Kolumne «Fast verliebt»Gefangen in der eigenen Komfortzone?
No pain, no gain: Warum Schmerzen zur Liebe dazugehören. Eine Osterkolumne.
«Die haben sich getrennt», sagt eine Freundin überraschend, als es um einen gemeinsamen Kollegen und seine Beziehung geht. Oh nein, denke ich: Die zwei waren doch so ein gutes Team! Seit er sie kannte, blühte er auf. Früher war er sehr unsicher, konnte keine Entscheidung allein treffen und brauchte dauernd Bestätigung. Aber in der Beziehung zu ihr veränderte sich sein Aggregatzustand, aus flüssig wurde fest: Er gewann Selbstvertrauen, wurde souveräner.
Die beiden lernten sich vor zwei Jahren kennen. Über Weihnachten in dem Dorf, aus dem er kam. Weil er in der Stadt arbeitet, entspann sich eine Fernbeziehung. Da sie sehr verwurzelt ist, machte sie klar, dass sie weder zu ihm ziehen werde, noch auf Dauer eine Fernbeziehung führen wolle. Wenn sie gemeinsam eine Zukunft haben sollten, müsse er irgendwann zu ihr ziehen. Er verstand das, hat sich aber bis heute nicht getraut. Jetzt hat sie Schluss gemacht. Er leidet wie ein Hund.
«Ist sicher besser so», sagt meine Freundin: «Wenn sie die Richtige wäre, hätte er den Schritt schon gemacht.» Was man halt so sagt, wenn Leute sich trennen und man die Sache freundlich absegnen will, damit sich alle möglichst schnell wieder gut fühlen. Oft ist das aber eine Scheinlogik und das Pferd wird von hinten aufgezäumt. Wer glaubt, es habe nicht sein sollen, nur weil es auseinandergeht, vergisst den menschlichen Faktor: Menschen machen Fehler. Menschen haben Angst. Angst macht viel kaputt. «Vielleicht unterschätzt du, wie viel Panik so ein Umzug im Erwachsenenalter auslösen kann», widerspreche ich also meiner Freundin.
Vor einigen Jahren bin ich selber für die Liebe umgezogen. Wer über 30 ist und sich beruflich und sozial an einem Ort etwas aufgebaut hat, riskiert viel mit einem Standortwechsel. Mir hat das damals existenzielle Angst gemacht. Man lässt Federn, muss sich erneut mühsam etwas aufbauen. Ein immenser Kraftakt, der einen ziemlich erschöpfen kann. Und trotzdem: Von heute aus betrachtet war es richtig, den Sprung zu wagen.
Ob es nun ein Umzug ist, das Aufgeben gewisser Single-Freiheiten oder der Wille, an sich zu arbeiten: Manchmal fordert die Liebe ein Opfer von uns, damit sie wachsen kann. Das ist wie mit Muskeln: «No pain, no gain», heisst es im Fitnessstudio.
Heute glauben aber viele, ein Leben ausserhalb der Komfortzone sei gefährlich, Hashtag #mentalhealth: Wir wollen uns wohlfühlen, und zwar immer — alles andere gilt schnell als toxisch. Dabei geht vergessen, dass man in seiner Komfortzone auch wunderbar depressiv werden kann, wenn man sie nie verlässt. Nicht jede Angst muss wegtherapiert werden. Manchmal ist die Angst nur das Tor, durch das man gehen muss, um mutig sein zu können und sich wieder lebendig zu fühlen.
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