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Klima-Hotspots
Neue Daten zeigen, wo der Klimawandel besonders stark zuschlägt 

Der Verlust des Gletschereises durch die Erderwärmung ist unumkehrbar. Eine Abdeckung mit weissen Blachen, wie im Bild beim Rhonegletscher, kann kurzfristig helfen, dass ein Gletscher an der Zunge nicht weiter abschmilzt. 
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Ständige Krisen gehören zur modernen Gesellschaft. Zu dieser Einsicht könnte man kommen nach den letzten Jahren der Pandemie und dem gewaltsamen Einmarsch Russlands in die Ukraine. Verstärkt wird sie durch den heute veröffentlichten neuen Bericht der Arbeitsgruppe II des Weltklimarats IPCC zu den Folgen des Klimawandels. «Dieser Bericht ist eine dringende Warnung über die Konsequenzen unseres Nichtstuns», sagt Hoesung Lee, Vorsitzender des IPCC. 

Solche Botschaften sind wir zwar seit Jahren gewohnt. Dennoch zeigen die neuen Daten, dass sich die Lage seit dem letzten Bericht 2014 weiter verschärft hat. Beispielsweise sind Hitzewellen, Dürren, und Hochwasser mit allen Konsequenzen häufiger und intensiver geworden, was sich auf die jetzige Erwärmung des Planeten auf rund 1.1 Grad zurückführen lässt. «Leider müssen wir damit rechnen, dass viele dieser Folgen früher und stärker als zuvor erwartet auf uns zukommen werden», sagt Andreas Fischlin, Schweizer Klimaforscher und Vizevorsteher bei der Arbeitsgruppe II. Das betrifft jede Region der Welt.

Die Verwundbarkeit gegenüber dem Klimawandel werde sich mit jeder weiteren Erderwärmung verschärfen, schreibt der IPCC. Wir zeigen in zehn Punkten, mit welchen Risiken der Mensch konfrontiert ist, wenn er nicht schnell die Treibhausgase reduziert und sich an die Klimaveränderungen anpasst.

Welche Regionen sind besonders vom Klimawandel betroffen?

Grundsätzlich gibt es keine Region der Welt mehr, die nicht vom Klimawandel betroffen ist. 3,3 Milliarden Menschen leben heute in Regionen, die den Folgen des Klimawandels besonders ausgesetzt sind. Wasserknappheit, Verlust an Biodiversität, Versalzung der Böden, vermehrte Hitzetote in Städten, Ernteverluste – solche Risiken hätten sich seit dem letzten Bericht vor sieben Jahren in vielen Regionen weiter erhöht, heisst es im IPCC-Bericht. «Die Hälfte der Weltbevölkerung leidet heute schon jedes Jahr zeitweise unter Wassernot», sagt Christian Huggel. Der Klimawandelforscher an der Universität Zürich ist einer der leitenden Autoren des IPCC-Berichts.

Die Zahl extremer Wetterereignisse ist weltweit angestiegen. So treten in vielen Regionen der Welt extreme Trockenzeiten häufiger auf. «Wir können heute mehr und mehr nicht nur die extremen Wetterlagen, sondern auch die verursachten Folgen statistisch dem menschgemachten Klimawandel zuordnen. Das war im letzten Bericht 2014 noch sehr selten möglich», sagt Fischlin.

So ist zum Beispiel in Afrika gemäss IPCC die Produktivität in der Landwirtschaft seit 1961 um 34 Prozent gesunken. Mehrere Millionen Menschen mussten in Ländern der Subsahara ihre Heimat verlassen, weil sich das Klima veränderte. Ähnliche Entwicklungen sind in Asien zu beobachten. Auch in Europa ist die Zahl der Hitzewellen und Dürreperioden angestiegen. Es gibt aber auch Gewinner des Klimawandels. Bauern in einigen Regionen in höheren Breitengraden profitieren von den wärmeren Bedingungen.

Gibt es besondere Hotspots?

Die Städte sind vom Klimawandel besonders betroffen, weil inzwischen mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten lebt. Ein grosses Klimarisiko besteht in Küstenstädten, wo mancherorts der Meeresspiegel bereits bedrohlich angestiegen ist. In den Millionenstädten der Entwicklungsländer ist die Klimabedrohung besonders gross, weil es an der entsprechenden Infrastruktur fehlt und Armut und Arbeitslosigkeit die Umsetzung von Klimaanpassungen bremsen. 

Die Berggebiete gehören zu Hochrisikozonen durch den Klimawandel. Der Verlust des Gletschereises in den Alpen, den Anden und im Himalaja kann nicht mehr wettgemacht werden. «Bereits bei einer Erderwärmung von 1,5 Grad wird in vielen alpinen Regionen ungefähr die Hälfte des jetzigen Gletschervolumens verloren sein, und viele Gletscher werden ganz verschwinden», sagt Christian Huggel, der beim IPCC-Bericht für das Kapitel zu den Berggebieten verantwortlich war. Im Himalajagebiet wird dies grosse Auswirkungen auf den jährlichen Wasserhaushalt haben.

