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Ukrainischer Vorstoss nach Kursk
76’000 Menschen evakuiert – Russland gelingt es nicht, den ukrainischen Vormarsch zu stoppen

A burned car is seen in front of an apartment building damaged after shelling by the Ukrainian side in Kursk, Russia, Sunday, Aug. 11, 2024. (AP Photo)
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Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat sich am Wochenende erstmals zu den Vorstössen ukrainischer Truppen in die russische Region Kursk geäussert. Der Oberbefehlshaber Olexander Sirski habe ihn über «unsere Massnahmen, den Krieg auf das Territorium des Aggressors zu verschieben», informiert, sagte Selenski.

«Die Ukraine beweist, dass sie wirklich weiss, wie Gerechtigkeit wiederhergestellt wird, und dass sie genau die Art von Druck ausüben kann, die nötig ist – Druck auf den Aggressor.» Selenskis Berater Michailo Podoljak hatte vergangene Woche bereits gesagt, es ginge auch darum, Kiew Position bei möglichen Friedensverhandlungen zu verbessern. (Lesen Sie die Analyse zum ukrainischen Vorstoss nach Kursk «Die Offensive der Ukraine auf russischem Gebiet verändert die Dynamik des Krieges»).

Die Gefechte dauern an

So vage wie diese Aussagen sind nach wie vor die Informationen über die Lage in der russischen Grenzregion. Sicher ist, dass es der russischen Armee bislang nicht gelungen ist, den ukrainischen Vorstoss zu stoppen oder zurückzudrängen. So berichten viele der oft gut informierten und nicht immer streng kremltreuen Militärblogger von anhaltenden Gefechten am Wochenende.

In this pool photograph distributed by Russian state owned Sputnik agency, Russia's President, Vladimir Putin (L) attends a remote meeting with Kursk Region Governov, Alexei Smirnov via video call in Moscow, on August 8, 2024. Russian forces are still facing a major incursion by Ukrainian troops on their soil, in the Kursk border region, on August 8, 2024, an unexpected setback for the Kremlin whose army was to its advantage until then on the front. (Photo by Gavriil GRIGOROV / POOL / AFP) / Editor's note : this image is distributed by Russian state owned agency Sputnik

Laut russischen Medienberichten sollen im Rahmen einer Evakuierungsaktion 76’000 Menschen aus dem umkämpften Gebiet in Sicherheit gebracht worden sein. Und das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte ein Video, das zeigen soll, wie Artillerie und weitere militärische Ausrüstung in die Region verlegt wird.

Erste Beschwerden gegen Moskau

Der Kreml selbst hat die Massnahmen in den Grenzregionen als «Antiterroreinsatz» deklariert. Laut dem US-Thinktank Institute for the Study of War (ISW) ein Hinweis, dass die russische Führung versucht, den Angriff herunterzuspielen, um die russische Öffentlichkeit nicht zu beunruhigen. Nach Angaben des ISW, das sich auf verschiedene nicht verifizierte russische und ukrainische Quellen beruft, verlegt das russische Verteidigungsministerium derzeit Truppen sowohl aus anderen Teilen Russlands als auch von der Front in der Ukraine und auch Wehrdienstleistende in die Region Kursk. Besonders der Einsatz von Wehrdienstleistenden in Kampfeinsätzen gilt als innenpolitisch riskant. Laut ISW gibt es bereits erste Beschwerden von Angehörigen und russischen Oppositionellen.

Die Lage ist sehr unübersichtlich. Es gibt Berichte, die ukrainischen Angreifer hätten bereits begonnen, Verteidigungslinien in Russland zu errichten. Bis zu 30 Kilometer sollen sie auf russisches Territorium vorgedrungen sein. Unklar ist, ob die Kleinstadt Sudscha unter ukrainischer Kontrolle ist oder nicht. Über Verluste auf beiden Seiten ist bislang nichts Verlässliches bekannt. Am Wochenende kursierte ein angeblich verifiziertes Video, das mehr als ein Dutzend zerstörte LKW der russischen Armee und viele tote Soldaten zeigt.

«Eine Verlängerung der Frontlinie nützt Russland»

Im Sicherheitspolitik-Podcast «War on the Rocks» wagt der Militärexperte Michael Kofman eine erste Einschätzung der Lage: Mindestens könnte die ukrainische Armee in Russland einen Brückenkopf errichten, um russische Truppen in der Region zu binden. Wahrscheinlich würde die ukrainische Führung ihre Ziele aber anpassen, je nachdem, wie der Vorstoss weiter verläuft.

Etwas kritischer sieht der Experte Gustav Gressel den Angriff im Gespräch mit dem «Spiegel»: Die ukrainische Armee würde auf Dauer Schwierigkeiten haben, die eroberten Gebiete zu halten. «Eine Verlängerung der Frontlinie nützt in erster Linie Russland», sagt er. «Es hat mehr Waffen, Munition und Personal, das es an einer längeren Front einsetzen kann.»

Vieles klingt plausibel, wenig ist derzeit bestätigt. In jedem Fall muss die russische Führung auf den ukrainischen Vorstoss reagieren. Ein Abzug russischer Truppen von der Front im Donbass wäre bereits ein Erfolg für die Ukraine. Denn dort stehen die Verteidiger nach wie vor stark unter Druck. Eine Reihe wichtiger Städte wird von den russischen Angreifern bedroht, darunter Tschassiw Jar und Pokrowsk.

In der Nacht auf Sonntag sind laut der ukrainischen Luftwaffe 4 ballistische Raketen und 53 Drohnen abgefangen worden. Der Angriff soll auch wieder Kiew gegolten haben. Ein Vater und sein Sohn sind nach ukrainischen Medienberichten bei einem Drohneneinschlag getötet worden.

Andri Jermak, der Leiter des ukrainischen Präsidentenbüros, äusserte sich nach den erneuten russischen Luftangriffen. Man müsse Russland die Fähigkeit nehmen, Zivilisten zu töten. Laut einem neuen Bericht der Vereinten Nationen war der Juli mit 219 Toten und 1018 Verletzten der tödlichste Monat für Zivilisten in der Ukraine seit fast zwei Jahren. «Es ist notwendig, seine militärische Infrastruktur zu zerstören, weil der Feind andere Argumente nicht akzeptiert», sagte Jermak.

Es ist gut möglich, dass der ukrainische Angriff auf die Region Kursk ein Teil dieser Massnahmen ist. Fast täglich werden ukrainische Orte über die Grenze hinweg mit Artillerie beschossen, viele der Luftangriffe auf Kiew und andere Städte werden von diesem Teil Russlands aus gestartet. Es scheint, als hätte die ukrainische Führung keinen Ausweg mehr gesehen, als den Krieg nach Russland zu tragen – trotz aller Risiken, die damit einhergehen.