Pioniere der EnergiepolitikGrossbritannien macht Schluss mit der Kohle
Wo vor 142 Jahren die Ära der Kohle begann, vollziehen die Briten nun als erster hoch industrialisierter Staat den Ausstieg: Sie schliessen das letzte mit diesem fossilen Brennstoff betriebene Kraftwerk.

- Grossbritannien hat das letzte Kohlekraftwerk in Ratcliffe-on-Soar abgeschaltet.
- Der Schritt wurde als bedeutender Beitrag zum Klimaschutz bezeichnet.
- Andere G-7-Staaten planen den Kohleausstieg bis 2030.
- Die Kohleverwendung nahm seit dem 18. Jahrhundert kontinuierlich ab.
Als erster hoch industrialisierter Staat der Welt hat jetzt Grossbritannien Abschied von der Kohleenergie genommen. Mit der Schliessung des letzten Kohlekraftwerks zu Beginn dieser Woche ist eine lange, eine legendäre Geschichte zu Ende gegangen im Vereinigten Königreich.
Am Montag wurde das Kohlekraftwerk in Ratcliffe-on-Soar in der Grafschaft Nottinghamshire mit seinen acht mächtigen Kühltürmen ein für alle Mal abgeschaltet. Von nun an wird nirgendwo auf den Britischen Inseln Kohle mehr zur Stromerzeugung benutzt. Einen beeindruckenden Schritt, noch vor dem Rest der Welt, habe Britannien mit diesem «Ende einer Ära» im Kampf gegen Klimawandel getan, sagt Energie-Staatssekretär Michael Shanks.
Eigentlich war die Ratcliffe-Abschaltung erst für nächstes Jahr geplant gewesen. Der Termin wurde aber vorgezogen. Andere G-7-Staaten haben den Ausstieg aus der Energieerzeugung durch Kohle aufs Jahr 2030 hin geplant.
«Die letzte Bastion» ist gefallen
Rückblickend würdigte die konservative Londoner «Times» das Ende des Kohlezeitalters auf den Britischen Inseln mit den Worten, nun sei «die letzte Bastion von King Coal» gefallen. Immerhin sei «Britannien dank dieses schwarzen Monarchen im 19. Jahrhundert zu globaler Vorherrschaft gelangt». Jetzt aber, unter anderen Umständen, dürfe das Land «stolz sein darauf, sein Energiegemisch in den letzten anderthalb Jahrzehnten in Rekordzeit neu geordnet» zu haben, erklärte das Blatt.
Der Kohleabbau reicht weit zurück. Mit der Erfindung der Dampfmaschine Anfang des 18. Jahrhunderts, die das Auspumpen von Bergwerksgruben und den Abtransport der Kohle möglich machte, wurde der Kohleabbau auf der Insel zum Motor der industriellen Revolution.
1920 arbeiteten noch immer 1,2 Millionen Menschen in den Kohlebergwerken überall im Lande. Die massenhafte Schliessung von Bergwerken in den 80er-Jahren, die zum ebenso berühmten wie vergeblichen Bergarbeiterstreik führte, markierte den späteren unaufhaltsamen Niedergang von «King Coal».
Die Briten waren Pioniere
Einen entsprechenden Aufschwung und Rückgang verzeichneten die Kohlekraftwerke im Lande. Auch hier hatten die Briten die Nase vorn. Das erste öffentliche, mit Kohle befeuerte Kraftwerk der Welt war Londons Holborn Viaduct, in Betrieb genommen 1882 von Thomas Edinsons Unternehmen, der Edison Electric Light Company. Es versorgte nicht nur umliegende Haushalte, sondern nahezu 1000 Strassenlaternen in London mit Strom.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestritten Kohlekraftwerke fast 100 Prozent der Energieversorgung in ganz Grossbritannien. Ratcliffe-on-Soar, 1967 gebaut, gehörte zu den grössten Kraftwerken im Land.

In der Folgezeit begannen allerdings Öl, Gas und Atomkraft immer grössere Bedeutung zu erlangen. Und im Laufe der 90er-Jahre wurden mehr und mehr Zweifel an der Kohleverwendung wegen deren steigenden Kosten und wegen der offenkundigen Umweltverschmutzung laut.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts schrumpfte der Anteil der Kohleproduktion an der Stromversorgung bereits auf wenig mehr als ein Drittel. Seither, im Zuge des britischen Klimawandel-Gesetzes von 2008 und der Pariser Klima-Vereinbarung von 2016, sind Solarkraft und Windfarmen zunehmend wichtig geworden.
«Was wir jetzt erleben, ist das letzte Kapitel einer bemerkenswert schnellen Umstellung ausgerechnet in dem Land, in dem die industrielle Revolution ihren Ausgang nahm», sagt Phil MacDonald von der Organisation Ember, einem internationalen Energieverband.
Klima-Aktivisten insgesamt sind erleichtert über den Abschied von King Coal nach so vielen Jahren. In den 142 Jahren zwischen dem Bau des Holborn Viaduct in London und der Schliessung von Ratcliffe-on-Soar in Nottinghamshire sollen im Vereinigten Königreich 4,6 Milliarden Tonnen Kohle verfeuert und 10,4 Milliarden Tonnen CO₂ in die Luft gepumpt worden sein.
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