Krönung in DänemarkAuf den Thron mit Tränen
Margrethe II. dankt ab, Frederik X. ist neuer König von Dänemark. Und ganz Kopenhagen, wo Hunderttausende jubeln, wirkt an diesem Sonntag beschwipst, beseelt, beflügelt.
Nüchtern betrachtet wurde am frühen Sonntagnachmittag eine alte Dame in einem Pferdefuhrwerk zwei Kilometer durch die Innenstadt von Kopenhagen gefahren; später fuhr ihr Sohn in derselben Kutsche denselben Weg zurück. Aber wer will schon nüchterne Betrachtungen, wenn die grosse, alte Königin vorbeischwebt? Und danach der neue König samt Gemahlin?
Ganz Kopenhagen wirkt am Sonntagmorgen sanft beschwipst, beseelt, beflügelt. Jeder Turm beflaggt, jede Konditorei hat irgendeine rot-weisse Königskreation im Schaufenster stehen. Vor dem Café Europa singen vier muntere Damen, die sich als Gänseblümchen verkleidet haben – Margrethes Spitzname ist Daisy – dänische Volkslieder, um sie herum spazieren die Leute zu Hunderten Richtung Slotsholmen, der kleinen Insel, auf der Christiansborg liegt, das Schloss, in dem das Parlament, das Oberste Gericht und Repräsentationsräume des Königshauses untergebracht sind. Das gibt es sonst nirgends auf der Welt, Judikative, Legislative und Exekutive, vereint im selben Gebäudekomplex.
Auf dem Schlossplatz ist schon um zehn Uhr morgens alles voll. Rene Jensen und Hille Pejtersen sind jeweils um acht gekommen, um später auch ja die Kutsche vorbeifahren zu sehen – und Frederiks erste kurze Rede als König zu hören. «Na ja», sagt die Physiotherapeutin Pejtersen, «erwarten Sie sich da nicht zu viel, er ist als Redner kein Churchill. Aber heute geht es eh nur um sein Motto.» Die dänischen Könige geben sich am Tag ihres Amtsantritts einen Wahlspruch, Margrethes war «Gottes Hilfe, die Liebe des Volkes, Dänemarks Stärke» («Guds hjælp, Folkets Kærlighed, Danmarks Styrke»).
Alle haben sie Kronen auf, dabei wurde die Krönung 1660 abgeschafft
Seltsam ist, dass sie alle hier Kronen aufhaben, die meisten aus Papier, Rene Jensen trägt eine mit Strassgefunkel. Dabei haben die Dänen doch die Krönung bereits 1660 abgeschafft. Nicht weil der damalige König so bescheiden gewesen wäre. Im Gegenteil: Um zu zeigen, dass der absolute Monarch direkt von Gott auserwählt wurde, sollte kein Mensch das Recht haben, ihm eine Krone aufzusetzen. An die Stelle der Krönung trat damals die kirchliche Salbungszeremonie – die dann wiederum mit der Einführung des Grundgesetzes 1849 abgeschafft wurde. Seither gibt es keinen Thron, keine Krone, keine Salbung.
Rene Jensen trägt trotzdem glitzernde Krone und roten Mantel, «Krönung ist Krönung», wie der Projektmanager sagt. Aber warum lieben die Dänen ihre Monarchie so sehr? «Ich mag den Märchenaspekt», sagt Jensen. «Die Welt ist so dunkel, aber dann strahlt diese Monarchin in unseren Alltag. Schauen Sie sich um, das Königshaus vereint hier Leute, die sonst kein Wort miteinander reden würden.» Stimmt wahrscheinlich, Hunderttausende sind gekommen und stehen hier Seit’ an Seit’.
Der Ingenieur Jacob Steen Møller sagt, die Dänen seien «vom Kopf her Republikaner, von der Überzeugung her Demokraten und vom Gefühl her Monarchisten». Auf die Frage nach dem anachronistischen Märchenaspekt, all dem Prunk, der Kutsche, dem institutionellen Nepotismus, antwortet Møller mit einer Gegenfrage: «Warum lieben die Leute Mittelaltergeschichten? Warum recyceln all die Fantasyfilme Rittergeschichten, Königstreue, Ehrenkodex? Fragen Sie nicht einen Ingenieur wie mich, fragen Sie einen Psychoanalytiker.»
