Kolumne «Fast verliebt»Wenn Frauen zu sehr lieben
Warum sind viele moderne Frauen immer noch so obsessiv, wenn es um Männer geht?
«Uuuund?», fragte ich meine Freundin belustigt und mit überbetonter Neugierde, dabei war ich tatsächlich gespannt: «Ist mon mari noch nach Hause gekommen? Hat er ihr einen richtigen Kuss gegeben oder nur einen halbherzigen?» Meine Freundin liest gerade einen wunderlichen Roman, der in meinem Umfeld trendet: «Mon mari».
Das Debüt einer 29-jährigen Französin, Maud Ventura, ist spannend wie ein Thriller, dabei passiert: eigentlich nichts. «Ich denke die ganze Zeit an meinen Mann», beichtet die Icherzählerin: «Ich könnte ihm den ganzen Tag Nachrichten schreiben.» Begegnet sie anderen Menschen, wartet sie nur auf den Moment, in dem sie endlich nach ihm gefragt wird. Dann kann sie voll innerer Erregung von der kostbarsten Errungenschaft ihres Lebens erzählen. Abends drapiert sie sich auf der Couch mit einem intellektuellen Buch, um Eindruck auf ihn zu machen, wenn er heimkommt. Erst dann beginnt ihr Tag.
«Mon mari» trifft nicht nur in meinem Umfeld einen Nerv: Es eroberte die französische Bestsellerliste und wurde von der «New York Times» empfohlen. Das brüllend Komische an der Geschichte ist ihre unfeministische, scheinbar unzeitgemässe Anlage.
Aber ist es nicht auch so, dass sich viele moderne Frauen noch immer zu viele Gedanken über Männer machen? Die Icherzählerin hat als Übersetzerin einen interessanten Job, trotzdem findet sie es spannender, pausenlos das Verhalten ihres Mannes zu analysieren: Wie konnte er so grausam sein, sie auf einer Dinnerparty beim Erzählen einer Anekdote auszusparen? Warum schreibt er ihr nicht zurück?
Kommt Ihnen das bekannt vor? Anders gefragt: Wie viele Frauen in ihrem Umfeld waren schon übersteigert in einen Mann verliebt? Und wie viele Männer umgekehrt? Bei mir trifft das auf fast alle Freundinnen zu, mich eingeschlossen, vor allem in unseren Zwanzigern. Das Gegenüber: ein kühler, mit anderen Dingen beschäftigter Mann.
Unsere Gesellschaft ist männerfixiert – kein Wunder, dass moderne Frauen es auch mal sind.
Wer mit einigen Jahren Abstand auf so eine Obsession zurückblickt, hat gut lachen. Wer drinsteckt: weniger. «Wenn Frauen zu sehr lieben: Die heimliche Sucht, gebraucht zu werden» heisst ein Psychologieklassiker aus dem Jahr 1985, der Linderung verspricht. Bis heute schreiben Frauen dankbare Amazon-Rezensionen zu diesem Ratgeber, der ihnen angeblich das Leben gerettet hat.
Wir Frauen sind weit gekommen, leben aber in einer Welt, in der Männer noch immer vor allem für ihren beruflichen Erfolg beklatscht werden und Frauen für ihre Liebenswürdigkeit. Unsere Gesellschaft ist männerfixiert – kein Wunder, dass moderne Frauen es auch mal sind.
Als Maud Ventura begann, «Mon mari» zu schreiben, war sie bis über beide Ohren in einen Mann verliebt. Als er sie fallen liess, schrieb sie die abgründige, schwarzhumorige Geschichte fertig – und machte eine Obsession zum Triumph.
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