Der Ganges und vor allem der Indus werden durch Schmelzwasser gespeist. Das Wasser fehlt für die Landwirtschaft und die Stromproduktion. Zudem haben die Trockenheit und insbesondere steigender Wasserbedarf bereits zu Grundwasserabsenkungen geführt. Auch die Polargebiete gehören zu Hotspots. Vor allem die Arktis, wo das Meereis in einer noch nie da gewesenen Geschwindigkeit schmilzt. 

Wie reagiert die Natur auf den Klimawandel?

Die veränderten Klimabedingungen der letzten Jahrzehnte haben Wanderbewegungen ausgelöst: Tiere und Pflanzen, die sich nicht an die zunehmende Erwärmung anpassen können, wandern in höhere Breiten oder höher liegende Regionen. Zahlreiche biologische Prozesse haben sich zeitlich verändert. Pflanzen blühen früher, Vögel kommen früher von der Winterreise zurück. Das führt zu falschen zeitlichen Abläufen beim Nahrungsangebot.

In den Ozeanen hat nicht nur die Erwärmung des Meerwassers Folgen, sondern auch die mancherorts zunehmende Versauerung und Abnahme an Sauerstoff. Es habe sich eine «Reorganisation» der Biodiversität in den letzten 50 Jahren ergeben, schreibt die IPCC-Autorenschaft. Wer sich nicht anpassen oder wandern kann, stehe vor dem Aussterben. Diese Entwicklung werden Bauern und Fischer spüren. Zum Beispiel ist der Fang verschiedener Meeresfische global in den letzten 70 Jahren durch die Erwärmung des Ozeans um gut 4 Prozent gesunken. Das wird sich weiter verschärfen, wenn die Erderwärmung nicht gestoppt wird.

Gibt es bereits Ökosysteme, die unreparierbar geschädigt sind?

Es gibt Ökosysteme, deren Zerstörung nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Das betrifft zum Beispiel die Korallenriffe vor Australien, die unter der Erwärmung des Meerwassers leiden und absterben. Auch der bisherige grosse Verlust der Gletscher ist nicht wieder wettzumachen.

Welche Faktoren machen eine Region extrem verletzlich gegenüber dem Klimawandel?

Nach einer langen Dürre wird Madagaskar innert weniger Monate viermal von einem Wirbelsturm getroffen. Das letzte Mal durch Emnati am 22. Februar.

Es sind nicht nur die direkten Folgen des Klimawandels, welche die Regionen verwundbar machen. Je mehr Ökosysteme ausgebeutet, zerstört oder durch Verschmutzungen angegriffen sind, desto anfälliger sind sie gegenüber dem Klimawandel. «Es geht nicht nur um ökologische Massnahmen, es geht auch um Schulbildung und klimabewusstes Regieren», sagt Huggel.

Neu würde man heute auch sehen, dass sich mit der Häufung von Extremereignissen die Wahrscheinlichkeit erhöhe, dass verschiedene Katastrophen gleichzeitig oder kurz nacheinander passieren, sagt Fischlin. Zum Beispiel: Ein Land hat sich noch nicht von den Folgen einer Dürre erholt, schon kommt das nächste Ereignis, sei es eine Überschwemmung, eine Pandemie oder Krieg. Vor allem arme Länder werden dann in ihrer Entwicklung stark zurückgeworfen und vorausschauende Anpassungen an den Klimawandel werden zusätzlich erschwert, während das Klimarisiko weiter steigt. «Solche Entwicklungen zeichnen sich heute deutlich ab». Zum Beispiel in Madagaskar, wo nach einer langen Dürre in den letzten Monaten innert kurzer Zeit vier Wirbelstürme die Insel trafen. 

Je mehr der Klimawandel fortschreite, desto mehr müsse man damit rechnen, dass Extremereignisse gleichzeitig oder in kurzer Folge uns treffen würden, so Fischlin. Vorausschauende Anpassungen würden nach Ansicht des ehemaligen ETH-Professors deshalb nicht nur den Menschen helfen, sondern reduzierten auch die Schadenskosten.

Was passiert, wenn die Klimaziele des Pariser Klimaabkommens nicht erreicht werden?

Die Ziele des Pariser Abkommens sind: Die Erderwärmung soll gegenüber der vorindustriellen Zeit deutlich unter 2 Grad bleiben, und es soll alles unternommen werden, damit sie die 1,5-Grad-Grenze nicht überschreitet. Bei einer Erwärmung unter 1,6 Grad gehen die IPCC-Forschenden davon aus, dass 8 Prozent des heutigen Ackerlandes unbebaubar wird. In Afrika zum Beispiel müssen sich Fischer darauf einstellen, dass bis Ende des Jahrhunderts gut 40 Prozent des Fischfangs verloren ist, weil lokal verschiedene Meeresfische aussterben werden. Bei einer globalen Erwärmung um 2 Grad erhöht sich das Risiko massiv, dass 18 Prozent der Arten auf den Kontinenten aussterben werden.