Margrethe II. verschwindet durch die Hintertür
Leider ist gerade keiner zu finden. Aber ist jetzt ohnehin genug mit Volkes Stimme. Wie im Märchen ist die Zeit vergangen, Margrethe kam in ihrer eleganten Kutsche vorbeigeglitten, um im Schloss ihre eigene Abdankung zu unterzeichnen. Zu ihrer Rechten ihr Sohn und Nachfolger, zu ihrer Linken die Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. Margrethe II. unterschreibt lächelnd, steht auf, lässt sich von ihrem Enkel, Prinz Christian, ihren Stock reichen, weist Frederik X. den Stuhl, auf dem sie gerade noch sass, sagt «Gott schütze den König» und verschwindet durch die Hintertür. Wer genau hinsah, konnte eine königliche Träne in ihrem Antlitz erkennen. Ach, Margrethe …
Kurz darauf verlässt sie auch das Schloss wieder, diesmal «nur» im schwarzen Rolls-Royce, zum Zeichen ihrer eigenen Degradierung. Der Jubel, unter dem sie nach Amalienborg zurückrollt, ist wahrscheinlich der eindrücklichste Moment des Tages.
Eine freiwillige Abdankung gab es nur einmal in der tausendjährigen Geschichte des dänischen Königshauses. Erik III., der Dänemark von 1137 an regierte, verzichtete 1146 auf den Thron, warum, weiss man nicht ganz genau, es gab ja auch noch keine Fernsehansprache an Silvester, in der er sich dem dänischen Volk hätte erklären können. Wahrscheinlich war Erik an einem schweren Fieber erkrankt. Jedenfalls ging er danach in ein Kloster, in dem er noch im selben Jahr verstarb. Das will Margrethe anders machen: Sie bleibt weiterhin Königin und soll Frederik und den Kronprinzen vertreten, wenn die mal keine Zeit haben.
Um 15 Uhr schaut dann ganz Dänemark zur geschlossenen Balkontür des Schlosses hoch. Dahinter muss er längst stehen, Frederik, der sich gerne mal von den Grossindustriellen des Landes zur Formel 1 fliegen lässt und überhaupt sehr eng verbandelt ist mit der dänischen Macht- und Wirtschaftselite. Hätte er eine andere Rolle inne, würde man von lupenreiner Vetternwirtschaft sprechen, und es wird sicher interessant sein zu beobachten, wie er sich mit seiner grossen symbolischen Macht ins demokratische Gefüge des kleinen Landes einpasst. Aber heute ist all das unwichtig, die Zeitungen waren tagelang voll mit all den Anekdoten über den volksnahen Prinzen, der gern zu McDonald’s geht, Ehepaaren im Flieger seinen Platz freimacht, oder einem Studenten, der sagte «Mensch, sie sehen ja aus wie Prinz Frederik», geantwortet haben soll: «Witzig, das hat meine Mutter auch oft zu mir gesagt.»
Seine Rede ist kurz, aber schön, ein «einender König» will er sein
Schliesslich geht die Tür des Balkons auf und König Frederik X. tritt in den Jubel der Dänen, der ihn so zu überrumpeln scheint, dass auch ihm die Tränen kommen. Seine Rede ist kurz, vielleicht nicht ganz Churchill, aber doch schön und geradeheraus, er will ein «einender König» sein. «Das ist eine Aufgabe, der ich mich mein ganzes Leben lang gewidmet habe. Es ist eine Aufgabe, die ich mit Stolz, Respekt und Freude annehme.» Sein Motto lautet: «Forbundne, forpligtede, for kongeriget Danmark» (Gebunden, engagiert, für das Königreich Dänemark).
Und als dann noch seine Frau, Königin Mary, in ihrem märchenweissen Kleid auf dem Balkon aufblüht und die Kinder dazukommen, ach ja, da scheint für einen Moment die Welt tatsächlich mal wieder in Ordnung zu sein.
Fehler gefunden?Jetzt melden.