihrer Gründung im 19. Jahrhundert. Von einer «echten Implosion», von einem «Albtraum» sprachen andere Konservative entsetzt.
Wahlsystem ermöglicht historischen Labour-Sieg
Nicht dass der Stimmenanteil der beiden grossen Parteien ein solches Sitzverhältnis proporzmässig rechtfertigte. Während die Tories auf 24 Prozent kamen, erzielte Labour «nur» 34 Prozent – gerade 2 Prozentpunkte mehr als vor fünf Jahren noch. Aber das eigentümliche britische Mehrheitswahlrecht, das in jedem Wahlkreis ganz einfach den Kandidaten mit den meisten Stimmen zum Gewinner erklärt, erlaubte es der Partei der linken Mitte, einen «historischen Triumph» zu feiern. Den Konservativen waren überall im Land ihre früheren Wähler davongelaufen: einige zu Labour, viele zu den Liberaldemokraten und noch mehr zu den Rechtspopulisten, zu Nigel Farages Partei.
Für Labour-Chef Starmer signalisierte Sunaks frühe Kapitulation, dass sich die Labour Party ihres Siegs endlich sicher sein konnte und er ein Lächeln wagen durfte in dieser Nacht. In der bunt ausgeleuchteten Turbinenhalle der Tate Modern trat er, noch bevor es von Big Ben 5 Uhr schlug, vor seine ausgelassen feiernden Anhänger und Mitstreiter. «Die Sonne der Hoffnung scheint endlich wieder in Grossbritannien», verkündete er.
Starmer verhiess der Insel «ein Zeitalter nationaler Erneuerung», weil Labour sofort damit beginnen werde, «unser Land wiederaufzubauen». Zugleich warnte er aber auch, dass das nicht leicht sein werde. Aber zumindest sei mit dem Wahlausgang «endlich ein enormes Gewicht, eine echte Bürde von uns genommen worden». Für ihn persönlich traf das auf jeden Fall zu.
Währenddessen musste Sunak in seinem Wahlkreis in Nord-Yorkshire eingestehen, dass dies «eine schwere Nacht» war für ihn und seine Partei. Sein eigenes Unterhausmandat hatte er zwar – anders als viele seiner Minister und Ministerinnen – retten können. Aber seine Mitbürger hätten «ein ernüchterndes Urteil gesprochen», für das er Verantwortung übernehme.
Sechs Stunden später, vor der berühmten schwarzen Tür von 10 Downing Street, war er gezwungen, gleich noch einmal zu bekräftigen, «wie leid» es ihm tue, alle Welt enttäuscht zu haben. «Ihr Zorn, Ihre Enttäuschung sind mir vollkommen begreiflich», wandte er sich anlässlich seines offiziellen Abschieds von der Regierungszentrale an die Briten. «Ich habe alles gegeben, aber Sie haben mir klargemacht, dass für die Regierung des Vereinigten Königreichs ein Wandel gebraucht wird. Und Ihr Urteil ist schliesslich das einzige, das zählt.»
Regierungsübergabe bei König Charles III.
Sehr zivilisiert, ganz britischen Regeln entsprechend, klang das, nach all den harschen Worten des Wahlkampfs. Seinen Bezwinger pries Sunak als einen «ganz und gar anständigen Menschen, dem das öffentliche Wohl am Herzen liegt und den ich respektiere». Danach fuhren die Sunaks in den Buckingham-Palast, wo Sunak König Charles III. sein Rücktrittsgesuch überreichte.
Das Ritual der Regierungsübergabe kennen und akzeptieren alle. Es ist ebenso rapide wie unerbittlich, wo es um die Ablösung geht. Um zu demonstrieren, dass Macht nur eine Art Leihgabe der Wähler ist, wird die Übergabe der Regierungsverantwortung sozusagen im Handumdrehen vollzogen. Nach der Verabschiedung Sunaks empfing King Charles prompt den neuen Premier.
Derweil begannen die kleineren Parteien ihre Ergebnisse in Augenschein zu nehmen. Grosse Freude herrschte bei den Liberaldemokraten, die mit 71 Sitzen das beste Ergebnis ihrer Geschichte erzielten. Sie waren bei den letzten Wahlen nur auf 11 Sitze gekommen. Die Grünen erhöhten ihre Sitzzahl auf 4.
Ebenso vier Mandate erhielt Nigel Farages Partei Reform UK, die Partei der Rechtspopulisten – obwohl sie landesweit auf 14 Prozent der Stimmen kam. Farage selbst schaffte es im Seebad Clacton bei seinem achten Anlauf erstmals ins House of Commons, wo er sich und seiner Sache nun «gebührend Beachtung» verschaffen will. Denn laut Farage war diese Unterhauswahl «nur der erste Schritt» auf dem Weg zu einer späteren Übernahme der Regierung.
Schottische Nationalpartei stürzt ab
Zu einer echten Katastrophe wurden die Wahlen ausser für die Konservativen auch für die Schottische Nationalpartei (SNP). Sie stürzte von 48 Unterhaussitzen auf 9 ab. Total deprimiert stellte SNP-Chef John Swinney fest, dass die jüngsten schweren Krisen in seiner Partei – mit einem zweifachen Führungswechsel – die SNP und damit auch die schottische Unabhängigkeitsbewegung weit zurückgeworfen hätten.
Die Labour Party jubelte darüber, dass sie nun erstmals wieder stärkste Partei ist in Schottland – und sich den Briten präsentieren kann als «die Partei, die Grossbritannien zusammenhält». Entsprechend viele schottische und walisische Fähnchen mischten sich denn auch mit den britischen, als Keir Starmer zusammen mit seiner leuchtend rot gekleideten Frau Victoria nach der Visite im Buckingham-Palast zum Amtsantritt in die Downing Street kam.
«Wir werden zeigen, dass Politik eine Kraft zum Guten sein kann», versprach der neue Premier den Britinnen und Briten. Und wie es das Glück wollte, öffnete sich just da der Himmel für ein paar zögernde Sonnenstrahlen, während Rishi Sunak zuvor noch mit grauem Nieselwetter zu kämpfen hatte. Zufrieden klappten die Labour-Aktivisten ihre Union-Jack-Schirme zu, als das lange Warten vorbei war und sich die Tür für die Starmers öffnete zu No 10.
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