Die Zahl extremer Wetterereignisse werde sich bei einer Erwärmung um 1,5 Grad weltweit vervierfachen, schreibt der IPCC. Es ist vor allem die arme Bevölkerung, die unter dem Klimawandel stark leiden wird. Ohne massiven Klimaschutz wird der Kampf gegen den Hunger vergebens sein: Der IPCC rechnet mit einem möglichen Anstieg von bis zu 80 Millionen Menschen bis 2050. 

Es ist laut IPCC ein realistisches Szenario, dass der Mensch das im Pariser Abkommen anvisierte 1,5-Grad-Ziel nicht erfüllt. Wenn diese Grenze überschritten wird, lässt sich eine Korrektur nur erreichen, wenn wir kostspielig CO₂ aus der Atmosphäre entfernen. «Wenn wir das Ziel Netto Null, zum Beispiel um 2050, erreichen, dann steigt die Temperatur der Erdoberfläche zwar nicht mehr, aber sie sinkt auch nicht. Sie verharrt auf dem zu diesem Zeitpunkt erreichten Niveau», sagt Klimaforscher Andreas Fischlin. 

Da aber schon die heutigen 1.1 Grad den Untergang des grönländischen Eisschildes auf rund tausend Jahre gesehen besiegeln würde und damit ein Meeresspiegelanstieg von vielen Metern die Konsequenz sein würde, sei es vermutlich vorteilhaft, die Erderwärmung deutlich unter 1 Grad zu senken. «Je länger der overshoot der 1.5 Grad-Grenze dauert, desto riesigere Mengen Treibhausgas sind aus der Atmosphäre zurückzunehmen. Ob das dann machbar wäre, das steht in den Sternen geschrieben», so Fischlin. 

Wie wichtig ist es, dass wir uns an den Klimawandel anpassen?

Die Folgen des Klimawandels werden sich in den nächsten Jahren verschärfen. «Wir sind noch lange nicht auf dem Weg in Richtung netto null Treibhausgase», sagt Christian Huggel von der Universität Zürich. Je wärmer es wird, desto schwieriger wird es, sich anzupassen. Der Weltklimarat IPCC hat deshalb im neuen Bericht den Fokus auf die Anpassung an den Klimawandel gelegt. Und die Forschenden warnen, dass es dringend sei, zu handeln. «In den nächsten zehn Jahren müssen die Weichen gestellt werden», sagt Christian Huggel von der Universität Zürich.

Konkret heisst das: Jede politische und behördliche Entscheidung, sei es zu Infrastrukturen oder Energieprojekten, muss unter dem Aspekt des Klimaschutzes vollzogen werden. «Die Veränderungen müssen einschneidend und langfristig gedacht sein, spätere Anpassungen werden viel teurer», sagt Huggel. Falls sich dieses Denken nicht durchsetze, so Huggel, würden Umsiedlungen – auch in der Schweiz – immer mehr zum Thema.

Auch die Raumplanung müsse unter dem Aspekt des Klimawandels geprüft werden, fordert der IPCC: Blick auf Bondo GR, wo sich am 23. August 2017 ein Felssturz ereignete. 

Gibt es Orte, die bald nicht mehr bewohnbar sind?

Es gibt Regionen, in denen Temperatur und Feuchte so stark zunehmen könnten, dass sie unbewohnbar werden. Hotspots sind die Arabische Halbinsel und Teile von Südasien. Zudem sind Küstenstädte ab einem gewissen Meeresspiegelanstieg zum Beispiel durch Sturmfluten so gefährdet, dass sie verlassen werden müssen. So will zum Beispiel die indonesische Regierung eine neue Hauptstadt bauen, fernab von der Küste.

Wie viele Ökosysteme müssen wir unter Schutz stellen?

Etwa 30 bis 50 Prozent der Ökosysteme müssen gemäss IPCC unter Schutz gestellt werden. Es sind aber bislang weniger als 15 Prozent der Lebensräume auf dem Land geschützt, nur 21 Prozent der Frischwasserressourcen stehen unter Schutz, und Schutzgebiete im Meer umfassen nur 8 Prozent der Ozeanfläche.

Wo sind die Grenzen der Anpassung?

Wo Regierungen die grossflächigen Brandrodungen von Wäldern wie etwa in Brasilien nicht stoppen, die Übernutzung natürlicher Ressourcen wie Wasser und Boden und den Verlust artenreicher Ökosysteme zulassen oder wo wegen der Armut einfach kein Geld für Klimaschutz vorhanden ist, dort werden sich die Folgen des Klimawandels potenzieren. Es sind letztlich diese Faktoren, welche die Grenzen setzen, wie lange sich eine Gesellschaft noch an den Klimawandel anpassen kann – sei es durch entsprechende Infrastruktur, effizienteren Wassereinsatz oder klimaresistente Kulturpflanzen.

Ein weiterer entscheidender Faktor ist gemäss Bericht, wie klimabewusst eine Regierung agiert. Die Fachleute sprechen von «good governance». Gemäss IPCC haben wir aber immer noch die Möglichkeit, zu handeln. Das ist die gute Nachricht. Aber die Veränderungen müssen einschneidend sein. 

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