Analyse zum Krieg in GazaAuf beiden Seiten fehlt es an politischer Führung
Weil die Fatah-Partei von Mahmoud Abbas so schwach ist, radikalisieren sich viele Palästinenser. Auch Netanyahus rechtsradikale Minister torpedieren einen möglichen Frieden.
Nach drei Monaten Krieg im Gazastreifen ist es höchste Zeit, einen Plan für danach vorzulegen. Schliesslich hat der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu bisher lediglich wissen lassen, was er nicht will: dass der Gazastreifen zu «Hamastan oder Fatahstan» wird. Und dass er «stolz darauf ist, einen palästinensischen Staat verhindert» zu haben. Seine rechtsextremen Minister streben ohnehin Gross-Israel an und haben sich erdreistet, im kriegsbedingt notwendig gewordenen Nachtragshaushalt noch umgerechnet knapp 93 Millionen Franken zusätzlich für den Ausbau der Siedlungsaktivitäten unterzubringen (lesen Sie hier die Analyse zu Netanyahus Plänen).
Die USA und die besonnenen Kräfte in Israel drängen auf eine Zweistaatenlösung, die tatsächlich als einzige Option verspricht, diesen jahrzehntealten Konflikt dauerhaft zu beruhigen (lesen Sie dazu das Gespräch mit der früheren Aussenministerin Tzipi Livni). Freilich braucht es für einen Frieden im Nahen Osten beide Parteien. Doch die israelische Regierung ist dazu nicht bereit. Und die palästinensische Führung ist nicht in der Lage, auch noch Verantwortung für den Gazastreifen zu übernehmen.
Abbas verweigert seinem Volk Wahlen
Die Palästinenser kommen selbst zu dieser realistischen Einschätzung, wie eine Umfrage des Palestinian Center for Policy and Survey Research (PSR) zeigt. 60 Prozent fordern eine Auflösung der als korrupt wahrgenommenen Autonomiebehörde, und etwa 90 Prozent verlangen den Rücktritt von Präsident Mahmoud Abbas. Die Palästinenser können den 88-Jährigen nicht einmal absetzen, denn der Präsident verweigert seinem Volk seit 2009 Wahlen.
In der Schwäche von Abbas und seiner Fatah-Partei liegt der Hauptgrund dafür, warum sich auf der Suche nach einer Alternative immer mehr Palästinenser der radikalislamischen Hamas zuwenden – erst recht nach dem 7. Oktober. Die Zustimmung für die Hamas hat sich im Vergleich zu September im Westjordanland mehr als verdreifacht, im Gazastreifen ist sie leicht gestiegen. Diese Werte spiegeln die Auswirkungen des Krieges im Gazastreifen wider, die Bombardierungen und die mehr als 21’000 Toten.
Die grosse Mehrheit der Palästinenser negiert Hamas-Terror
Sie lassen aber auch darauf schliessen, dass sich die Palästinenser radikalisieren, was leider damit einhergeht, dass viele die Taten der Hamas ausblenden oder leugnen. Denn nur 7 Prozent glauben, die Hamas habe am 7. Oktober Gräueltaten gegen israelische Zivilisten begangen. 85 Prozent wollen jene Videos nicht gesehen haben, die diese Massaker belegen.
Mit dieser besorgniserregenden Radikalisierung muss sich auch die internationale Staatengemeinschaft auseinandersetzen. Denn die Strukturen der Hamas mögen sich militärisch bekämpfen lassen, das richtet aber nichts gegen die Ideologie der Terrororganisation in den Köpfen der Menschen aus. Hier gilt es, bei der Bildung anzusetzen. Es braucht Konzepte, für die in der Region immer wieder die Entnazifizierungsprogramme in Deutschland als Vorbild genannt werden. Die USA könnten ihre Erfahrungen einbringen. Das wäre aber auch eine Aufgabe für jene europäischen Staaten, die sich in der Region nicht militärisch engagieren können oder wollen.
Freilich auch ist eine Reform der Autonomiebehörde dringend nötig. Es braucht einen Stufenplan, der auf dem Weg zu einer Zweistaatenlösung auch einen Termin für baldige Wahlen beinhaltet. Ein derartiges Konzept, angelehnt an den vor 30 Jahren gestarteten Oslo-Friedensprozess, bewirkt hoffentlich, dass Palästinenser und damit neue Kräfte zurückkehren. Beide Seiten bedürfen nämlich einer neuen Führung, damit dieses Mal wirklich zwei Staaten die Lösung bringen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.