Schweizer PioniergemeindeKöniz verbannt Handys komplett von der Schule
Selbst in Pausen bleibt das Smartphone tabu: Die Berner Gemeinde führt ein striktes Verbot an Schulen ein. Das soll auch die Eltern entlasten.

- Köniz ist schweizweit eine der ersten Gemeinden, die ein flächendeckendes Handyverbot an Schulen einführen.
- Die Massnahme soll dazu führen, dass es im Unterricht weniger Ablenkung gibt.
- Die Hirnexpertin Barbara Studer findet das Verbot sinnvoll und plädiert generell für mehr Schutz der Kinder vor digitaler Berieselung.
- Obwohl andere Schulleitungen mitunter froh wären, plant der Kanton Bern keine übergeordnete Regelung.
Chatten, Musik hören, die sozialen Medien durchforsten, gamen – ein Tag ganz ohne Handy ist für viele Kinder und Jugendliche undenkbar geworden. Für Könizer Schülerinnen und Schüler ist es jedoch bald die neue Realität. In sämtlichen Schulen der viertgrössten Berner Gemeinde gilt ab der ersten Februarwoche ein striktes Handyverbot.
Konkret bedeutet das: Die Kinder müssen ihr Smartphone und andere elektronische Geräte beim Betreten des Schulareals ausschalten und vor Schulbeginn der Lehrperson abgeben oder in einem Schliessfach hinterlegen. Erst nach der letzten Lektion oder nach Ende der Tagesschule wird ihnen das Mobiltelefon wieder ausgehändigt. Auch in Pausen oder über den Mittag ist das Handy tabu.
Zum Videoschauen aufs WC
Doch warum braucht es die Massnahme, die vom Kindergarten bis zur 9. Klasse gilt? «Die bisherigen Regeln waren leider nur schwer umsetzbar», sagt Reto Lang. Er ist Co-Schulleiter der Schule Sternenberg, die Schulhäuser in Niederscherli und umliegenden Dörfern umfasst, und Co-Vorsitzender der Schulleiterkonferenz Köniz. Letztere hatte das gemeindeweite Verbot beantragt – und von der Schulkommission grünes Licht erhalten.

Schon bis anhin gab es an Könizer Schulen bezüglich Handynutzung Vorgaben. Während des Unterrichts mussten Mobiltelefone lautlos und unsichtbar sein. Selbst in der Hosentasche durften Schülerinnen und Schüler sie nicht auf sich tragen.
Nur eben: «Es hat trotzdem immer wieder aus irgendeiner Tasche geklingelt», sagt Lang. Die Aufmerksamkeit der Kinder und Jugendlichen sei dadurch regelmässig gestört worden. «Das hat sich negativ auf die Qualität des Unterrichts ausgewirkt.» In den Pausen hätten sich die Schülerinnen und Schüler zudem oft in Gruppen aufs WC zurückgezogen, um zu chatten oder Videos anzuschauen.
Verbot soll Eltern entlasten
Mit der nun strengeren Regelung wolle man die Kinder und Jugendlichen schützen. Vor zu viel Ablenkung, vor den ungesunden Auswüchsen der digitalen Welt, vor dem Verlernen des persönlichen Austausches. «Die Schule soll ein Ort sein, wo man sich auf den Unterricht konzentriert und echte soziale Beziehungen gefördert werden.»
Die Idee sei, dass auch die Eltern durch die Massnahme entlastet würden. Laut Reto Lang haben heute teilweise bereits Viertklässler, also ungefähr Neunjährige, ein eigenes Smartphone. Das führe unter den Kindern oft zu Gruppendruck – und löse bei Eltern folglich einen gewissen Handlungszwang aus. «Das Handyverbot ist auch als Ermutigung gedacht, dass die Anschaffung eines Smartphones nicht zu früh erfolgen soll.» In Ausnahmefällen werde das Verbot nicht gelten, betont Lang. Etwa, wenn ein Kind wegen einer Krankheit auf eine bestimmte App angewiesen sei.

Dass Schulen ihren Schülerinnen und Schülern Regeln für die Handynutzung aufstellen, ist nichts Neues. Vielerorts müssen Mobiltelefone längst ausgeschaltet bleiben, manchmal wandern sie während des Unterrichts in Handygaragen – jede Schule hat diesbezüglich ihre eigenen Spielregeln.
Mit seiner gemeindeweiten Offensive gehört Köniz zu den ersten Orten schweizweit, die ein entsprechendes Verbot flächendeckend einführen, heisst es beim Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz. Der Verband spricht von einer Vorreiterrolle und lobt die Könizer Schulen für deren gemeinsam getroffene Massnahme. «Eine solche Vereinheitlichung macht Sinn und vereinfacht die Kommunikation für alle.» Auch inhaltlich begrüsst der Verband nach eigenen Angaben «klare und konsequent umgesetzte Handyregelungen» in der Schule.
Kanton will keine übergeordnete Regel
Gut möglich, dass nach Köniz auch andere Orte bald nachziehen. In Thun heisst es seitens der Schulleiterkonferenz: «Die Idee eines flächendeckenden Handyverbots ist auf Stufe Primarschule ein Thema.» In Bern hingegen sind aktuell keine stadtweit verbindlichen Vorgaben geplant.
Aus Gesprächen mit Berner Schulleitern geht hervor, dass eine einheitliche und übergeordnete Regelung grundsätzlich begrüsst würde. Der Kanton erteilt diesem Wunsch jedoch eine Absage. Der Handygebrauch in den Schulen liege in der Kompetenz der Schulen und Gemeinden, schreibt die kantonale Bildungsdirektion.
Hirnexpertin findet Verbot sinnvoll
Fakt ist: Das Thema Handyverbot an Schulen ist aktueller denn je. In Italien etwa sollen Smartphones demnächst komplett aus den Klassenzimmern verbannt werden, selbst zu Unterrichtszwecken. Auch in der Schweiz gab es bereits ähnliche politische Bemühungen in verschiedenen Kantonen.
Eine Umfrage des Forschungsinstituts Sotomo hat zudem erst kürzlich gezeigt, dass ein Grossteil der Bevölkerung hinter entsprechenden Bestrebungen steht. So gaben vier von fünf Befragten in der vom Berner Generationenhaus in Auftrag gegebenen Studie an, ein Handyverbot an Schulen zu befürworten.

Auch unter Experten wurden die Warnungen vor den negativen Auswirkungen der Smartphonenutzung bei Kindern zuletzt immer eindringlicher. Wiederholt kritisch geäussert hat sich auch Barbara Studer. Sie ist Neurowissenschaftlerin und Gründerin von Hirncoach.ch, einem Spin-off-Unternehmen der Universität Bern. Es bietet Programme für Schulen sowie Workshops für Eltern zum Thema mentale Gesundheit an. Studer sagt: «Aus neurowissenschaftlicher Sicht ist ein Handyverbot an Schulen sinnvoll.»
Aus Studien wisse man, dass die Nutzung von Smartphones die fokussierte Konzentration reduziere. «Wenn in den Pausen statt der Verarbeitung des Gelernten neue Informationsberieselung stattfindet, wird der natürliche Lernprozess unterbrochen.»
Erst ab 14 Jahren ein Smartphone
Studer plädiert generell für einen möglichst späten Zugang zu Smartphones – idealerweise erst mit 14 oder später –, zu sozialen Medien gar erst nach 16 Jahren. «Das jugendliche Gehirn ist besonders empfindlich für Dopamin-Freisetzungen, die durch Likes, Nachrichten oder Spiele ausgelöst werden», sagt sie. Smartphones und Social Media seien so gestaltet, dass sie das Belohnungssystem hyperaktivierten. Dies könne schnell zu einer Art digitaler Abhängigkeit führen.
Doch besteht durch ein Smartphoneverbot in der Schule nicht die Gefahr, dass die Kinder ihre handyfreien Tage abends vor dem Schlafengehen kompensieren? Hier erhofft sich Studer eine gute Aufklärung der Eltern. So könnten diese klar begründete Grenzen festlegen – etwa auch, was den Smartphonekonsum am Abend angehe. «Nach 21 Uhr sollte Jugendlichen kein Handy mehr zur Verfügung stehen.» Der Schlaf sei gerade für das heranwachsende Gehirn sehr wichtig.
In Köniz scheint das neue Handyregime an den Schulen jedenfalls breit abgestützt zu sein. Laut Schulleiter Reto Lang wurde die Massnahme von den Eltern gut aufgenommen und teilweise sogar aktiv gefordert. Er habe keine einzige kritische Rückmeldung erhalten.
Handyentzug bei Regelverstoss
Doch was passiert, wenn sich Schülerinnen und Schüler nicht an die neue Regel halten? «Es wird Sanktionen geben», sagt Lang. Konkret definiert habe man solche allerdings noch nicht. Eine Option wäre laut Lang, das Handy bei einem Regelbruch für 24 Stunden einzuziehen. Weil die Schule dazu grundsätzlich nicht berechtigt ist, bräuchte es dazu jedoch das Einverständnis der Eltern. «Ein solcher Handyentzug auch am Abend hätte sicher die beste Wirkung.»
Grundsätzlich geht man in Köniz aber davon aus, dass die Regel befolgt wird – und das Verbot am Ende gar nicht erst durchgesetzt werden muss. «Wir haben die Empfehlung herausgegeben, das Handy am besten gleich ganz zu Hause zu lassen.»
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